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Eveline Berger, Inge Köberl-Hiebler, Birgit Meinhard-Schiebel
Pflege im neuen Regierungsprogramm 2025: Zwischen Aufbruch, Leerstellen und Altlasten

Das Regierungsprogramm der neuen Bundesregierung sieht im Kapitel „Gesundheit und Pflege“ eine Reihe konkreter Vorhaben vor. Vertreterinnen aus drei zentralen pflegebezogenen Organisationen – Frau Mag.a Inge Köberl-Hiebler vom Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverband (ÖGKV), Frau Birgit Meinhard-Schiebel von der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger und Frau Eveline Berger von der Österreichischen Gesellschaft für Ganzheitliche und Komplementäre Pflege (ÖGKOP) – haben das Programm kommentiert. Ihre Einschätzungen zeigen sowohl Übereinstimmungen als auch spezifische Forderungen aus ihren jeweiligen Tätigkeitsfeldern.

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Frau Mag.a Inge Köberl-Hieberler schreibt, dass das neue Regierungsprogramm in Österreich verspricht bedeutende Fortschritte im Pflegesektor. Viele der langjährigen Forderungen des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands (ÖGKV) finden sich in den geplanten Maßnahmen wieder. Der Verband betrachtet das Programm als wichtigen Schritt zur Professionalisierung der Pflege, betont jedoch die Notwendigkeit einer raschen Umsetzung und weiterer struktureller Verbesserungen.

Sie sieht in der geplanten Anerkennung der Pflege als Schwerarbeit einen längst überfälligen Schritt. Diese Maßnahme anerkenne die psychischen und physischen Belastungen des Berufs und ermögliche einen früheren Pensionsantritt. Dadurch könne die Attraktivität des Berufsbildes gestärkt und die Verbleibsdauer im Beruf erhöht werden.
Sie begrüßt auch die Initiative „Easy Access Austria“, die eine zentrale Anlaufstelle für ausländische Pflegefachkräfte schaffen soll. Angesichts des Fachkräftemangels sei das ein wichtiger Schritt, so Frau Köberl-Hiebler, allerdings müsse dieser durch strukturelle Verbesserungen bei Arbeitsbedingungen und Ausbildung ergänzt werden. Positiv wertet sie auch die geplante Einrichtung pflegegeführter Ambulanzen, in denen Pflegepersonen eine erste Triage vornehmen. Dieses Modell habe sich international bewährt und trage zur besseren Steuerung von Patient:innenströmen bei. Kritisch äußert sich Frau Köberl-Hiebler zur Bürokratiebelastung in der Pflege. Digitalisierung und Entbürokratisierung müssten so umgesetzt werden, dass Pflegepersonen tatsächlich entlastet und nicht mit neuen Systemen zusätzlich belastet werden.

Frau Meinhard-Schiebl schreibt, dass wie in jedem Regierungsprogramm werden teilweise neue Ansätze bei Pflege und Betreuung angekündigt, aber ebenso gibt es auch alten Wein in neuen Schläuchen. Sie kritisiert, dass die Entlastung pflegender Angehöriger im Regierungsprogramm zwar erwähnt, aber kaum konkret ausgeführt wird. Die Formulierung „Daheim vor stationär“ sei angesichts der Realität unzureichend. Immer mehr Menschen würden zu Hause gepflegt – oft unter großem persönlichen Einsatz. Unterstützungsangebote seien jedoch vielfach erst ab Pflegestufe 3 zugänglich, was viele Angehörige ausschließe. Besonders problematisch sei, so Frau Meinhard-Schiebel, die Versorgung bei chronischen Erkrankungen und postviralen Verläufen, wie etwa Long Covid. Diese Betroffenen erhielten häufig keine adäquate Pflegegeldeinstufung und fielen daher durch das Raster der Förderung.
Zudem warnt Frau Meinhard-Schiebel vor der zunehmenden Kommerzialisierung der Pflege. Der Trend, dass profitorientierte Investoren Pflegeeinrichtungen übernehmen, müsse gestoppt werden. Pflege dürfe kein Geschäftsfeld für Renditeerwartungen sein, sondern müsse unter gemeinnütziger Ausrichtung und öffentlicher Kontrolle stehen. Hier fordert sie ein Zusammenwirken von Sozial-, Wirtschafts- und Finanzministerium. Ein weiteres Versäumnis sieht Frau Meinhard-Schiebel in der fehlenden strategischen Katastrophenvorsorge im Pflegebereich. Die Corona-Krise habe deutlich gemacht, wie notwendig vorbereitende Maßnahmen wären – von Schutzausrüstung über Personalreserven bis zu Notfallplänen. Auch auf mehrsprachige Angebote im Pflegekontext weist sie hin: In einer multikulturellen Gesellschaft sei es zwingend erforderlich, Informationen barrierefrei und in mehreren Sprachen bereitzustellen – sowohl für Pflegebedürftige als auch für Angehörige.

Frau Eveline Berger, BSc MSc, hebt als zentrales Defizit des Regierungsprogramms hervor, dass freiberuflich tätige diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen (DGKP) weiterhin nicht mit den Sozialversicherungsträgern abrechnen dürfen. Damit seien sie strukturell benachteiligt, da ihre Leistungen nur privat finanziert oder von Zusatzversicherungen teilweise gedeckt würden. Frau Berger fordert daher eine gesetzliche Anpassung des ASVG, um freiberufliche Pflegeleistungen durch die Krankenkassen finanzieren zu lassen. Diese Angleichung sei überfällig, da vergleichbare Gesundheitsberufe wie Physiotherapie oder Ergotherapie bereits über die Sozialversicherung abrechenbar seien. Eine solche Reform würde nicht nur Pflege für Patient:innen leistbarer machen, sondern auch das bestehende System der Hauskrankenpflege sinnvoll entlasten. Sie verweist auf die Vorteile einer niederschwelligen, wohnortnahen Pflege, die durch freiberufliche DGKP effizient und wirtschaftlich erbracht werden könnte. Gerade in einer alternden Gesellschaft seien solche Angebote unverzichtbar.
Frau Berger weist zudem auf die im Programm angekündigte Studie zur Berufsverweildauer in der Pflege hin. Diese sei ein wichtiger Schritt, um die hohe Drop-out-Rate zu verstehen. Es brauche nicht nur Ausbildungsoffensiven, sondern vor allem bessere Bedingungen, um Pflegepersonen im Beruf zu halten. Dazu zählten Konzepte für altersgerechtes Arbeiten, Wiedereinstiegsprogramme und flexiblere Arbeitszeitmodelle. Sie betont außerdem die Bedeutung der Schwerarbeiterregelung für den Pflegeberuf. Derzeit sei deren Anwendung lückenhaft, obwohl die Belastungen klar dokumentiert seien.

Alle drei Expertinnen – Frau Köberl-Hiebler, Frau Meinhard-Schiebel und Frau Berger – fordern eine Reform des Pflegegeldsystems. Die derzeitige Antragstellung sei kompliziert, langwierig und oft mit unklaren Kriterien verbunden. Frau Meinhard-Schiebel kritisiert besonders die hohe Schwelle bei der Unterstützung ab Pflegestufe 3, während Frau Berger die wirtschaftliche Belastung für Familien betont.

Alle drei Expertinnen – Frau Köberl-Hiebler, Frau Meinhard-Schiebel und Frau Berger – machen deutlich: Das Regierungsprogramm enthält wichtige Ansätze, aber die praktische Umsetzung entscheidet über dessen Relevanz für Pflegekräfte, pflegende Angehörige und Patient:innen. Ohne klare gesetzliche Grundlagen, ausreichende Ressourcen und politische Entschlossenheit bleiben viele der Vorhaben Ankündigungen ohne Wirkung.

 

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Zur Person

Birgit Meinhard-Schiebel
Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger

Mag.a Inge Köberl-Hiebler
vom Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverband

Eveline Berger, BSc MSc,
Vorstandsvorsitzende der Österreichischen Gesellschaft für Ganzheitliche und komplementäre Pflege,

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