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Manuela Hödl
Pflegepersonalnotstand & COVID-19:
Job-Challenge vs. Dance-Challenge

Bereits 2019 wurde in Österreich der Personalnotstand im Pflegebereich aufgezeigt. Nun, etwa 1,5 Jahre und eine weltweite Pandemie später, möchte ich mit diesem Beitrag einen Blick auf die Pflegepersonalsituation während der COVID-19-Pandemie werfen. Aber diesbezüglich auch Strategien benennen, die zur Lösung der Herausforderungen genutzt wurden, werden und werden sollen. Ebenso möchte ich hier festhalten, dass dieser Beitrag auf meiner persönlichen Meinung und Einschätzung beruht.

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Pflegepersonalnotstand & COVID-19: Job-Challenge vs. Dance-Challenge

Bereits 2019 wurde mit dem Bericht zur österreichischen Pflegepersonal-Bedarfsprognose auf den Personalnotstand hingewiesen (Bundesministerium für Soziales Gesundheit Pflege und Konsumentenschutz, 2019). Dieser Beitrag soll einen kurzen Überblick aus verschiedenen Perspektiven geben sowie die Folgen und Lösungsstrategien kritisch reflektieren.

Aus der Sicht der Auszubildenden

Viele Pflegestudierende beschreiben, dass sie während ihres Praktikums auf COVID-Stationen vielfach ohne Einschulung als volle Arbeitskraft eingesetzt werden (Plank, 15.11.2020). Dies deckt sich mit den Ergebnissen einer aktuellen Umfrage (Hinterbuchner et al., 2021). Dort wurde auf den Einsatz von Pflegestudierenden als volle Arbeitskraft ohne Einschulung und ohne finanzielle Entschädigung hingewiesen (Hinterbuchner et al., 2021).

Aus der Sicht des Pflegepersonals

In einer weiteren Studie wurde das Gesundheits- und Krankenpersonal befragt (Gferer & Gferer, 2021). Hierbei gaben 86% der Befragten an, dass sich die Arbeitssituation im Krankenhaus massiv verschlechtert habe. Zudem dachten 45% immer wieder an einen Ausstieg aus dem Pflegeberuf, wobei eine zu geringe finanzielle Entlohnung (56%), zu wenig Wertschätzung (47%) und der Personalmangel (44%) als Gründe angegeben wurden.
Diese Ergebnisse decken sich mit den nachfolgenden Zitaten aus einer anonymen Umfrage unter Pflegepersonen in Österreich zwischen Dezember 2020 und März 2021:

„Zusätzliches Personal gibt es nicht… Resturlaubsstunden aus dem vergangenen Jahr können nicht mitgenommen werden… weder Urlaub noch Nachtausgleich oder Gefahrenstunden… Ruhezeiten können nicht eingehalten werden… aufgrund vieler Krankenstände vom Urlaub zurücktreten… im Urlaub einspringen… chronische Unterbezahlung für Pflegepersonal… Ich arbeite seit März ohne finanzielle Zulagen auf einer COVID-19-Station…“.

Folgen des Personalnotstands

Während der ersten COVID-19-Welle gab es mediale Berichte über eine Pflegeeinrichtung, die aufgrund der situationsbedingten Personalausfälle die pflegerische Versorgung der Bewohner*innen nicht mehr aufrecht erhalten konnte (Krisper, 18.04.2020). Eine ähnliche Meldung gab es auch während der zweiten Welle. Hier übernahm das Bundesheer ein Pflegeheim (Standard, 30.11.2020). Wenn nun die pflegerische Versorgung nahezu oder nicht mehr aufrechterhalten werden kann, wie kann dann die Pflegequalität aufrechterhalten werden?
Eine Argumentation könnte sein, dass bei der Übernahme des Pflegeheims elf Sanitätsunteroffiziere eingesetzt wurden, die eine Ausbildung als Krankenpfleger hatten (Standard, 30.11.2020). Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob Sanitätsunteroffiziere die individuelle pflegerische Versorgung der Pflegeheimbewohner*innen aufrechterhalten können. Dazu folgende Aussagen von Pflegepersonal, aus der oben genannten anonymen Umfrage:

Wir haben weder Ahnung davon, noch eine Ausbildung dafür. Wir machen „irgendwie“… wodurch schon einige Fehler passiert sind… Wir haben Angst, die Patient*innen zu gefährden bzw. Pflegefehler zu begehen, da wir Tätigkeiten durchführen sollen, die wir teilweise nicht beherrschen… Personal ist maßlos überfordert. Dadurch passieren auch viele Fehler… viele haben auch Angst vor ICU Diensten…

Was ist das Minimum an Ausbildung, welches Personen befähigt, in der Gesundheits- und Krankenpflege im Intensivbereich tätig zu sein? Was ist das Minimum an Ausbildung, welches Personen befähigt, mit multimorbiden, gebrechlichen, hochaltrigen Pflegeheimbewohner*innen zu arbeiten? Dieses Minimum an Pflege wurde meines Erachtens in dieser Pandemie bereits sichtbar, und soll mit den nachfolgenden Zitaten aus der anonymen Umfrage unterstrichen werden:

„Wir sollen nicht so viel duschen und uns auf das mindeste beschränken… Unter dem Motto: WARM, SATT, SAUBER…“.

Werbekampagnen als eine Antwort auf den Personalnotstand?

Im vergangenen Jahr wurden zwei große Werbekampagnen veröffentlicht. Die erste Kampagne bediente sich des Mottos „Heldentaten brauchen alle Hände: Deine fehlen“ (NÖ Landeskliniken-Holding, 2020). Die zweite Werbekampagne läuft unter dem Motto „Pflege – Berufe mit Sinn, Vielfalt und Zukunft“ und wurde vom Bundesministerium in Auftrag gegeben (Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, 2020). Interessant hierbei ist, dass keine dieser Kampagnen eine höheres Gehalt ansprach, obschon die finanzielle Entschädigung als Hauptgrund für einen Berufsausstieg benannt wurde (Gferer & Gferer, 2021). Anstatt auf den Beruf der Pflege aufmerksam zu machen, benötigt es von Seiten der Politik eine Schaffung von besseren Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für die Pflege. Insbesondere in Hinsicht der finanziellen Entschädigung. Dadurch könnte nicht nur eine Ursache des Personalnotstandes behandelt, sondern auch die längerfristige Rekrutierung von Pflegepersonal erleichtert werden.
Eine weitere Möglichkeit, als Organisation Blicke von potenziellen Arbeitnehmer*innen auf sich zu ziehen, wurde mit der Jerusalem Dance-Challenge während der COVID-19-Pandemie sichtbar. Diese wurde in diversen Gesundheitseinrichtungen durchgeführt. Ich möchte hier dennoch die Frage in den Raum stellen, ob es angesichts des Personalmangels nicht kontraproduktiv erscheint, bei einem Tanzwettbewerb mitzumachen. Welches Bild vermitteln wir als Gesundheitspersonal, sowohl national als auch international, mit der Teilnahme an dieser Dance-Challenge?
Braucht das Gesundheitspersonal Schutz und Begleitung, wie im Originaltext der Jerusalem Dance-Challenge (DJ Master KG & Zikode Nomcebo, 2019) beschrieben, oder bessere Arbeitsbedingungen, mehr Personal und eine angemessene finanzielle Vergütung? Vielleicht wäre ein neuer Text für die Jerusalem Dance-Challenge, dann doch ein wenig aussagekräftiger:

„Ich würde den Beruf nicht nochmal wählen und werde mich, wie so viele meiner Kolleg*innen, nach der Krise um eine andere Stelle umsehen.“

Ich habe diese Zeilen vor mehr als einem halben Jahr geschrieben. Jetzt frage ich Sie: Tanzen sie noch, oder streiken Sie schon?

Mein Senf

Ich persönlich würde die Dance-Challenge gar nicht so erwähnen. Da ist meiner Meinung nach einiges ausgekaut: Werbung, Klagen, warum alle tanzen usw.

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Literatur

Bundesministerium für Soziales Gesundheit Pflege und Konsumentenschutz. (2019). Pflegepersonal-Bedarfsprognose für Österreich.

Bundesministerium für Soziales Gesundheit Pflege und Konsumentenschutz. (2020). Pflege – Berufe mit Sinn, Vielfalt und Zukunft.

DJ Master KG, & Zikode Nomcebo. (2019). Jerusalema. Warner Music,, https://www.youtube.com/watch?v=fCZVL_8D048.

Gferer, A., & Gferer, N. (2021). Gesundheits- & Krankenpfleger*innen während der COVID-19 Pandemie in Österreich: Arbeitssituation und Gedanken an einen Ausstieg aus dem PFlegeberuf.

Hinterbuchner, K., Zuschnegg, J., Lirussi, R., Windhaber, T., Kadric, I., & Archan, T. (2021). Praktische Ausbildung für Pflegepersonen während der Covid- 19 Pandemie: Eine Umfrage der ARGE Junge Pflege.

Krisper, M. (18.04.2020). Mehrere Corona-Tote in Heim: Ermittlungen laufen

NÖ Landeskliniken-Holding. (2020). www.pflege-helden.at – Deine Hände fehlen.

Plank, A. (15.11.2020). Kein Geld für 2000 Stunden Pflege-Praktikum, dafür Gebühren. Tiroler Tageszeitung.

Standard. (30.11.2020). Heer startete Einsatz in steirischem Pflegeheim. Standard.

Danksagung: Ich möchte mich ganz herzlich bei Fr. Tschofenig und Fr. Reiter für Ihr konstruktives Feedback bedanken.

Zur Person

Dr.in Manuela Hödl MSc, BSc,
Universitätsassistentin, Institut für Pflegewissenschaft, Medizinische Universität Graz. Schwerpunkte: Langzeitpflegeinrichtungen, Kontinenzversorgung, chronische Wunden.
Kontakt: Manuela.hoedl@medunigraz.at; +43 316 385 71651; Institut für Pflegewissenschaft, Universitätsplatz 4/3, 8010 Graz.

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