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Sonja Laag
Care Share 13 – Architekturentwurf für ein modernes Gesundheits- und Pflege- und Sozialleistungssystem 

Die Gesundheits-, Pflege- und Sozialleistungsversorgung wird in der Regel aus der „Froschperspektive“ wahrgenommen. Ein Pflegedienst muss z.B. in „HKP- und SGB XI“-Pflege denken, denn die Leistungen und Vergütungen sind unterschiedlich, so dass der Pflegedienst schauen muss, welche Klienten er annimmt, wie er die Touren plant und welches Personal er dafür zur Verfügung hat. Anders und einfach gesagt beruht dieses System auf dem Satz: Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht, denn die Strukturen bewirken ein solches Verwalten.

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Strukturen formen Prozesse, Prozesse formen Haltungen, lautet ein Managementsatz. Strukturen haben wir z.B. auch im Straßenverkehr. Wir kennen Regeln wie „Rechts vor Links“, Überholverbote, Geschwindigkeitsvorgaben und auch das Führen eines Fahrzeugs ist nur mit einem entsprechenden Führerschein erlaubt und die Fahrzeuge brauchen eine Zulassung und regelmäßige Sicherheitskontrollen. Im Alltag fahren wir also nach den Vorgaben eines bundesweit geltenden „Gesamtreglements“, das sich Straßenverkehrsordnung nennt, ohne zu hinterfragen, wer das eigentlich „angelegt“ hat. Und noch weniger hinterfragen wir, ob wir solche Regeln und die Regelgeber verändern zu können. Welcher Autofahrer dächte daran, den öffentlichen Straßenverkehrsraum neu ordnen zu wollen?

Genau das aber möchte der IPAG e.V. bezogen auf das Versorgungssystem, denn dessen „Straßenverkehrsordnung“ ist überholt. Systeme werden aus „Recht“ gebaut, deshalb handelt es sich bei Care Share 13 vor allem darum, historisch erstmals ein Gesundheitsinfrastrukturrecht zu entwickeln. Alle kennen die „Sektoren“ vor allem zwischen dem stationären und ambulanten Versorgungsbereich sowie die „Unverbundenheit“ der klassischen Kranken- und Pflegeversicherung mit dem Sozialraum, sprich den Kommunen. Unser gegenwärtiges Versorgungsrecht wurzelt in der Bismarckzeit. Sozialgesetzbücher wie v.a. das SGB V (Krankenversicherung) und das 1995 daran angelehnte SGB XI (Pflegeversicherung) wurden als „Säulen“ erschaffen. Säule bedeutet, dass die Finanzierungs-, Leistungs- und Vergütungsinstrumente auf „einen“ zu verhandelnden „Sachverhalt“ zugeschnitten sind und nicht auf einen „vernünftigen“ menschenorientierten Versorgungsmodus. Wieso z.B. müssen Ärzte eine Häusliche Krankenpflege verordnen und damit einen „Pflegebedarf“ konstatieren? Wieso muss ein Medizinischer Dienst als Parallelsystem zum Versorgungssysteme eine Pflegebedürftigkeit feststellen? Wieso darf das alles nicht eine Pflegefachperson, die dafür ausgebildet ist? Wieso sind Heimaufsicht, Medizinischer Dienst und Pflegekassen für „Pflegequalitätsstandards“ zuständig und nicht eine Pflegekammer? Sie wäre institutioneller Ausdruck eines Berufsstandes, der befugt ist, die Belange des Berufes aufgrund seiner Expertise zu regeln, weil er am meisten davon versteht, wie es bei Ärzten und Handwerkern normal ist. Das ist der originäre Sinn des deutschen Selbstverwaltungsprinzips. Dieses hat eine lange Tradition und unterscheidet uns architektonisch von staatlich-zentralistisch geprägten Ländern und deren Systemen.

Nicht das Prinzip der Selbstverwaltung ist falsch, sondern die überholte Ausgestaltung in der Gesundheitsversorgung alleinig bei Stimme und Macht durch die Kostenträger und Ärzteschaft sowie die rechtliche Unverbundenheit mit den Kommunen, die wiederum ihre eigene Selbstverwaltung haben. Das bewirkt dann insbesondere die Trennung von medical und social care wie sie z.B. in der Versorgung langzeitarbeitsloser Menschen vorkommt. Viele Lebens- und Versorgungsfragen sind nicht mit einem eingestellten Blutdruck geklärt, ins medizinische System geraten sie, weil es an Prävention und Gesundheitsförderung fehlt, die helfen, mit schwierigen Lagen fertig zu werden.

Die „13“ in Care Share steht für die Entwicklung eines neuen Sozialgesetzbuches, das sich am Menschen uns einer Lebenssituation orientiert und am Leitbild des Sozialraumbezuges, der Interprofessionalität und der integrierten Versorgung. Dafür jedoch müssen die alten SGBs ab- und umgebaut werden und damit auch – salopp gesagt – so manche alte Sicht auf die Welt. Finanzierung und Honorierung folgen rechtstektonisch dem neuen Care Share Versorgungsprinzip, durch das die viel beschworenen Rationalisierungsreserven gehoben werden sollen.

Das Herzstück der Care Share 13-Versorgung sind als neue Steuerungsebene regionale Care Share Verbünde, die für ihren Sozialraum (Kommunen/Landkreise/Regionen) die Versorgungsplanung-, organisation und sicherstellung gewährleisten. Sie müssen aus den beteiligten Akteuren entwickelt werden und einen niedrigschwelligen Beteiligungszugang auch aus der Bevölkerung und den Versorgenden im Sinne eines modernen Partizipationsmanagements ermöglichen. Die Care Share-Versorgung kennt keine „SGB V“ oder „SGB XI“-Pflege mehr. Die pflegefachlichen Leistungen werden auf Grundlage des evidenzbasierten und international verfügbaren Datenklassifikationssystems abgebildet und Qualifikationen entlang des DQR[1] festgelegt. Sie stellen die Grundlage für moderne Versorgungsverträge. So wird sichergestellt, dass die Angehörigen der Berufspflege entlang ihrer Qualifikationen auch in modernen Versorgungsverträgen eingesetzt werden können.

Care Share bedeutet v.a. eine interprofessionelle statt arztzentrierte Primärversorgung. Hausarztpraxen und Pflege entwickeln als „Blockbuster“-Basisversorger in Tandem-Verträgen ein zeitgemäßes Zusammenarbeiten und keine „Heilkundeübertragung“. Ob in der Wohnung des zu Versorgenden, in einer niedergelassenen Arztpraxis oder im Krankenhaus, das Tandem bleibt an der Seite der Patienten, auch durch die Möglichkeiten der Digitalisierung (u.a. ePA, Televersorgung). In Care Share-Tandems können Ärzte und Pflegefachpersonen stationär und ambulant arbeiten, da der Regionalansatz auch neue, nachhaltig wirtschaftende Betriebsmodelle wie regionale Versorgungs- oder Care Share-Zentren vorsieht. Sie können nur wirksam werden, wenn das Berufs- und Leistungsrecht für alle Gesundheitsberufe modernisiert wird. Das Tandem ist fester Ansprechpartner und Ankerpunkt für die zu Versorgenden auch im Chronic Care Versorgungsmanagement. Hier werden entlang der Erkrankungen Versorgungverträge nach Patientenpfad abgebildet und Fachärzte, Fachpflege, Therapeuten und andere Akteure strukturiert beteiligt. Die Leistungen der Versorgenden sind digital unterlegt (Codes) und so können viele der „analogen MD-Prüfprozesse“ durch ein datengestütztes Echtzeitmonitoring abgelöst werden. Darüber hinaus gelten auch berufsspezifische Single-Leistungsvergütungskataloge.

Transformieren statt Reformieren, Kooperation statt Konkurrenz, Prävention statt Reparatur, Gemeinwohl statt Profitstreben – das sind die Leitprinzipien des IPAG e.V., dessen Mitglieder ihre hauptberuflichen Expertisen im Ehrenamt einbringen. Sie kommen aus den Berufen des Gesundheits-,Pflege- und Sozialwesens, der Verwaltung, Ökonomie, aus der direkten Patientenversorgung, die so gern als „Basis“ bezeichnet wird, wie auch aus der Wissenschaft. Care Share soll „mehr System ins Geld bringen“ statt „mehr Geld ins System“. Dafür braucht es eigenverantwortlich Gesundheits- und Sozialberufe – das gilt ganz besonders für die Pflege.

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Fußnoten

[1] Deutscher Qualifikationsrahmen s. Projekt BAPID I — Deutsch

Zur Person

Sonja Laag

ist Arzthelferin, Redakteurin, Dipl. Gesundheitswirtin, 2. Vorsitzende des IPAG e.V. (ehrenamtlich als Privatperson) und hauptberuflich seit 23 Jahren bei der BARMER Hauptverwaltung Wuppertal im Bereich Integrierte Versorgung tätig.

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