Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dies ist nun mein erster Beitrag, den ich für pflegenetz verfassen darf. Es geht um ein spannendes, aber emotional vielleicht erdrückendes Thema, nämlich: Hilfe – ich muss vor Gericht erscheinen – und wie verhalte ich mich hier richtig.
Der Grund für die Wahl dieses Themas ist simpel. Es kann uns als Pflegepersonen berufsbedingt passieren, dass wir vor Gericht als Zeugin oder als Zeuge, oder selbst als Beschuldigte oder Beschuldigter müssen. Und im Laufe der Vorbereitung auf einen Prozess kommen irgendwann automatisch die Fragen: Was ziehe ich an? Was sage ich? Wie verhalte ich mich?
Einleitung:
Fiktive Fallkonstellation:
Eine 46-jährige Patientin wird nach einem Verkehrsunfall auf einer Intensivstation aufgenommen. Die Betreuung verläuft insgesamt gut, der Heilungsprozess schreitet voran. Eines Nachtdienstes betritt Pflegeperson Dagmar das Krankenzimmer, die Patientin äußert, dass sie starke Schmerzen habe. Krankenpflegerin Dagmar gibt ordnungsgemäß einen Bolus eines vorgeschriebenen, hochpotenten Schmerzmedikamentes. Daraufhin verfällt die Patientin immer mehr und sie stirbt letztendlich, weil sich in der Spritze statt dem hochpotenten Schmerzmittel, Insulin befunden hatte – welche von Krankenpfleger Stefan kurz vor Dienstübergabe zubereitet, in der Spritzenpumpe eingespannt und verabreicht wurde.
Die Obduktion der Patientin hat ergeben, dass sie an einer Überdosis Insulin gestorben ist. Denkt man sich die unabsichtliche Insulingabe weg, so hätte die Patientin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Verletzungen aus dem Verkehrsunfall überlebt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen (grob) fahrlässiger Tötung.
Sowohl Krankenpflegerin Dagmar als auch der Krankenpfleger Stefan erhalten eine Anklageschrift und müssen vor Gericht als Angeklagte erscheinen.
Wie verhalte ich mich vor Gericht?
Vorbereitung ist alles!
Gehen Sie niemals unvorbereitet in eine Verhandlung hinein. Sammeln Sie jene Dokumente, die für die Klärung des Sachverhaltes relevant sind und lesen Sie sich ein. Sie haben das Recht auf Akteneinsicht, jedoch mit möglicherweise dahingehenden Einschränkungen. Wird ein Akt elektronisch geführt, so haben Sie hier die Möglichkeit über JustizOnline den Akt von zuhause aus zu studieren.
Mit der Anwältin oder dem Anwalt besprechen! Vorher!
Bitte besprechen Sie die Sachlage ausführlich mit Ihrer Anwältin oder Ihrem Anwalt, sofern Sie eine oder einen gewählt haben oder sogar Anwaltspflicht besteht. Hier gilt eine absolute Regel: Wenn Sie wollen, dass Ihnen geholfen wird, so lügen Sie Ihre Anwältin oder Ihren Anwalt nicht an. Niemals. Kommen während der Hauptverhandlung Details ans Licht, wo dies mit Ihrer Verteidigerin oder Ihrem Verteidiger vorab nicht besprochen wurde, aber relevant war, kann dies problematisch werden.
Die Modellfigur „Pflegeperson“
Natürlich können Sie in allen möglichen Fällen des Deliktskatalogs des StGBs vor Gericht stehen. Doch hier interessiert uns nur die Berufsgruppe der Pflegepersonen, weil bei Fehlern, die aus dem Bereich der Pflege kommen, als Modellfigur eine andere (einsichtig und besonnene) Pflegeperson dient. Das bedeutet, man prüft, wie sich eine einsichtige und besonnene Pflegeperson aus dem Verkehrskreis der Täterin oder des Täters in der konkreten Situation bei der Handlungsvornahme verhalten hätte. Für Interessierte ist dies gut nachzulesen ua im Lehrbuch Strafrecht, Allgemeiner Teil von Kienapfel/Höpfel/Kert im Kapitel der Fahrlässigkeit.
Sie erscheinen vor Gericht
Seien Sie bitte pünktlich bei Gericht. Es erfolgt eine Personenkontrolle beim Eingang, was einiges an Zeit in Anspruch nehmen kann.
Wie erscheinen Sie vor Gericht? Welche Kleidung kann ich tragen?
Grundsätzlich muss die Richterin oder der Richter seine oder ihre Entscheidung objektiv fällen und hat mit Ihrer Kleiderwahl nichts zu tun. Niemand darf aufgrund seiner Kleidung diskriminiert werden, außer, wenn es sich um politische Symbole handelt. Ein gepflegtes Äußeres gehört jedoch zum guten Ton. Tragen Sie neutrale Farben, wie beispielsweise grau oder dunkelblau. Übertreiben Sie aber nicht. Tragen Sie nie einen Anzug im alltäglichen Leben, so tragen Sie doch etwas Legeres, aber die älteste Jeans mit Löchern in den Knien macht kein gutes Bild vor einer Richterin oder einem Richter.
Für die weiblichen Personen könnte man ein schlichtes Kleid, auch in neutralen Tönen, wählen oder einen eleganteren Hosenanzug.
Sie können jedoch natürlich tragen, was Sie wollen. In erster Linie sollen Sie sich wohl fühlen.
Vor dem Verhandlungssaal
Im weiteren Procedere kann es sein, dass jetzt ein eher unangenehmer Teil erfolgt, nämlich der Gang zum Verhandlungssaal, wo Zeugen oder Zeuginnen, Opfer oder auch andere Angeklagte (die Bezeichnung erfolgt hier dementsprechend im Strafrecht, im Zivilrecht nennt man dies Beklagter oder Beklagte) bis zum Aufruf der Sache vor dem Verhandlungssaal warten könnten. Gemeinsam. Dies kann emotional eine Herausforderung darstellen. Bleiben Sie ruhig und atmen Sie gut durch. Es kann sein, dass die gegnerische Seite noch leise flüstert und Besprechungen unternimmt. Dies kann eventuell verunsichern. Merken Sie sich: Sie tätigen Ihre Aussage nur vor der Richterin oder dem Richter. Zur Aussagepflicht und zur Aussageverweigerung verwiese ich dann auf die Zeilen darunter.
Aufruf zur Sache und die Vernehmung vor der Richterin oder dem Richter
Die Vorsitzende oder der Vorsitzende ist dazu verpflichtet, dass die Ermittlung der Wahrheit gefördert wird und hat dafür zu sorgen, dass Erörterungen unterbleiben, die keine Relevanz für den Sachverhalt haben (§ 232 StPO).
Beschuldigte oder Beschuldigter, Opfer, Zeuginnen oder Zeugen nehmen in der Mitte nach dem Aufruf platz. Es werden die Personalien entgegengenommen und es erfolgt die Vernehmung zur Sache.
Durch den Grundsatz der Öffentlichkeit im österreichischen Rechtssystem werden gerichtliche Verhandlungen öffentlich geführt. Es kann also sein, dass auf den hinteren Stühlen Zuseherinnen und Zuseher sind.
Tipp: Möchten Sie sich einmal eine Verhandlung ansehen, so können Sie bei den Gerichten anrufen und fragen, wann beispielsweise eine Geschworenenverhandlung stattfindet und sich die – möglicherweise mit viel Andrang – ansehen.
Wie antworten Sie auf die gestellten Fragen und wie sollten Sie sich verhalten?
Sie antworten sachlich, kurz, klar, verständlich und schweifen Sie nicht ab. Die Lebensgeschichte von XY hat keine Relevanz im Verfahren. Auch ausufernde Erzählungen, die keine Relevanz für den Sachverhalt haben, unterlassen Sie bitte.
Bleiben Sie ruhig. Die Richterin oder der Richter wird wissen, dass Sie nervös sind, aber in einem Gerichtssaal ist niemand Ihr Freund. Tragen Sie zu einem guten Klima bei, bleiben Sie zu ALLEN stets höflich und unterbrechen Sie niemanden. Sie machen sich bitte auch nicht über jemanden in einem Gerichtssaal lautstark lustig und beschimpfen Sie auf keinen Fall irgendeine Person in diesem Raum, oder werden gar handgreiflich dies kann etwaige (rechtliche) Konsequenzen nach sich ziehen.
Es kann sein, dass die Verteidigung sich lautstark auseinandersetzt, weil Emotionen hochkommen. Sie nehmen sich kein Beispiel daran und rufen lautstark mit. Sie bleiben ruhig, höflich und gesittet.
Rechnen Sie damit, dass die Verteidigung Ihnen Fragen stellen könnte, um Sie ein bisschen ins Wanken zu bringen, ein Standardrepertoire, lassen Sie sich nicht darauf ein, die Antwort ergeht nämlich an die Richterin oder den Richter und aus der Emotion heraus unbedachte Antworten zu geben ist unklug.
Hören Sie genau hin, wie Ihnen die Fragen gestellt werden – und geben Sie daraufhin eine eindeutige Antwort. Wird Ihnen die Frage noch einmal in einer anderen Satzkonstellation oder ähnlich mit gleichem Inhalt gestellt, bleiben Sie bei Ihrer Aussage und lassen Sie sich von Ihrer Antwort nicht abbringen. Das macht vor allem die Verteidigung.
Bitte erzählen Sie nur von Ihrer Wahrnehmung. Mutmaßen Sie nicht und stellen Sie auch keine Schlussfolgerungen, außer, Sie werden dazu gebeten, eine Schlussfolgerung herzuleiten.
Wenn Sie eine Frage nicht verstanden haben, Fragen Sie bitte nach einer Wiederholung der Frage.
Sollte es Ihnen zu unangenehm sein, dass Sie mit der gegnerischen Seite in einem Raum sitzen müssen, schauen Sie sie nicht an, es kann Sie verunsichern. Sie können auf die Richterin oder den Richter blicken.
Weniger ist oft mehr!
Wie oben bereits erwähnt, sollten Sie sachlich, kurz, klar und verständlich antworten. Aber eine gute Verteidigung wird Ihnen sagen: Manchmal ist es besser, weniger zu sagen, unter dem Motto: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Grundsätzlich ist es als Beschuldigte oder Beschuldigter als Recht möglich, die Aussage zu verweigern (§ 49 (1) Z 4 StPO). Außer als Zeugin oder Zeuge: Hier müssen Sie richtig und vollständig aussagen (§ 154 (2) StPO). Ein Verbot der Vernehmung als Zeugin oder Zeuge (§ 155 StPO) oder die Aussageverweigerung (§ 157 StPO) in ihren Voraussetzungen regelt im die Strafprozessordnung.
Und zu guter Letzt: Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit? Wie ist das mit dem Flunkern vor Gericht als Beschuldigte oder Beschuldigter?
Es gibt einen Grundsatz: Nemo tenetur se ipsum accusare. Das Bedeutet, dass niemand dazu gezwungen werden darf, sich selbst zu belasten. Dass sie oder er nicht aktiv zu einer Aussage bewogen werden darf und in weiterer Folge, dass sie oder er nicht die Wahrheit sagen muss. Die Beschuldigte oder der Beschuldigte darf offensiv lügen. Man ist zu einer Kooperation mit der Justiz somit nicht verpflichtet. Die Grenze ist allerdings der Tatbestand der Verleumdung gemäß § 297 StGB, wo jemand anderes wissentlich falsch mit einer Strafe bedrohten Handlung verdächtigt wird und somit diese „verdächtige“ Person einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt wird (Birklbauer, 2023, S. 44).
Eine Haftung der Autorin ist ausgeschlossen.
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