Der Sommer hat in aller Deutlichkeit gezeigt, welche Patient*innen in unserer Wundambulanz am meisten Aufmerksamkeit benötigen. Menschen mit einer chronisch venösen Insuffizienz (CVI) und deren Folgen leiden massiv unter der Hitze des Sommers in Form von Beinödemen, Hautdefekten oder die fortgeschrittene Form – dem Ulcus Cruris venosum (UCV). Die Betroffenen finden oft mit den Worten: „es rinnt Wasser aus meinen Beinen“ zu uns. Sie sind aufgrund der Tatsache verzweifelt, dass sie teilweise eine regelrechte Spur von Exsudat an ihrer Kleidung, im Schuhwerk und dem Bett hinterlassen, was den Leidensdruck zusätzlich massiv erhöht.
In unserer Wundambulanz in Wien wurden in den vergangenen 15 Monaten 727 Kompressionsverbände angelegt, was deutlich macht, wie hoch die Anzahl der Patient*innen mit einer zu versorgenden CVI ist. Leider kommen sie meist erst spät, wenn schon Hautdefekte vorhanden sind. Häufig aus Unwissenheit wie es zu verhindern wäre, aber oft auch als Rezidiv eines abgeheilten UCV. Laut der S2k-Leitlinie der deutschen Gesellschaft für Phlebologie und Lymphologie belegt eine Studie aus Deutschland, dass der Patient*innenanteil eines Wundzentrums mit 1000 Patient*innen bei 51,3%mit UCV liegt und die Rezidivrate immerhin bei 70% im Zeitraum von sechs Monaten nach Abheilung. Dies spiegelt sich in unserem Alltag wieder. Häufig ist die CVI begleitet von arterieller Hypertonie, Adipositas, Diabetes Mellitus Typ II und einer Hyperlipidämie. (AWMF online, Stand 30.01.2024, S. 17 und 21)
Bei einem Erstgespräch werden all diese Faktoren abgeklärt, da die Behandlung des UCV allein nicht ausreichend ist. Wie bei den meisten Krankheitsbildern, ist ein ganzheitlicher Blick nötig, um erfolgreich das Ziel der Abheilung zu erreichen. Dazu werden Wundabstriche gemacht, Blutbild und Entzündungswerte im Labor bestimmt, ein Behandlungsplan mit Ärztin und Pflege erstellt. Die eine, häufig genutzte und einfach umzusetzende Begleitmaßnahme ist die Kompressionstherapie. Sie ist nach unseren Erfahrungen das schnellste und effizienteste Mittel, um den hohen Druck im Gewebe und damit die Spannung der Hautoberfläche zu verringern. Natürlich wird vor Beginn der Kompressionstherapie von ärztlicher Seite geklärt, ob ausreichend Durchblutung in den Beingefäßen vorhanden ist, und es wird in absehbarer Zeit ein Termin in unserer Gefäßambulanz zur genaueren Abklärung der Ursache vereinbart. Kontraindikationen wie eine schwerwiegende periphere arterielle Verschlusskrankheit sowie eine dekompensierte Herzinsuffizienz müssen ausgeschlossen sein. Laut S2k Leitlinie der AWMF gilt: “Bei Patient*innen mit Ulcuscruris venosum mit begleitender peripherer arterieller Verschlusskrankheit mit einem Ankl-Brachial-Index (ABI) über 0,5 oder einem absoluten Knöchelarteriendruck über 60 mmHg sollte eine Kompressionstherapie erfolgen, sofern keine weiteren Kontraindikationen vorliegen.“ (Zit. AWMF S2k Leitlinie Diagnostik und Therapie des UCV, Stand 30.01.2024, Seite 37, 38)
Die Alltagssituation in unserer Ambulanz ist folgende; Patient*innen mit massiven Beinödemen und einem hohen Exsudatverlust sowie schmerzhaften, oftmals multiplen Wunden wenden sich an uns. Ihre Lebensumstände sind unerträglich geworden, denn Sie können ihr Schuhwerk nicht tragen, die Hosen werden zu eng und häufig riecht das Ganze. Gerade Menschen, bei denen dieses Ausmaß der CVI zum ersten Mal auftritt, ist die Überforderung mit der Situation sehr groß – es macht Angst und ist von Scham begleitet. Eine weitere Erschwernis ist, dass es oft einige Anläufe braucht, um an der richtigen Stelle für dieses Anliegen zu landen. Viele Patient*innen erzählen uns, wo sie vorher überall waren und wie lange sie damit schon leben, was sie alles versucht haben. Somit gilt es, mit viel Feingefühl der Situation und dem Menschen zu begegnen, eine der Wundsituation entsprechende Therapie zu erstellen und den Patient*innen zu erklären, dass eine Kompressionstherapie nötig ist. Klingt einfach, aber die angebotene Lösung, im Sommer bei hohen Temperaturen Bandagen zu tragen wird nicht immer mit Freude angenommen. Denn das bedeutet gleichzeitig, dass nicht einfach geduscht werden kann und schwimmen fällt ebenso flach. Für viele ist das eine große Herausforderung, vor allem, wenn vielleicht schon ein Urlaub gebucht wurde. Bedenken, dass die Enge der Kompression nicht ausgehalten werden kann und es schmerzhaft ist, kommen ebenso hinzu.
All das zeigt, wie viel Aufklärungsarbeit und Information nötig ist, um die Sinnhaftigkeit des Ganzen zu vermitteln. Erfolg wird sich nur dann zeigen, wenn alle Beteiligten dasselbe Ziel haben und das Bewusstsein für die nötigen Maßnahmen klar sind. Wenn das zu Beginn erfolgreich geklärt wurde und eine Vertrauensbasis geschaffen ist, sollte die Kompressionstherapie von geübten Personal angelegt werden. Es ist notwendig zu wissen, welche Technik und welche Bandagen für die individuelle Situation nötig ist. Welche Stellen mit besonderer Sorgfalt gepolstert und welches Material als Hautschutz geeignet ist. Ebenso hat die Hautpflege unter den angelegten Bandagen einen hohen Stellenwert, da die Kompressionstherapie für mehrere Tage belassen wird (je nach Exsudat und Wundzustand) und diese gut gepflegt sein soll. Bei starker Schwellung der Vorfüße wird ebenso ein entsprechendes Schuhwerk empfohlen, welches keinen zusätzlichen Druck und somit Hautdefekte verursacht. Zu Beginn ist die Entstauung meist schneller, Bandagen lockern sich und verrutschen. Dadurch können weitere Defekte des ohnehin vulnerablen Hautbildes entstehen, was unbedingt zu vermeiden ist. Deshalb ist eine höhere Frequenz des Ambulanzbesuches nötig, ebenso um möglichst engmaschig eine Tendenz des Verlaufes zu kontrollieren.
Zeigt die Kompressionstherapie innerhalb der ersten Besuche keine Wirkung, wird von ärztlicher Seite her abgeklärt, ob eine zusätzliche Entwässerungstherapie nötig ist bzw. wird natürlich auf Infektionszeichen geachtet und falls nötig entsprechende Maßnahmen eingeleitet. Größtenteils zeigt sich recht schnell ein Erfolg und die massiven Exsudatmengen reduzieren sich, die Schwellung geht zurück, das Verbandsmaterial wird dünner. Jetzt kann vermehrt die Aufmerksamkeit auf die Wundversorgung gelegt werden. Patient*innen sind ab dem Zeitpunkt schon etwas entspannte rund erkennen durch die Verbesserung die Sinnhaftigkeit ihrer Mühen. Sobald ein Normalzustand des Beinumfangs absehbar ist, kommt der nächste wichtige Schritt, die Bewusstmachung um Erhaltungstherapie – bedeutet, den Patient*innen klarmachen, dass ein Tragen der Kompressionstherapie zur Vorbeugung von Rezidiven vor allem im Sommer fast unumgänglich ist. Nachdem im besten Fall schon seitens der Gefäßambulanz abgeklärt wurde, welche Gefäßproblematik in welchem Ausmaß vorliegt, kann unsere Orthopädietechnikerin eingeladen werden, um die optimalen Kompressionsstrümpfe individuell anzupassen. Unterschiedliche Systeme werden entsprechend der Diagnose, Vorlieben und Handhabbarkeit besprochen und bestellt. Laut Leitlinie soll zumindest eine Kompressionsklasse 1 bis zum Knie, bei patientenseitiger Toleranz eine höhere Kompressionsklasse zur Behandlung eines Rezidivs getragen werden. Ab diesem Zeitpunkt ist wieder die vollständige Aufklärung und Informationsweitergabe notwendig, denn häufig findet die Tatsache auf lange Frist Strümpfe – vor allem im Sommer –tragen zu sollen, fürs Erste keinen freudigen Anklang. Allerdings habe ich mittlerweile schon häufig gehört, dass viele unserer Patient*innen das Tragen von Kompressionsstrümpfen angenehmer finden, als das Ertragen müder und gestauter Beine.
Kompetenz, klare Informationen und vertrauensbildende Gespräche sind Grundvoraussetzung, um eine gute Adhärenz zu erreichen. Damit sind wir wieder bei einer der Kernkompetenzen des diplomierten Pflegepersonals, zuhören – die Person in ihrer oder seiner Gesamtheit erfassen, Ressourcen erkennen und besprechen, Ziel definieren, Maßnahmen einleiten, Evaluieren und Zustand erhalten.
S2k-Leitlinie Medizinische Kompressionstherapie der Extremitäten mit Medizinischem Kompressionsstrumpf (MKS), Phlebologischem Kompressionsverband (PKV) und Medizinischen adaptiven Kompressionssystemen (MAK) abgerufen am 25.07.2025 https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/037-005
Verena Teixeira Martins,
arbeitet seit 2017 als DGKP für die ÖGK und hat die Ausbildung zur Wundmanagerin 2019 abgeschlossen. Sie ist seit einigen Jahren in diesem Beruf tätig und konnte Erfahrung in den verschiedensten Bereichen mit unterschiedlichsten Krankheitsbildern sammeln, in ihrer Wundambulanz vertieft zum Thema Versorgung chronischer Wunden sowie Kompressionstherapie.
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