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Barbara Mayer
Gesundheitsrisiken durch Hitze und Klimawandel
Problemaufriss und Lösungsversuch für die Gesundheits- und Krankenpflege

Der menscheninduzierte Klimawandel ist die größte Bedrohung für die Gesundheit der Menschen im 21. Jahrhundert, die Klimakrise ist vor allem auch eine Gesundheitskrise (Romanello et al., 2021). Die aktuelle Veränderung der Ökosysteme durch den Klimawandel stellt eine zunehmende Bedrohung für die menschliche Gesundheit dar, was ein grundlegendes Umdenken in der Pflege und Versorgung erfordert. Dies bringt zunehmende Herausforderungen und Verantwortung, aber auch Chancen für die Gesundheits- und Krankenpflege.

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Die Anzahl der Hitzetage mit Temperaturen über 30oC nimmt in Österreich kontinuierlich zu, auch die Anzahl der Tropennächte, in denen die Temperatur nicht unter 20oC sinkt, steigt vor allem in den Städten und im Südosten des Landes. Im Gegensatz dazu nehmen Kältetage und -perioden ab, Starkregenereignisse und Wetterextreme werden häufiger. (Geosphere Austria, 2024) Dies hat zunehmende und weitreichende Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen und ebenso auf das Gesundheitswesen.

Die stärksten Gesundheitsfolgen mit breiter Wirkung sind dabei durch Hitze zu erwarten, wobei mittlerweile Auswirkungen in allen Fachbereichen der Medizin als erwiesen angesehen werden können (Traidl-Hoffmann et al., 2021). Ein Temperaturanstieg von 1oC erhöht etwa die Sterblichkeit durch kardiovaskuläre Erkrankungen unabhängig von weiteren Umgebungsfaktoren, vor allem das Risiko für Arrhythmien, KHK und Herzstillstand steigt signifikant (Liu et al., 2022). Die Mortalität durch Lungenerkrankungen nimmt bei plus 1oC um 3-6% in den europäischen Regionen nördlich der Alpen zu (Baccini et al., 2008).

Auch Hitzewellen, die durch eine Anzahl von mehr als drei aufeinanderfolgenden Tagen mit Temperaturen über 30oC gekennzeichnet sind, nehmen sowohl in Anzahl, als auch Intensität und Dauer zu. In der Folge ist ein weiterer Anstieg von hitzebedingten Gesundheitsschäden zu erwarten (Zacharias et al., 2015). Diabetiker*innen und Personen mit Nierenerkrankungen haben ein erhöhtes Risiko für Krankenhauseinweisungen, 128 Millionen Menschen leiden in Europa unter Allergien – Tendenz steigend (Traidl – Hoffmann, 2021).

Neue Infektionskrankheiten tauchen auf, Erreger verlassen ihre ökologischen Nischen, eine Verschiebung bzw. Zunahme im Bereich von Vektoren und Zwischenwirten führt zu einer Veränderung der Übertragungswege (Dietrich et al., 2023). Demgegenüber steht der Mensch mit einer durch Hitze eingeschränkten Immunabwehr (Prazeres da Costa, 2021). Zentrale gesundheitliche Auswirkungen zeigen sich auch in psychischer Morbidität, vor allem in einer Zunahme psychiatrischer Notfälle während Hitzeperioden, Schlafstörungen, Depression oder Neigung zu Aggression oder Ängsten (Walinski et al., 2023).

In der Folge steigt die Belastung im Gesundheitswesen. Es ist davon auszugehen, dass durch Hitze die Krankenhauseinweisungen um rund 10% zunehmen werden, bis 2070 ist dadurch mit einem Anstieg der Krankenhaustage um 300% zu rechnen (Hübler, Klepper, 2017). Die ökonomischen Belastungen durch die Klimakrise in Österreich sind im Gesundheitsbereich mit geschätzten Zusatzkosten von 6-7 Mrd. Euro im Jahr 2050 in Relation zu allen Wirtschaftssektoren am höchsten. Darin noch nicht eingerechnet sind die Kosten einiger Risiken, die sich schwer monetär messen lassen, etwa jene durch eine zunehmende Verbreitung von Infektionskrankheiten (Steininger et al., 2020)

In Bezug auf vulnerable Gruppen ergeben sich größten Gesundheitsgefahren für Personen der Altersgruppe über 65 Jahren, Personen mit Vorerkrankungen, Säuglinge, Kleinkinder und Schwangere, Menschen mit funktionellen Einschränkungen, die zu eingeschränkter Mobilität oder Bettlägrigkeit führen, Personen mit kognitiven Beeinträchtigungen, für jene, die in ungünstigen Wohnverhältnisse und Obdachlosigkeit leben, aber auch für Berufsgruppen, die im Freien arbeiten oder die, wie im Pflege- und Gesundheitsbereich gängig, persönliche Schutzausrüstung tragen müssen (Harjung, 2024).

Aktuell fehlt es den Gesundheitsberufen noch immer weitgehend an Expertise und Information, um diesen zunehmenden Anforderungen begegnen zu können (Mezger et al., 2021), wobei etwa das Ausmaß der Übersterblichkeit durch die Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen beeinflusst werden könnte (Winkelmayr et al., 2023).

Das weitgehende Fehlen klinischer Leitlinien erfordert es, dass Gesundheitsexpert*innen, die bei der Bewältigung des Problems eine Vorreiterrolle übernehmen müssen, bislang nur auf individueller Basis handeln können (Desai et al., 2023). Auch in den Curricula der Fachausbildungen findet sich das Thema noch unzureichend.

Es wäre somit ein tiefgreifender Transformationsprozess erforderlich, der unser gesamtes Gesundheitssystem konstruktiv hinterfragt, um entsprechend der Sustainable Development Goals (SDGs) Akzente für neue Entwicklungspfade zu setzen, und der eine attraktive Lebensqualität und Chancen für alle zum Ziel hat. (Haas et al., 2018).

Neben Entscheidungen auf politischer und gesellschaftlicher Ebene, wären dazu folgende Forderungen auf Träger-, Einrichtungs- und Fachebene aufzustellen:

  • Die Aufnahme des Themas in die Curricula der Berufsausbildungen
  • Eine vermehrte Forschung zu wirksamen Interventionen und Strategien
  • Die Erarbeitung von Handlungsempfehlungen durch Fachgesellschaften, Berufsverbände etc. für Praxis
  • Die Entwicklung von Instrumenten zur individuellen Risikoeinschätzung für Gesundheitsgefahren durch Hitze
  • Eine umfassende Berücksichtigung im Versorgungs-/Pflegeprozess mit interdisziplinärem Zugang
  • Die Schulung der Mitarbeiter*innen als Multiplikator*innen
  • Die Entwicklung und Implementierung eines Hitzeschutzplans als Basis in jeder Gesundheitseinrichtung als Qualitätsmerkmal
  • Die Behandlung des Themas als Querschnittsmaterie und bestimmendes Element in den Versorgungsprozessen

Bleibt die Frage, was kurzfristig getan werden kann? Die Förderung und Entwicklung der individuellen Gesundheitskompetenz könnte ein Lösungsansatz sein, der sowohl zentraler Auftrag, als auch – nach ihrem Wesen – Stärke der Gesundheits- und Krankenpflege sein kann. Laut der Europäischen Gesundheitskompetenzstudie (HLS-EU) aus dem Jahr 2011 verfügen 18,2% der in Österreich lebenden Bevölkerung über „unzureichende“ und 38,2% über „problematische“ Gesundheitskompetenz (Sorensen et al., 2015). Gesundheitskompetenz bezeichnet dabei die Fähigkeit von Menschen, den komplexen Anforderungen des Gesundheitswesens in der modernen Gesellschaft gerecht zu werden. Vor allem Personen, die unter chronischen Erkrankungen leiden, haben hier bei geringer Gesundheitskompetenz Schwierigkeiten mit dem Selbstmanagement (van der Gaag et al., 2022). Isselhard et al. (2022) konnten fünf Dimensionen für Gesundheitskompetenz identifizieren, welche im Rahmen der Gesundheitsversorgung adressiert werden könnten: Wissen, Informationssuche, Fähigkeit zur Selbstregulation, Verantwortungsübernahme und Kommunikations-/Interaktionsfähigkeiten.

Vor allem die Weitergabe von Wissen im Rahmen von Edukationsmaßnahmen und Beratungen durch die Pflege, könnte die Handlungsfähigkeit der Betroffenen steigern. Die Erkrankten sollen befähigt und ermutigt werden selbst kompetente Entscheidungen zu treffen, um Komplikationen zu vermeiden. Diese können von präventivem Verhalten (Wie stelle ich sicher, dass ich genug Flüssigkeit zu mir nehme?), über den Lebensstil (Wann soll ich an Hitzetagen meine Termine planen?), bis zu Überlegungen zu therapeutischen Interventionen (Muss meine Medikation im Sommer angepasst werden?) und Sofortmaßnahmen (Ich habe Anzeichen von Überhitzung, was muss ich tun?) reichen.

Der Zugang zu vulnerablen Gruppen und das hohe Vertrauen der Bevölkerung in die Gesundheits- und Krankenpflege in ihrer Funktion als zentrale Anlaufstelle für Patient*innen in Gesundheitsfragen sind hier ebenso Vorteil wie Chance. Pflegepersonen sind Wissens- und Know-How-Träger*innen mit einem ganzheitlichen Gesundheitsverständnis und großer Glaubwürdigkeit. Es besteht die Notwendigkeit für die Pflege sich der Verantwortung zur Prävention von Gesundheitsrisiken durch Klimawandel und Hitze zu stellen und Erkrankte bei der Bewältigung von Gesundheitsbelastungen zu unterstützen, sowohl auf der Mikro-, als auch der Makroebene.

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Literatur

Baccini,M., Biggeri,A., Accetta,G., Kosatsky,T., Katsouyanni,K., Analitis,A., Ross Anderson,H., Bisanti,L., D`Ippoliti,D., Danova,J., Forsberg,B., Medina,S., Paldy,A., Rabczenko,D., Schindler,C., Michelozzi,P.(2008). Heat effects on mortality in 15 European cities. Epidemiology . 2008 Sep;19(5):711-9.

Desai,Y., Khraishah,H., Alahmad,B. (2023).Heat and the heart. Yale J Biol Med . 2023 Jun 30;96(2):197-203.

Dietrich,J., Hammerl, J.A., Johne,A., Kappenstein,O., Löeffler,C., Nöckler,K., Rosner,B., Spielmeyer,A., Szabo,I., Richter,M.H.(2023). Auswirkungen des Klimawandels auf lebensmittelassoziierte Infektionen und Intoxikationen.Journal of Health Monitoring 2023 8(S3).

Gaag van der,M., Heijmans,M., Spoiala,C., Rademakers,J. (2021). The importance of health literacy for self-management: A scoping review of reviews. Chronic Illness 18(2):174239532110354.

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Hübler, M., Klepper, G., Peterson, S. (2007): Costs of climate change – the effects of rising temperatures on health and productivity in Germany. Ecological Economics 68

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Isselhard,A., Lorenz,L., Mayer-Berger,W., Radaelli,M., Stock,S. (2022): How Can Cardiac Rehabilitation Promote Health Literacy? Results from a Qualitative Study in Cardiac Inpatients. Int J Environ Res Public Health. 2022 Jan 24;19(3):1300.

Liu, J., Varghese, B.M., Hansen, A., Zhang, Y., Driscoll, T., Morgan, G., Dear, K., Gourley, M., Capon, A., Bi, P. (2022). Heat exposure and cardiovascular health outcomes:a systematic review and meta-analysis. Lancet Planet Health 2022; 6: e484–95.

Mezger, N.C.S., Thöne, M., Wellstein, I., Schneider, F., Litke, N., Führer, A.G., Clar, C., Kantelhardt, E.J.: (2021): Climate protection in practices – current status, motivation and challenges in outpatient care. Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes. 2021 Nov:166:44-54.

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Steininger, K.W., Bednar-Friedl, B., Knittel,N., Kirchengast,G., Nabernegg,S., Williges,K., Mestel,R., Hutter,H.-P., Kenner,L. (2020). Klimapolitik in Österreich: Innovationschance Coronakrise und die Kosten des Nicht-Handelns. Wegener Center Research Briefs 1|2020, Wegener Center Verlag, Universität Graz, Austria.

Traidl-Hoffmann,C., Schulz,C., Herrmann,M., Simon,B. (2021). Planetary Health. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.

Walinski,A., Sander,J., Gerlinger,G., Clemens,V., Meyer-Lindenberg,A., Heinz,A. (2023). The effects of climate change on mental health. Dtsch Arztebl Int 2023; 120: 117–24.

Winkelmayr, C., Matthies-Wiesler, F., Muthers, S., Buchien, S., Kuch, B., an der Heiden, M., Mücke, H-G. (2023). Hitze in Deutschland: Gesundheitliche Risiken und Maßnahmen zur Prävention. Journal of Health Monitoring 2023 8 54.

Zacharias,S., Koppe,C., Mücke,H.-G.(2015). Climate Change Effects on Heat Waves and Future Heat Wave-Associated IHD Mortality in Germany. Climate 2015, 3(1), 100-117.

Zur Person

Mayer Barbara, MSc BSc,

DGKP, Pflegewissenschafterin

Zert. Klimamanagerin

Mayer.barbara.m@gmail.com

Tel.: 0664 73075328

(2025, November 15).
Gesundheitsrisiken durch Hitze und Klimawandel
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