Wie kann Patient*innensicherheit im Alltag der Ausbildung konkret erlebbar gemacht werden? Mit dieser Frage hat sich Carmen Kreuzer – Zentrale Praktikumskoordinatorin für Pflegeberufe an der Klinik Hietzing – intensiv beschäftigt. Die Antwort: ein Simulationsraum, der Risiken sichtbar und begreifbar macht. Im Interview erzählt sie von der Entstehung, dem Ablauf und den Zielen des Projekts „Room of Risks“ und warum genau dieser Raum weit mehr ist als nur ein Übungssetting.
Frau Kreuzer, Sie sind Zentrale Praktikumskoordinatorin für Pflegeberufe in der Klinik Hietzing. Können Sie uns ein wenig über Ihre Aufgaben und Verantwortungen erzählen?
Als Koordinatorin der Praxisanleitung bin ich für die Organisation und Koordination der Praktikumsstellen in der Klinik Hietzing für Studierende und Auszubildende in den Pflegeberufen zuständig.
Ich stehe mit den in Ausbildung befindlichen Kolleg*innen, mit den unterschiedlichen Ausbildungsstellen von Wien und den anderen Bundesländern, sowie mit den Abteilungen und Stationen der Klinik Hietzing in regelmäßigen Kontakt. Mit Antritt dieser Funktion, erstellte ich ein Konzept, welches den organisatorischen Ablauf der Praktika regelt und vereinheitlicht. Ich führe regelmäßig Gespräche mit allen Studierenden und Auszubildenden und bin Ansprechpartnerin für Fragen und Anliegen.
Der „Room of Risks“ wurde als innovatives Projekt zur Förderung der Patient*innensicherheit ins Leben gerufen. Was war Ihre persönliche Motivation, dieses Projekt zu initiieren, und wie sind Sie zur Idee gekommen?
In meiner früheren Funktion als Stationsleitung Pflege habe ich mir bereits Gedanken darüber gemacht, wie zum Thema Patient*innensicherheit ein effizienter Theorie-Praxistransfer für Studierende und Auszubildende gewährleistet werden kann.
Da dieses Thema vielfältig ist und eine hohe Priorität im Stationsalltag darstellt, ist eine Frühsensibilisierung und Bewusstseinsbildung der Studierenden und Auszubildenden für mögliche Risiken und Gefährdungen erforderlich und unerlässlich.
„Room of Risks“ ist ein Simulationsraum, der realen Gefährdungen und Risiken für Patient*innen darstellt. Was genau passiert in diesem Raum, und wie können Auszubildende und Pflegekräfte davon profitieren?
Das Angebot richtet sich primär an Auszubildende und Studierende. Die Studierenden und Auszubildenden gehen nach einem Informationsgespräch in Kleingruppen (max. 6 Personen) in den „Room of Risks“, mit dem Ziel, dass jede*r für sich möglichst viele Gefährdungen und Risiken in einem vorgegebenen Zeitrahmen von 12 Minuten erkennt. Anschließend werden in einem Debriefing mit dem Patient*innensicherheitsbeauftragten die Erkenntnisse gemeinsam besprochen und diskutiert sowie fachliche Inputs vermittelt.
Die Idee stammt ursprünglich aus der Schweiz. Wie haben Sie und Ihr Team das Konzept für das österreichische Gesundheitssystem adaptiert, und was war die größte Herausforderung bei der Umsetzung des Projekts in der Klinik Hietzing?
Das Schweizer Konzept bot eine geeignete Grundlage für die Umsetzung in der Klinik Hietzing. In meiner Funktion als Koordinatorin Praxisanleitung hatte ich die Möglichkeit, meine Visionen in die Praxis umzusetzen. Nach Befürwortung dieses Vorhabens durch die damalige Pflegedirektorin, Frau Astrid Engelbrecht, konnte ich mit meinen Kolleg*innen (Pflegeberaterin Frau Andrea Langer und Patient*innensicherheitsbeauftragter Herr Manfred Zottl) mit der Konzeptionierung und der Organisation zur Umsetzung beginnen.
Die größte Herausforderung war die detaillierte Planung und Ausstattung des Simulationsraumes.
Wie genau funktioniert der „Room of Risks“ in der Praxis? Welche konkreten Szenarien werden dort durchgespielt, und wie hilft dies den Pflegekräften und anderen Mitarbeitenden, ihre Fähigkeiten zu verbessern? Können Sie uns ein Beispiel für eine typische Simulation geben und erklären, wie die Auszubildenden darauf reagieren sollen?
Der Room of Risks richtet sich an Studierende und Auszubildende der Pflege. Für sie ist es wichtig die potenziellen Gefahren in einer Simulation zu lernen. Die Studierenden und Auszubildenden gehen nach einem Informationsgespräch in Kleingruppen (max. 6 Personen) in den „Room of Risks“, mit dem Ziel, dass jede*r für sich möglichst viele Gefährdungen und Risiken innerhalb eines vorgegebenen Zeitrahmens von 12 Minuten erkennt. Anschließend werden in einem Debriefing die Erkenntnisse gemeinsam besprochen und diskutiert.
Es handelt sich um ein komplett ausgestattetes Patient*innenzimmer mit drei Dummies als „Patient*innen“, welche unterschiedliche Diagnosen aufweisen. Die dargestellten Risiken beziehen sich auf Themen zur Patient`*innensicherheit, Identifikation, Datenschutz, Hygiene, medikamentöse Anordnungen, Sturzgefahren, Freiheitsbeschränkungen, unterschiedliche medizinische Anordnungen, etc.
Die Risiken werden nach Gefährdungspotenzial priorisiert und verschiedenen Kategorien zugeordnet.
Was sind die wichtigsten Lernziele?
Welche konkreten Maßnahmen ergreifen Sie und Ihr Team, um sicherzustellen, dass die im „Room of Risks“ identifizierten Risiken auch im echten Klinikalltag aktiv angesprochen und minimiert werden?
Die angehenden Pflegekräfte werden in ihrem Stationsalltag von den Praxisanleiter*innen begleitet. So stellen wir sicher, dass im Room of Risks geübte Szenarien auch in den Arbeitsalltag erkannt und souverän gelöst werden.
Zusätzlich vermittelt der Beauftragte für Patient*innensicherheit der Klinik Hietzing im Rahmen von Teambesprechungen, die regelmäßig in allen klinischen Bereichen stattfinden, wichtiges Wissen und Erkenntnisse rund um das Thema Patient*innensicherheit.
Welche Rückmeldungen haben Sie bisher von den teilnehmenden Pflegekräften und anderen Mitarbeitenden erhalten? Gibt es bereits messbare Erfolge oder Veränderungen durch den „Room of Risks“?
Die Teilnehmenden halten die versteckten Gefahren für „äußerst relevant für den Berufsalltag“ und haben beim Debriefing vom gemeinsamen Austausch profitiert. Alle teilnehmenden Studierenden und Auszubildenden würden den „Room of Risk“ weiterempfehlen.
„Praktische Übungen bleiben besser hängen als trockene Theorie.“
„Man wird auf Dinge achtsam, auf welche man eigentlich nicht achten würde.“
„Sehr lehrreich und wichtig für die Zukunft.“
„Achtsamkeit auf Risiken wird gestärkt.“
„Es ist eine interessante Erfahrung und zeigt den Goldstandard.“
Sie sind in der Praktikumskoordination tätig. Wie trägt der „Room of Risks“ zur Ausbildung und praktischen Erfahrung von Pflegekräften bei?
Durch die praktische Lernsituation für angehende Pflegekräfte beginnt die Frühsensibilisierung in einem sicheren Setting, welches einen optimalen Theorie-Praxistransfer gewährleistet. Zudem wird die Achtsamkeit im „Room of Risks“ durch die Schärfung des Blickes für das „Große und Ganze“, gepaart mit der Beobachtung und Wahrnehmung von Details, gefördert. Weiters soll zu einer konstruktiven Fehlerkultur hingeführt werden, in der alle – auch Expert*innen – Fehler machen dürfen.
Patient*innensicherheit ist ein zentraler Bestandteil der Gesundheitsversorgung. Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen, um das Bewusstsein für Patient*innensicherheit im Pflegealltag zu schärfen, und wie kann der „Room of Risks“ dabei helfen?
Patien*tinnensicherheit sollte zweifellos ein zentraler Bestandteil des pflegerischen und medizinischen Handelns sein. Eine große Herausforderung besteht darin, dass in Zeiten knapper personeller Ressourcen Patient*innensicherheit mitunter als Teil der generellen Versorgungssicherheit verstanden wird. Dabei geraten Maßnahmen, die zur aktiven Förderung der Sicherheit beitragen – wie gründliche Checks oder die Analyse von Beinahe-Ereignissen – leicht ins Hintertreffen, da sie Zeit und Aufmerksamkeit erfordern. Zudem ist die Förderung einer offenen und konstruktiven Fehlerkultur ein zentrales Thema. Auch wenn der Satz „Jeder Fehler ist ein Lernmoment“ oft zitiert wird, zeigen sich in der Praxis noch Vorbehalte – etwa die Vorstellung, dass Fehler ein Zeichen von mangelnder Expertise seien. In solchen Arbeitsumfeldern fällt es insbesondere jungen oder sich in Ausbildung befindenden Kolleg*innen schwer, auf potenzielle Risiken hinzuweisen, da dies schnell als Infragestellung der Kompetenz verstanden werden kann. Im Room of Risks erleben die Pflegekräfte der Zukunft: „Du wirst und darfst Fehler machen und sehen. Aber du kannst auch dafür sorgen, dass sie rechtzeitig auffallen – dir und auch anderen.“
Wie sehen Sie die Entwicklung des „Room of Risks“ in den kommenden Jahren? Gibt es Pläne, dieses Konzept auf andere Bereiche der Gesundheitsversorgung auszudehnen oder weiter zu verbessern?
Die einfachste und ressourcenverträglichste Möglichkeit ist, den Room of Risks sowohl fachlich als auch berufsgruppenübergreifend auszuweiten. Also spezielle Szenarien für verschiedene Fachrichtungen, und das möglichst für alle beteiligten Berufsgruppen. Das planen wir auch. Langfristig soll der Raum nicht nur für Auszubildende und Studierende, sondern auch für bestehende Mitarbeiter*innen als Lern- und Übungsort nutzbar sein – im Sinne eines interprofessionellen Trainingsraums, der den sicheren Umgang mit Risiken im Team stärkt.
Wir wollen auch – zumindest fallweise – „echte“ Darstellerinnen für unsere Patient*innen finden. Damit lässt sich auch der Kommunikationsaspekt abbilden. Was alles möglich wäre – das steht noch auf unserer Wunschliste. So wäre z. B. eine Kombination mit Augmented Reality – also das digitale Einspielen mittels AR-Brille von Inhalten in die Realität – eine unglaublich lohnende Erweiterung.
Viele Personen im Pflegebereich beteuern, dass die Arbeit immer risikoreicher wird. Glauben Sie, dass der „Room of Risks“ hier nachhaltig entgegenwirken kann?
Die Anforderungen im Pflegealltag haben sich in den letzten Jahren spürbar verändert. Steigende Komplexität, ein oft hohes Arbeitstempo sowie vielfältige Aufgaben stellen alle Berufsgruppen vor große Herausforderungen. Unter solchen Bedingungen kann es schwieriger werden, im Moment innezuhalten, Abläufe zu reflektieren oder mögliche Risiken frühzeitig wahrzunehmen. Der Room of Risks kann diese Grundthematik nicht lösen, aber die Haltung und den Blick schärfen, um diese Situation besser – und sicherer – zu bewältigen .In einem geschützten Übungsumfeld lassen sich reale Risikosituationen gemeinsam analysieren und bewältigen. Das stärkt nicht nur die fachliche Sicherheit, sondern auch das Vertrauen in die eigene Rolle und in das Team. So leistet der Room of Risks einen wichtigen Beitrag dazu, den oft anspruchsvollen Berufsalltag mit mehr Sicherheit, Klarheit und Handlungskompetenz zu gestalten.
Abschließende Gedanken: Wenn Sie eine Botschaft an junge Menschen hätten, die eine Karriere in der Pflege anstreben, was würden Sie ihnen sagen? Welche Fähigkeiten oder Werte sind besonders wichtig für die Zukunft der Pflegeberufe?
Voraussetzung, um eine Karriere in der Pflege anzustreben, ist die eigene Einstellung zum Beruf. Ein „bissi pflegen“ oder „pflegen kann jeder“ ist definitiv eine falsche Annahme und ein falscher Zugang. Pflege sollte von Empathie, Geduld und Resilienz geprägt sein. Eine positive, engagierte Haltung, Verantwortungssinn sowie Respekt und Würde sind zentrale Werte in der Pflege.
Pflegepersonen sollten in der Lage sein, sich in die Situation von Patient*innen hineinzuversetzen und deren Bedürfnisse und Gefühle zu verstehen. Da ist eine wertschätzende Einstellung entscheidend, um eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. Pflege sollte niemals zu einer bloßen Routine werden, bei der individuelle Bedürfnisse der Patient*innen ignoriert werden. Jeder Mensch ist einzigartig und verdient eine respektvolle, einfühlsame Betreuung.
Generell ist der Pflegeberuf abwechslungsreich und bietet eine Vielzahl von Tätigkeiten, von der medizinischen Versorgung bis hin zur emotionalen Unterstützung. Das sorgt für eine dynamische und interessante Arbeitsumgebung, denn es ist kein Tag wie der andere. Die Vielfalt der Aufgaben, und, um den sich wandelnden Anforderungen im Gesundheitswesen gerecht zu werden, erfordern eine Bereitschaft, sich kontinuierlich fortzubilden und neue Fähigkeiten zu erlernen. Vom Arbeitgeber – dem Wiener Gesundheitsverbund – werden diesbezüglich sehr viele Fort- und Weiterbildungen für die Mitarbeiter*innen angeboten.
Natürlich kann der Pflegeberuf emotional herausfordernd und körperlich anstrengend sein. Und es erfordert von jedem Einzelnen eine Flexibilität und die Bereitschaft unregelmäßige Arbeitszeiten zu akzeptieren, da überwiegend in Schichten, auch nachts und an Wochenenden gearbeitet wird.
Aber nach getaner Arbeit ein Lächeln oder wertschätzende Rückmeldungen von Patient*innen und/oder Angehörigen zu bekommen, sich im Team gemeinsam über den „turbulenten“ Dienst auszutauschen und mit „Schulter klopfen“ feststellen, dass wir es gut gemacht haben, ist ein wertvolles Gefühl, das uns motiviert und inspiriert, jeden Tag unser Bestes zu geben.
Carmen Kreuzer,
Zentrale Praktikumskoordinatorin für die Pflegeberufe und (eine der) Initiator*innen des Room of Risks, Klinik Hietzing
Wir informieren Sie sehr gern über zukünftige Neuerscheinungen und interessante Artikel.
Mit unserem Newsletter informieren wir Sie
1x monatlich über Aktuelles, Neues und Wissenswertes aus dem Gesundheits-, Pflege- und Sozialbereich.
Cookie | Dauer | Beschreibung |
---|---|---|
_ga | 2 years | The _ga cookie, installed by Google Analytics, calculates visitor, session and campaign data and also keeps track of site usage for the site's analytics report. The cookie stores information anonymously and assigns a randomly generated number to recognize unique visitors. |
_ga_8L3SGDD488 | 2 years | This cookie is installed by Google Analytics. |