Die Kursteilnehmer*innen in Basiskursen des Sicherheits- und Deeskalationsmanagements erwarten häufig – und das mit voller Berechtigung – durch die Kurse auf die Herausforderungen des Alltags mit Aggression und Gewalt vorbereitet zu werden. In der Trainer*innenausbildung ist eine der Herausforderungen zu erlernen, wie diese Inhalte als spätere*r Trainer*in den Teilnehmer*innen vermittelt werden können. In den Erwartungsrunden am Beginn des jeweiligen Kurses sind Begriffe wie „Deeskalieren können“, „für alle Situationen gerüstet sein“, „Techniken für Akutsituationen“ und dergleichen mehr zu hören oder zu lesen. Hin und wieder spricht ein*e Teilnehmer*in Anliegen aus, die (scheinbar) in eine andere Richtung gehen: „mich selbst beruhigen und zentrieren“, „Eigendeeskalation“ oder „nicht auf Provokationen anspringen“ sind Formulierungen, die eine andere Richtung andeuten könnten. Aber liegen die unterschiedlichen Erwartungen, die hier aufgezählt wurden, wirklich so weit voneinander entfernt?
Deeskalationskurse ebenso wie die Trainer*innenausbildung folgen einem Curriculum, welches die Vermittlung der vorgesehenen Inhalte regelt und sicherstellt. Der*dem Trainer*in oder Vortragenden bleiben Möglichkeiten der didaktischen Gestaltung der Einheiten bis zu einem gewissen Punkt offen – die „Freiheit der Lehre“ ist hier sowohl in den Kursen als auch in der Trainer*innenausbildung auf Basis der vorgegebenen Inhalte eine Möglichkeit, selbst Akzente und Schwerpunkte zu setzen. Viele Trainer*innen stehen gerade am Beginn ihrer Tätigkeit vor der Herausforderung, ihre Kurseinheiten „mit Leben zu erfüllen“, weil „Folienkaraoke“ alleine keinen befriedigenden Kurs und keine zufriedenen Teilnehmer*innen hinterlässt. Und dann soll das Ganze auch noch unter dem Aspekt der wichtigen und richtigen Grundhaltung vermittelt werden, welche doch bekanntlich so schwer zu vermitteln ist?!
Durch die gezielte Auseinandersetzung mit spezifischen Inhalten rund um das Thema Deeskalations- und Sicherheitsmanagement wird das Wissen jeder und jedes einzelnen erweitert und vertieft. Es wird eine Verbindung zu eigenen Erfahrungen hergestellt und so kann der eigene „Werkzeugkoffer“ im alltäglichen Anwenden deeskalierender Kommunikation und notwendiger Interventionen stetig erweitert werden. Das erzeugt zunehmende Sicherheit im eigenen Denken und Handeln und wirkt sich damit auch auf das eigene Auftreten in schwierigen Situationen positiv aus.
Der trügerische Wunsch Strategien zu erlernen, wie doch bitte die anderen dazu gebracht werden können, keine Gewalt auszuüben, sich respektvoll zu verhalten, „brav“ zu sein, kann jedoch nicht erfüllt werden. Die Beschäftigung beispielsweise mit Aggressionstheorien führt dazu, sich eigene Vorurteile bewusst zu machen – das ist nicht immer einfach und oftmals gar nicht so angenehm. Nur zu schnell schließt man von einem Krankheitsbild auf bestimmte Verhaltensweisen, stempelt die Person ab, lässt sich in Dienstübergaben unter dem Titel „Psychohygiene“ über diese aus, ohne zu bedenken, dass dies auch für die nachfolgenden Diensthabenden eine große Beeinflussung darstellen kann. Was nicht heißt, dass nicht auf potentiell gefährliche Dinge aufmerksam gemacht werden soll. Aber auch hier sollte eine sachliche Information erfolgen und bekanntlich macht der Ton die Musik. Letztlich kann Veränderung nur bei jeder und jedem selbst beginnen, nur unser eigenes Verhalten können wir ändern und unsere eigene Haltung können wir kritisch hinterfragen, reflektieren und wachsen lassen.
Aber dies bringt keineswegs nur Nachteile mit sich, es begründet auch das Verständnis von Selbstwirksamkeit – mein Verhalten wirkt sich direkt auf den Ausgang von Situationen aus. Ich kann mich aktiv dafür entscheiden, meinem Bauchgefühl zu folgen, eine Person anzusprechen, ein offenes Ohr für die Bedürfnisse, Ängste, Sorgen anbieten und so zu einem hohen Prozentsatz potentiell eskalierende Situationen verhindern oder zumindest abzumildern.
Das Erlernen von Kommunikationsmodellen, die deeskalierend wirken, stärkt die eigenen Fähigkeiten. Oft ist eine gewisse Sprachlosigkeit erkennbar, es ist schwierig die richtigen Worte zu finden, man möchte keinesfalls etwas „Falsches“ sagen. Und auch das Erlernen der kommunikationsgestützten Körperinterventionen erweitert den eigenen Handlungsspielraum. Es entwickelt sich ein Gefühl für die eigene Präsenz im Raum, wie man auf andere wirkt. Wie verhält es sich mit Nähe und Distanz? Wie kann ich Sicherheit gewährleisten oder wiederherstellen? Dies sind Beispiele, wie sich der „Werkzeugkoffer“ im Rahmen der Kurse immer weiter füllt.
Es stellt sich die Frage, wie das alles ins eigene Repertoire aufgenommen werden kann? Oftmals entsteht das Zuwarten aus einer Angst heraus, der Situation nicht gewachsen zu sein, nicht zu wissen, was man sagen oder tun soll. Aber es ist wie in der Ersten Hilfe – das einzig falsche ist, nichts zu tun.
Die Erfahrung aus unzähligen durchgeführten Kursen im Deeskalationsmanagement zeigt: die deeskalierende Grundhaltung im Umgang mit Kolleg*innen, Klient*innen und Patient*innen wird nicht in der Mittwochs-Vormittagseinheit mittels Vortragsfolien und Gruppenarbeiten vermittelt – sie wächst von der ersten Einheit des Kurses bis zur letzten und liegt oft zwischen den Inputs und Vorträgen vergraben. Die Haltung, mit der Trainer*innen mit ihren Teilnehmer*innen in Kontakt treten – wertschätzend, auf Augenhöhe, unter Aussparung jeglicher „oberlehrerhaften“ Züge – vermittelt genau jene Haltung, die auch im Umgang mit der Zielgruppe der Teilnehmer*innen relevant ist. Die Teilnehmer*innen in ihrer Unterschiedlichkeit, ihrer Diversität, ihren Berufsgruppen, Rollen und Aufgaben, ihrer Motivation und ihren Ängsten genau dort abholen, wo sie stehen, ist die Aufgabe der Trainer*innen. Die einzelnen Kurseinheiten bieten hier unendlich viele Möglichkeiten – und dies ganz abseits der Inhalte: Wie werden Aussagen von Teilnehmer*innen wahr- und ernstgenommen, wie werden andere Meinung zugelassen und respektiert, wie wird die Gruppe gesteuert, dass eine Atmosphäre des Wohlbefindens geschaffen wird, wie agieren die Trainer*innen mit- und untereinander, wie wird mit schwierigen Situationen umgegangen, die während des Kurses entstehen – für all diese Aspekte gibt es kein Drehbuch und keine Vorgaben. Die*der Trainer*in selbst ist das Werkzeug, das hier aktiv wird und Haltung vorlebt.
Mit jeder Unterrichtseinheit, jedem Tag festigt sich bei den Teilnehmer*innen ein Teil dieser Haltung, die sie in ihren beruflichen Alltag mitnehmen können. All die oben genannten Aspekte sind von höchster Relevanz für den Umgang mit Patient*innen, Klient*innen oder Kolleg*innen im Sinne der Primärprävention von Gewalt und Aggression. Wir arbeiten mit einem Gegenüber, das sich auf Augenhöhe abgeholt und verstanden fühlen möchte, nie gleicht ein Mensch dem anderen, jede*r von uns hat Erwartungen und Ängste, die wahrgenommen werden sollen, um sich respektiert zu fühlen. Genau dort beginnt Deeskalation mittels Haltung – im normalen Umgang miteinander, lange bevor es zu Ärger und Agitation kommt, weit entfernt von Eskalationen und Übergriffen. Deeskalationsstrategien in die eigene Grundhaltung einzubauen, auf andere zuzugehen, nachzufragen, aktiv zuzuhören, ehrliches Interesse zeigen – das sind Strategien, die schwer zu unterrichten sind und noch schwieriger als Schablone übergestülpt werden können. Aber das „Lernen am Modell“ – das Vormachen und Vorleben – kann hierbei innerhalb der Vermittlung der theoretischen und praktischen Inhalte hervorragend ein- und umgesetzt werden. „Einfach zum Nachmachen“ – lebe als Trainer*in genau diese Haltung vor, anhand deines Beispiels wird die große Herausforderung, Haltung zu gestalten, gelingen.
Leo Tolstoi: „Alle denken daran, die Welt zu verändern, aber niemand denkt daran, sich selbst zu ändern.“ – wir schon!
Kerstin Wimmer, BA
hat 2009 in Kinder- und Jugendlichenpflege diplomiert und 2015 das Studium „Psychiatrische Pflege/Psychische Gesundheit“ an der FHDD in Bielefeld/D abgeschlossen. Von 2009-2019 war sie an der Univ. Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am AKH Wien tätig, seit 2019 arbeitet sie im Landesklinikum Mistelbach in einer Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Sie ist seit 2016 Trainerin für Deeskalations- und Sicherheitsmanagement im Gesundheitswesen, Vorstandsmitglied im Verein NAGS Austria und innerhalb der freiberuflichen Trainerinnentätigkeit auch in der Trainer*innenausbildung aktiv.
Christoph Heller, MSc
ist Diplomierter Psychiatrischer Gesundheits- und Krankenpfleger und arbeitet derzeit am Universitätsklinikum AKH Wien. Er absolvierte die Ausbildung zum Trainer und Berater für Sicherheits- und Deeskalationsmanagement sowie das Masterstudium Advanced Nursing Education an der Hochschule Campus Wien. Aktuell ist er in der Pflegeberatung an den Univ. Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie tätig, ist Co-Leiter des Sicherheitsboards für Gewaltprävention und Aggressionsmanagement am AKH Wien sowie interimistischer Leiter des Zentralen Sicherheitsboards des Wiener Gesundheitsverbundes. Er ist Vorstandsmitglied im Verein NAGS Austria und freiberuflich als Vortragender und Trainer tätig.
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