Während der Markt für Pflegerobotik boomt und als eine Lösungsstrategie der Pflegekrise präsentiert wird, wird selten danach gefragt, wie sich die in der Pflege Beschäftigten eine Zukunft der Pflege vorstellen. Der vorliegende Beitrag wirft ein Schlaglicht auf diese Zukunftsvorstellungen. Acht Beschäftigte in Langzeitpflegeeinrichtungen im Raum Wien erzählen, wie der zunehmende Einsatz von Robotik aus ihrer Perspektive zu bewerten sei. Die Ergebnisse zeigen, dass sich Pflegekräfte eine Übernahme bestimmter Service- und Transporttätigkeiten durch Robotik vorstellen können, zugleich jedoch eine Rationalisierung und Verdrängung von Beziehungsarbeit befürchten.
Die Frage, ob und wie Robotik sinnvoll in der Unterstützung von Menschen mit Pflegebedarf eingesetzt werden kann, setzt zunächst eine Auseinandersetzung mit der Frage voraus, was eine gute Pflege ausmacht. Handelt es sich bei einer guten Pflege vor allem um praktische Handgriffe und Abläufe, oder sind dabei noch andere Aspekte entscheidend (Kitson et al., 2013)? Viele Beschäftigte verfolgen ein Pflegeverständnis, nach welchem der unsichtbare Anteil der Pflegearbeit, wie Beziehungsarbeit, Kommunikation und Vertrauen, eine wesentliche Rolle spielen (Schalek, 2018).
Aktuelle Studien zeigen, dass in der Pflege immer weniger Zeit für Beziehungsarbeit bleibt (Staflinger, 2016) und die Zeitressourcen für Beziehungsarbeit systematisch zu knapp bemessen sind (Glaser & Seubert, 2018). Gleichzeitig steigen die Arbeitsanforderungen an die Beschäftigten bei gleichzeitig niedriger Entlohnung (Mairhuber, 2019). Die Folge ist, dass immer weniger Menschen in den Gesundheits- und Pflegeberufen arbeiten können bzw. wollen oder nach kurzer Dauer aus dem Pflegeberuf aussteigen und die Pflege in die Krise gerät.
Der Einsatz von Robotik soll der Pflegekrise durch die Unterstützung des Personals sowie die Übernahme und Vereinfachung bestimmter Tätigkeiten entgegenwirken. Service- bzw. Transportrobotik, pflegenahe Robotik und therapeutische Robotik zählen dabei zu den wesentlichen Bereichen solcher Robotik-Technologien (Daum, 2017; Hielscher, 2014). Derzeit wird Robotik in der österreichischen Langzeitpflege nur punktuell eingesetzt wird. Die Übernahme von Mensch-zu-Mensch-Interaktionen und von komplexen Handlungsabläufen durch Robotik ist aktuell noch nicht absehbar.
Der vorliegende Beitrag legt mit den nun folgenden Ergebnissen ausschnittsweise die Perspektiven der in der Langzeitpflege und -betreuung Beschäftigten dar, welche in Debatten um die Bearbeitung der Pflegekrise bisher kaum zu hören waren. Insgesamt wurden acht qualitative Interviews mit ausgewählten Beschäftigten in der Langzeitpflege im Raum Wien geführt.
Pflegerobotik aus Sicht der Beschäftigten
Die interviewten Pflegekräfte schätzen einen vermehrten Einsatz von Pflegerobotik als realistisches Zukunftsszenario ein. Nach Meinung der interviewten Pflegekräfte wird die Pflegekrise sogar eher über den Einsatz von Robotik und anderen digitalen Technologien gelöst als über eine Aufwertung von Pflegearbeit und eine Verbesserung von Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen. „Ich glaube, irgendwann wird das [Einsatz von Robotik] sein, vielleicht in 50 Jahren. Das wird auch notwendig werden, in dem Beruf ist das Personal ja jetzt schon bald Mangelware. Da werden sich viele Dinge verschieben in die Richtung“. Während der zukünftige Einsatz von Robotik auf der einen Seite als unumgänglich empfunden wird, stehen die Pflegekräfte diesem auf der anderen Seite grundsätzlich skeptisch bis ablehnend gegenüber. Die negative Einschätzung von Pflegerobotik hängt mit der Befürchtung zusammen, der Einsatz von Robotik könne die Personalsituation weiter verschärfen, indem Robotik das menschliche Personal ersetzen würde. „Und wenn es so weit kommt, dass der Roboter jetzt wirklich den Menschen ersetzen muss, dann wird das traurig sein“. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass die Interviewteilnehmer*innen wenig Vertrauen in das Pflegesystem haben, bereits unter Druck stehende Beziehungsarbeit, Kommunikation und Vertrauen zukünftig sicherzustellen. „Dass das nicht dahin geht, wo meine Sorge ist, dass es keine Gespräche mehr gibt. Dass dieser persönliche Kontakt, diese Zuwendung, dass die nicht verloren geht. Da sehe ich eine große Gefahr mit dem Roboter“. Untersuchungen bestätigen, dass technikgebundene Handlungsabläufe die Aufmerksamkeit des Pflegepersonals von Menschen auf Technologie verschieben und das Verhältnis zwischen Menschen mit Pflegebedarf und Pflegepersonal verändern können (Friesacher, 2010).
Offen stehen die interviewten Pflegekräfte insbesondere einer Übernahme solcher Tätigkeiten gegenüber, die keiner direkten Interaktion mit Menschen mit Pflegebedarf bedürfen und welche daher nicht als Beziehungsarbeit empfunden werden. Als Beispiel für solche Aufgaben nennen die interviewten Personen unter anderem Service- oder Transporttätigkeiten: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Roboter die Menschen ersetzen. Wenn wir uns schon einen Roboter vorstellen, dann als Serviertätigkeiten. [Das heißt,] Essen servieren, abservieren, abwischen. Solche Sachen, die nicht unbedingt ein Mensch machen muss“.
Auch dem Einsatz von Robotik zur Verringerung physischer Belastungen wird positiv begegnet. Pflegekräfte arbeiten unter starken physischen Belastungen, die unter anderem auf das Stemmen schwerer Lasten (z. B. Stützen und Heben pflegebedürftiger Personen) zurückzuführen sind. Sie sind dementsprechend einem deutlich erhöhten Risiko für die Entstehung von muskuloskelettalen Krankheiten ausgesetzt (Leichsenring, Schulmann & Gasior, 2015). „Wenn ich das als Hilfsmittel einsetze, sage ich, ja, wieso sollte mir die Sara 2000 [Aufricht- und Aufstehhilfe] jetzt nicht helfen, den aus dem Bett zu kriegen, wenn es ihm angenehm ist und meinem Rücken auch“.
Die Ergebnisse zeigen ausschnittsweise, dass die Beschäftigten Zukunftsszenarien mit der Vorstellung von Pflegerobotik als Unterstützung, aber auch als Ersatz menschlichen Personals verknüpfen. Die interviewten Beschäftigten können sich vorstellen, dass Service- und Transportaufgaben sowie physisch anstrengende Tätigkeiten zukünftig an Robotik ausgelagert werden. Ablehnend befürchten die befragten Beschäftigten eine technologische Ausrichtung bzw. Verdrängung von Beziehungsarbeit, Emotionalität und menschlicher Zuwendung. Pflegerobotik kann den Arbeitsalltag aus Sicht der Beschäftigten resümierend erleichtern, dabei muss allerdings die Beziehungsarbeit in der Pflege sichergestellt werden – ein Bedürfnis, das nicht zuletzt auch Menschen mit Pflegebedarf und ihre Angehörigen teilen.
Für eine gute Pflege sollten zunächst die Ziele klar und in Abstimmung mit den Beschäftigten definiert werden, statt die Entwicklung (technologischer) Mittel in den Vordergrund zu stellen (Fahimi, 2020). Der Einsatz von Technologie kann dann eines von unterschiedlichen Mitteln sein, um gesetzte Ziele zu erreichen.
Eine gute Pflege muss ebenfalls einen Umgang damit finden, dass die Technisierung von Pflegearbeit zu einer Verdrängung von Beziehungsarbeit führt und Logiken der Effizienz, Beschleunigung und Zergliederung von Arbeitsschritten zunehmend auch auf Pflegearbeit angewandt werden. Diesen Tendenzen könnte beispielsweise durch die Verankerung von Beziehungsarbeit in der bedarfsgerechten Personalbemessung von Pflegeeinrichtungen oder in den Leistungsdefinitionen entgegengewirkt werden (Vassbø et al., 2019).
Darüber hinaus müssen ebenso die Aus- und Weiterbildungen adaptiert und Beziehungsarbeit als fachliche Qualifikation mehr Stellenwert eingeräumt werden (Schalek & Fahimi, 2020). Zum Beziehungsaufbau und -erhalt reicht eben nicht eine „Pflege mit Herz“ – eine Aussage, die oftmals mit der Diskriminierung von Frauen einhergeht, denen diese Kompetenzen qua Geschlecht zugeschrieben werden. Des Weiteren muss Pflegearbeit von Bund und Ländern ausfinanziert werden, um den Bedarf an Pflegeleistungen zu decken und gute Arbeitsbedingungen zu schaffen (Rosoli, 2019).
Beziehungsarbeit muss schließlich auch grundsätzlich anders bewertet werden und Pflegearbeit einen anderen Stellenwert in der Gesellschaft einnehmen – dies hat nicht zuletzt die andauernde Coronapandemie deutlich unter Beweis gestellt.
Hinweis: Eine längere Version dieses Beitrags ist im April 2021 in Sozialpolitik in Diskussion erschienen.
Daum, M. (2017). Digitalisierung und Technisierung der Pflege in Deutschland. Aktuelle Trends und ihre Folgewirkungen auf Arbeitsorganisation, Beschäftigung und Qualifizierung, Hamburg; DAA-Stiftung Bildung und Beruf.
Fahimi, M. (2020). Drei Schritte zu einer guten Pflege 4.0, A&W Blog, 27. 2. 2020. Abgerufen am 11.04.2021 von https://awblog.at/drei-schritte-zu-einer-guten-pflege-4-0/
Friesacher, H. (2010). Pflege und Technik – eine kritische Analyse. In: Pflege & Gesellschaft, 15(4), 293–313.
Glaser, J. & Seubert, C. (2018). Arbeitswissenschaftliche Analyse und Bewertung pflegerischer Humandienstleistungstätigkeiten in der stationären Langzeitpflege als Basis für eine leistungsgerechte Personalbemessung im Auftrag der Bundesarbeitskammer, Universität Innsbruck.
Hielscher, V. (2014). Technikeinsatz und Arbeit in der Altenpflege. Ergebnisse einer internationalen Literaturrecherche. In: iso-Report, Berichte aus Forschung und Praxis, Saarbrücken, Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft.
Kitson, A., T., Conroy, K., Kuluski, L., Locock & Lyons R. (2013). Reclaiming and redefining the Fundamentals of Care: Nursing’s response to meeting patients’ basic human needs, University of Adelaide.
Leichsenring, K., Schulmann K. & Gasior K. (2015). Bedingungen, Ziele und Perspektiven der Qualitätsverbesserung in der Langzeitpflege. Wien: Arbeiterkammer.
Mairhuber, I. (2019). Arbeitsbedingungen in der Pflege und Betreuung: hohe Belastungen, geringe Entlohnung, große Herausforderungen. In: Ursula Filipič (Hg.). Gute Arbeit in Gesundheits- und Sozialberufen?! Sozialpolitik in Diskussion, Band 21, 4–17.
Rosoli, S. (2019). Politische Herausforderungen und Handlungsfelder der Pflegepolitik. In: Ursula Filipič (Hg.), Gute Arbeit in Gesundheits- und Sozialberufen?! Sozialpolitik in Diskussion, Band 21, 44–49.
Schalek, K. (2018). Die „unsichtbare“ Qualität der Langzeitpflege, A&W Blog, 17. Oktober 2018. Abgerufen am 11.04.2021 von https://awblog.at/langzeitpflege/
Schalek, K. & Fahimi, M. (2020). Endbericht zur Umfrage „Neue Wege in die Pflege“, Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien. Abgerufen am 11.04.2021 von https://www.arbeiterkammer.at/service/studien/gesundheitundpflege/Wege_in_die_Pflege_20 20.pdf
Staflinger, H. (2016). Der oberösterreichische Mindestpflegepersonalschlüssel für Alten- und Pflegeheime auf dem Prüfstand. Grundlagen – Herausforderungen – Entwicklungsbedarf. Arbeiterkammer Oberösterreich: Linz.
Vassbø, T.K., Kirkevold, M., Edvardsson, D., Sjögren, K., Lood Q. & Bergland, Å. (2019). The meaning of working in a person-centred way in nursing homes: a phenomenological-hermeneutical study, BMC Nursing, 18(1), 18–45.
Wochner, R. (2019). Gesundheitsberufe sind weiblich. Warum gute Arbeitsbedingungen bessere Lebensbedingungen für Frauen schaffen. In: Ursula Filipič (Hg.). Gute Arbeit in Gesundheits- und Sozialberufen?! Sozialpolitik in Diskussion, Band 21, Wien, 28–31.
Miriam Fahimi, MA BSc
promoviert als Marie Skłodowska-Curie Fellow im EU-Projekt NoBIAS – Artificial Intelligence without Bias und arbeitet als Universitätsassistentin am Digital Age Research Center (D!ARC) der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Kontakt: miriam.fahimi@aau.at
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