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Kurt Schalek
Entscheiden für Qualität in der Langzeitpflege

Will man über Qualität diskutieren, muss man den Gegenstand der Beurteilung und die Erwartungen daran definieren. Im Feld der Langzeitbetreuung und -pflege bedeutet das, die Aufgabenstellung und die dazugehörende Leistung unter Bedachtnahme verschiedener Interessen an der Leistung zu beschreiben.

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Auftrag für Betreuung und Pflege

Menschen wollen die Art und Weise, wie sie ihr Leben gestalten, möglichst eigenständig entscheiden. Dabei bewegen sie sich innerhalb gesellschaftlicher Regeln und individueller Möglichkeiten. Diesen Prozess nennt man Selbstsorge. Die individuell wahrgenommene Lebensqualität bedeutet bei Menschen mit Pflegebedürftigkeit ihren Alltag selbstbestimmt gestalten zu können. Das hat Priorität. Unterstützung in der Selbstsorge ist damit der zentrale Arbeitsauftrag in der Langzeitbetreuung und ‑pflege, dem vor allem durch Leistungen der (Sozial)Betreuung entsprochen wird.

Doch die eigenständige Lebensgestaltung erfordert Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit, für die es wiederum physische, psychische und soziale Voraussetzungen – sprich Ressourcen – braucht. Diese Ressourcen können als Gesundheit bezeichnet werden und müssen laufend erhalten und angepasst werden. Erwachsene, beeinträchtigungsfreie Menschen kümmern sich um ihre Gesundheit im Rahmen der selbstbestimmten Selbstpflege, die ein Teil ihrer Selbstsorge ist. Die Bereiche der Selbstpflege sind in pflegerischen Ordnungssystemen, wie etwa den Lebensaktivitäten nach Roper, den ATL nach Juchli oder den AEBDL nach Krohwinkel dargestellt. Damit sind auch jene Bereiche erfasst, in denen die Gesundheits- und Krankenpflege Menschen bei der individuellen Selbstpflege leistet, wenn sie diese nicht (mehr) selbst gewährleisten können. Ziel ist die Erhaltung, Wiedergewinnung und Entwicklung der Gesundheit. Da im Zusammenhang mit Erkrankungen spezielle Selbstpflegeanforderungen bestehen, unterstützen die Pflegeberufe auch im Umgang mit medizinischer Krankenbehandlung.

Die Grafik zeigt, dass Gesundheit die Voraussetzung für das Ziel der selbstbestimmten Selbstsorge darstellt. Wie letztere erlebt wird, wirkt dabei wieder auf die Gesundheit zurück. Der Arbeitsauftrag der Langzeitbetreuung und -pflege muss daher jedenfalls die Unterstützung zur Selbstsorge umfassen. Gesundheitsbezogene Leistungen sind dabei unverzichtbar. Sie sind aber Mittel zum Zweck der selbstbestimmten Lebensgestaltung.

Entscheidungen machen Qualität 

Qualität ist keine absolute, selbsterklärende Größe. Sie ist immer das Resultat eines Ausgleichs von Erwartungen und Prioritäten unterschiedlicher Gruppen. Interesse an der Gestaltung von Langzeitbetreuung und -pflege haben neben den Menschen mit Unterstützungsbedarf auch deren Angehörige, die Arbeitnehmer:innen im Bereich, das Management der Trägerorganisationen und die Politik, die das Gesamtsystem maßgeblich finanziert. Sie alle haben unterschiedliche Schwerpunkte und Prioritäten, wenn es um die Betreuungs- und Pflegeleistungen geht. Die Selbstsorge muss jedoch der wichtigste Referenzpunkt sein, weil es die prioritäre Anforderung der Nutzer:innen von Betreuung und Pflege ist. Ihre Unterstützung ist der Existenzgrund des Systems der Langzeitbetreuung und ‑pflege.

Qualität ist damit nicht „nur“ etwas Fachliches, das sich durch einige Kennzahlen zu Pflegerisiken und -ergebnissen fassen lässt, denn Qualität entsteht nicht nur durch kompetent durchgeführte Unterstützungshandlungen. Sie wird maßgeblich auch durch Entscheidungen darüber bestimmt, wie Ziele, Prozesse und Rahmenbedingungen gestaltet werden. Und eine der großen Herausforderungen dabei ist der permanente Ausgleich unterschiedlicher Interessen. Dieser Umstand muss daher auch Gegenstand von Qualitätskonzepten sein.

Interessensausgleich auf allen Ebenen

In der Praxis erfolgt der Interessensausgleich auf verschiedenen Ebenen. Unterschiedliche, teils widersprüchliche Anforderungen an die Betreuung und Pflege müssen sowohl bei der Unterstützung eines konkreten Menschen (Ebene des Einzelfalls) als auch auf Ebene der Organisationen und der politischen Systemebene abgewogen und nachvollziehbar priorisiert werden. Dabei sind die Organisations- und Systemebene dafür verantwortlich, die Einzelfallebene möglichst gut zu unterstützen und gute Bedingungen für eine individuelle Gestaltung von Betreuung und Pflege zu schaffen.

Auf der Einzelfallebene, wo es um die tatsächlich durchgeführte Unterstützungsleistung geht, müssen Entscheidungen zur individuellen Ausgestaltung der Betreuung und Pflege getroffen werden. Die Anforderungen sind vielfältig. Die Leistungen sollen von den unterstützen Menschen akzeptiert und als hilfreich empfunden werden, sie sollen fachlich korrekt, am Stand der Wissenschaft, effektiv und sicher sein, alle relevanten Vorgaben einhalten, effizient im Mitteleinsatz sowie mit der verfügbaren (in der Praxis oft eingeschränkten) Ressourcenausstattung vor Ort umsetzbar sein. In diesem Dickicht an Anforderungen gangbare und begründbare Wege zu finden, erfordert hohe professionelle Entscheidungskompetenz und Autonomie in der Entscheidungsfindung.

Auf der Organisationsebene sind Management und Führungspersonen gefordert, Entscheidungen zu Struktur- und Prozessgestaltung zu treffen. Dabei geht es um den Interessensausgleich zwischen fachlichen Notwendigkeiten, den Vorgaben von Arbeitsrecht und Arbeitnehmer:innenschutz, ökonomischen Erfordernissen, den Erwartungen der unterstützten Menschen und deren Angehörigen sowie den Vorgaben von Politik und Fördergeber:innen. Hilfreich ist bei dieser Aufgabe der Umstand, dass gute Arbeitsbedingungen und gute Leistungsqualität einander nicht widersprechen, sondern sich gegenseitig bedingen. Wesentlich für die Qualitätsarbeit in Organisationen sind Beteiligungsstrukturen, wie die Selbstvertretung von Nutzer:innen (z. B. Bewohner:innenbeiräte), die Einbindung von Angehörigen sowie der Betriebsrat oder die Personalvertretung als betriebliche Mitbestimmungsstrukturen der Arbeitnehmer:innen.

Die politischen Gremien sind auf der Systemebene verantwortlich, Rechtsgrundlagen für Rechte und Pflichten aller Beteiligten in der Langzeitbetreuung und -pflege sowie den Arbeitsauftrag der Organisationen und der gesetzlichen Betreuungs- und Pflegeberufe zu schaffen. Systematische und regelmäßige Partizipationsmöglichkeiten zu Themen der Langzeitbetreuung und -pflege, wie Einbindung von Interessensvertretungen, Arbeitsgruppen oder offene Beteiligungsverfahren gewährleisten den Informationsfluss von der Einzelfall- und der Organisationsebene in politische Entscheidungsprozesse. Erst auf dieser Grundlage können die rechtlichen, personellen und finanziellen Rahmenbedingungen dem Arbeitsauftrag entsprechend gestaltet werden.

Für alle Entscheidungsebenen gleichermaßen zeigt sich, dass eine von allen Beteiligten akzeptierte Qualitätsdefinition erforderlich ist – etwas, das in Österreich weitgehend fehlt. Um Akzeptanz zu erreichen, ist auf allen Ebenen auch Teilhabe an den relevanten Entscheidungen notwendig. Dies setzt Beteiligungsstrukturen voraus. In der direkten Betreuung und Pflege kommt es deshalb auf personenzentriertes Arbeiten an. Beziehungsarbeit muss aber auch von den Organisationen und der Politik geleistet werden. Nur wenn alle von den Bedürfnissen und Erfahrungen der anderen Ebenen wissen, kann gemeinsam an der Umsetzung von Qualitätsvorstellungen gearbeitet werden.

Was es für gute Qualität in der Langzeitbetreuung und -pflege braucht:

  • Stärkung der Leistung Betreuung, um Unterstützungsbedarfe im Bereich der Selbstsorge besser abzudecken
  • Gute Arbeitsqualität, denn ohne sie ist eine gute Leistungsqualität nicht umsetzbar
  • Absicherung von Beziehungsarbeit im öffentlichen Arbeitsauftrag
  • Professionelle Entscheidungsfindung auf der Einzelfallebene ermöglichen und fördern, durch Qualifikation, Arbeitsgestaltung, Befugnisse und Ressourcen
  • Systematische und strukturell verankerte Beteiligungsmöglichkeiten auf Ebene der Organisationen und des politischen Systems, denn Interessensausgleich ist eine Qualitätsdimension

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Literatur

Schalek Kurt (2024): Working Paper. Qualität in der stationären Langzeitbetreuung und ‑pflege. Beitrag zur Entwicklung eines Qualitätskonzepts; AK Wien https://emedien.arbeiterkammer.at/resolver?urn=urn:nbn:at:at-akw:g-7002053

Zur Person

Kurt Schalek ,

arbeitet als Referent in der Abteilung Gesundheitsberuferecht und Pflegepolitik der AK Wien. Er ist Soziologe, Trainer für Deeskalations- und Sicherheitsmanagement und hat viele Jahre in einer sozialen Organisation gearbeitet.

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