Das vorherrschende Konsum- und Produktionsnarrativ dient oft als unhinterfragte Handlungsdirektive, die die wahren Kosten von Umweltzerstörung usw. verheimlichen. Die Berufsbilder des Gesundheitssystems sind für den fürsorglichen Umgang mit den menschlichen Lebensgrundlagen prädestiniert, denn Umweltschutz- ist Gesundheitsschutz. Die Gesundheitspflege ist neben der Krankenpflege insbesondere bei den Diplomierten Gesunden- und Krankenpfleger:innen gesetzlich verankert. Edukations- und Pflegekompetenzen einer klimasensiblen Medizin, aber auch konkrete Maßnahmen zum Klimaschutz, zur Ressourcenschonung und Abfallvermeidung sind fundamental, dabei gilt es Synergien zu bilden, um sich gemeinsam wirkmächtig den Herausforderungen zu stellen.
Der inflationäre Begriff der Nachhaltigkeit evoziert nicht selten eine Abwehrhaltung, steht er doch mit dem unangenehmen Verzichtsnarrativ in Verbindung – mir wird etwas genommen bzw. verboten!
Betrachten wir dieses Narrativ mit seiner Wertelogik ein wenig genauer: Wertelogiken sind Wertsetzungen, die auf menschliche Entscheidungen beruhen. Sie sind weder auf göttliche noch auf natürliche Gesetze zurückzuführen. Die Werthaltungen, was wir gut und was wir schlecht finden, lassen sich in den täglichen Praxen und in den kulturellen Mustern wiederfinden. Nachweisbare kulturelle Muster sind bspw. in Werbeslogans zu finden, diese spiegeln die gesellschaftlichen Werte wider und nehmen aber auch einen Einfluss auf die kulturelle Werte(re)produktion.
„Geiz-ist-geil!“, suggeriert, möglichst viel Konsum für möglichst wenig Geld zu kaufen. Gedanken der Produktherstellung (Menschenrechtsverletzungen, Umweltzerstörung usw.) und der Produktherkunft (Transportwege usw.) werden ausgeblendet. Am Ende zählt nur der Preis. Ein weiteres paradigmatisches Beispiel ist „Nur das Neue ist das Gute!“, dies suggeriert, dass das Alte/Gebrauchte schlecht ist. Das Alte bzw. das Schlechte kann man auf Gegenstände oder aber auch auf Menschen übertragen. In unserer kapitalistisch geprägten Kultur lässt sich eine zunehmende Altersdiskriminierung (Ageismus) empirisch bestätigen, diese äußert sich unter anderem darin, dass die Vermittelbarkeit älterer Personen am Arbeitsmarkt sinkt. Ebenso wird eine unendliche Wachstumslogik (BIP) und ein Optimierungsimperativ suggeriert.
Der Konkurrenzgedanke und die Beschleunigung kommen bspw. im Slogan „First come, first serve!“ zum Ausdruck. Verkürzte Produktzyklen (bspw. Einmalmaterialien) und gezielte Qualitätseinbußen (Obsoleszenz) haben sich in weiten Teilen durchgesetzt. Kulturelle Muster/Narrative beeinflussen unsere Wahrnehmung, unsere Meinungen (unser Menschenbild), unser Denken, unsere Entscheidungen und in weiterer Folge unsere Handlungen (vgl. Vogetseder 2020).
Ein nachhaltiger Klimaschutz, eine sinnvolle Ressourcenschonung und intelligente Abfallvermeidung liegen in unser aller (Überlebens)Interesse. Wir müssen unsere Lebensgrundlagen fürsorglich schützen, denn ohne die passenden Umweltbedingungen, die uns Wasser, Luft und Nahrung bereitstellen, sind wir nicht überlebensfähig. Je besser deren Qualität, desto gesünder und besser können wir leben. Menschen sind nur im beschränkten Maße fähig, sich an Hitze anzupassen. Eine unzureichende Wärmeregulation haben v. a. Kinder, ältere Personen und kranke Menschen (bspw. mit Diabetes). Der menschliche Körper versucht bei Hitze durch Schwitzen und Zunahme der peripheren Durchblutung Wärme abzugeben. Das bedeutet, dass das Herz mehr arbeitet und die Organe wie bspw. Niere sowie Leber weniger durchblutet werden (bspw. mit Änderung der Metabolisierung von Arzneimittel). Bei einer Körpertemperatur von 42 Grad Celsius denaturiert das Körpereiweiß und bereits bei einer Außentemperatur von 30 Grad Celsius ist die Leistungsfähigkeit stark eingeschränkt (vgl. ZEIT FORUM Gesundheit 2023).
Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) hat errechnet, dass eine jährliche Temperatursteigerung von mehr als 0,01 Grad Celsius zu Störungen in den Ökosystemen führt. Das heißt, dass jedem Menschen lediglich 5 kg CO2/Tag zustehen würden (vgl. Schlumberger 2006), aber die durchschnittliche CO2-Produkion der Österreicher:innen liegt bei 23 kg/Tag/Person.
Umweltschutz ist Gesundheitsschutz
Das Gesundheitssystem ist sehr ressourcenintensiv, produziert eine Unmenge an Müll sowie extreme Mengen an klimaschädlichen Emissionen, dennoch ist die Logik des Gesundheits-systems für einen fürsorglichen Umgang mit der Umwelt als Grundlage der Gesundheit prädestiniert. Bei den Menschen, die im Gesundheitssystem tätig sind, liegt eine große transformative Kraft zu einem nachhaltigen, gesunden Lebensstil. Sie können eine bedeutende Wirkungsmacht gegen das vorherrschende Produktions- und Konsumnarrativ ausüben, dabei sind motivierende Nachhaltigkeitsdiskurse sehr hilfreich: Weniger Fleisch essen, ist ein echter Verzicht – ein Verzicht auf Schlaganfall und Herzinfarkt (vgl. SWR 2024).
Co-Benefits sind transformierende Motivationsquellen, wer bspw. aufs Auto verzichtet und mit dem Rad fährt, tut was für die Gesundheit, spart Geld und schützt die Umwelt. Oft gehen sinnvolle nachhaltige Einsparungen, die gut für Umwelt und Gesundheit sind, mit einer gleichzeitigen Senkung von Kosten einher.
Die Gesundheitspflege ist neben der Krankenpflege insbesondere bei den Diplomierten Gesunden- und Krankenpfleger:innen gesetzlich im Berufsbild verankert (vgl. RIS 2025). Die Edukation der Patient:innen/Klient:innen/Heimbewohner:innen und deren Angehörige, bspw. über eine klimagerechte Ernährung (überwiegend pflanzenbasierte Kost, regelmäßige Flüssigkeitszufuhr usw.), Änderung des Verhaltens (Lüftungsverhalten, angepasste Medikamenteneinnahme und Lagerung usw.) und eine klimaangepasste Pflege (aktive Kühlung durch bspw. Pfefferminze-Waschungen, Dehydrationsprophylaxe usw.) sind wichtige Anpassungsmaßnahmen.
Konkrete Beiträge im Klimaschutz, in der Ressourcenschonung und Müllvermeidung sind unverzichtbar, dies kann bspw. in der Umstellung von Einmal- zu Mehrwegprodukten (Mehrwegtablettenboxen, Edelstahlbecher für Tropfen usw.), in einer Papiereinsparung (unnötige Ausdrucke abstellen usw.), in der Optimierung von Bestellung und Lagerhaltung von Medikamenten, Bedarfsartikel usw. und in einer sinnvollen Essensbestellung erfolgen. Sinnvolle Potenziale sind allgemein (für das Gesundheitssystem an sich) und spezifisch (bspw. für den Intensivbereich) zu identifizieren und umzusetzen.
Resignation und weitermachen wie bisher, ist keine Option. Wir müssen den drohenden Klimakollaps ernst nehmen und uns gemeinsam den Herausforderungen stellen. Je früher und je effizienter wir Maßnahmen ergreifen, desto eher sind wir in der Lage, unsere Lebensgrundlagen zu schützen.
Kooperationen sind für die Effizienz und Effektivität der Maßnahmen sehr bedeutungsvoll und Best-Practice-Beispiele dienen als motivierende Leuchttürme.
Unsere Abteilung Nachhaltigkeitsmanagement der tirol-kliniken wurde u. a. für die Schaffung von unentbehrlichen Synergien und um Best-Practice-Beispiele vor den Vorhang zu holen, 2023 ins Leben gerufen. Wenn Sie Fragen, Anmerkungen, Ideen, konstruktive Kritik o. Ä. haben und/oder sich mit uns vernetzen möchten, freuen wir uns über eine Kontaktaufnahme.
Für Nachhaltigkeitsthemen im Gesundheitssystem kontaktieren Sie bitte nachhaltigkeit@tirol-kliniken.at oder für Pflegethemen sabine.vogetseder@tirol-kliniken.at).
Literatur
RIS (2025): Bundesrecht konsolidiert: Gesundheits- und Krankenpflegegesetz § 14, Fassung vom 28.10.2024. Abgerufen am 2025-05-23 von www.ris.bka.gv.at/NormDokument.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10011026&FassungVom=2024-10-28&Artikel=&Paragraf=14&Anlage=&Uebergangsrecht=.
Schlumberger, A. (2006): 50 EINFACHE DINGE DIE SIE TUN KÖNNEN, UM DIE WELT ZU RETTEN UND WIE SIE DABEI GELD SPAREN. München: Hyne-Verlag.
SWR (2024): Klimawandel und Gesundheit. Abgerufen am 2025-05-23 von www.ardmediathek.de/video/science-talk/klimawandel-und-gesundheit/swr/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzE5ODk2OTE
Vogetseder, S. (2020): Nachhaltigkeit ist das neue Normale: Zirkularität der Nachhaltigkeitsimplementierung in einer polykontexturalen medizinischen Organisation. Abgerufen am 2025-05-21 von https://diglib.uibk.ac.at/ulbtirolhs/content/titleinfo/5392796.
ZEIT FORUM Gesundheit (2023): Wie der Klimawandel unsere Gesundheit bedroht. Abgerufen am 2025-05-21 von https://www.zeit.de/video/2023-11/6341174968112/zeit-forum-gesundheit-wie-der-klimawandel-unsere-gesundheit-bedroht.
Sabine Vogetseder, BA, MA, LL.M,
ist seit 1994 an der internistischen Intensivstation an der Univ.-Klinik Innsbruck als Pflegefachkraft tätig. Das grundlegende Interesse an der Menschenwürde und der gesellschaftlichen Widerstandskraft veranlasste sie zu den Studien der Soziologie, der sozialen und politischen Theorie sowie des Medizinrechts an der Innsbrucker Leopold-Franzens-Universität. Seit August 2024 verstärkt Sabine Vogetseder das Team des Nachhaltigkeits-managements der Holding tirol kliniken.
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