Für Menschen, die Worte nicht nutzen oder verstehen können, bleibt Körpersprache der einzige Verständigungskanal. Nonverbale Kommunikation ermöglicht trotz verbaler Einschränkungen Verständigung und emotionale Verbindung. Pflegekräfte benötigen daher spezielle Fähigkeiten, um selbst subtile Patientensignale zu erkennen und ihre eigene Körpersprache gezielt einzusetzen. Dieser Artikel beleuchtet die Bedeutung der Körpersprache in der Pflege und gibt praktische Tipps für den Umgang mit verbal schwer erreichbaren Patient*innen.
Eindrücke einer Patientin auf der Intensivstation
„Ich höre die laute Stimme und den schweren Gang von Schwester M., ich kenne sie schon: Sie ist schnell und packt fest an. Ich darf heute keinen Mucks von mir geben. Wenn sie sich über mich ärgert, bekomme ich Angst, mein Leben liegt doch in ihren Händen.“
Die Rolle der nonverbalen Kommunikation im Patientenkontakt
Nonverbale Kommunikation spielt in jeder zwischenmenschlichen Begegnung eine große Rolle. In abhängigen Lebenssituationen jedoch umso mehr, denn dann werden Menschen deutlich vulnerabler für die Art des Umgangs mit ihnen: Die Geschwindigkeit der Bewegungen, eine laute oder leise Stimme machen für Patient*innen bereits entscheidende Unterschiede aus. Wenn sich die pflegenden und behandelnden Fachpersonen in ihren körpersprachlichen Verhaltensweisen nicht situativ abstimmen, werden Verunsicherung, Stress oder Angst begünstigt. Diese grundlegende kommunikative Kompetenz wird als „Regulieren“ bezeichnet (Riggio, 2006).
Dekodieren: Körpersprachliche Signale wahrnehmen
Eine derartige Abstimmung setzt voraus, dass die körpersprachlichen Signale der Patient*innen wahrgenommen und zutreffend eingeordnet werden. Insbesondere bei Kommunikationsbarrieren benötigen Patientinnen ein präzises Dekodieren (Riggio, 2006), da sie anderweitig keine Möglichkeiten haben, Bedürfnisse, Emotionen oder auch Intentionen mitzuteilen.
Beispiel: Aphasie
Ein aphasischer Patient erhält eine Grundpflege im Bad. Er sitzt vor dem Waschbecken. Die Fachkraft tritt neben ihn, um sein Gesicht zu waschen. In diesem Moment weicht er mit dem Oberkörper leicht zur Seite, in seiner Mimik entsteht eine Stirnfalte. Er signalisiert Unwohlsein. Wenn die Fachkraft dies nicht berücksichtigt, indem sie beispielsweise einen kleinen Schritt zur Seite tritt, damit der Patient sich wieder entspannen kann, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er bei einer Berührung mit dem Waschlappen ihre Hand wegschlägt. Sein Bedürfnis nach mehr Platz wäre nicht erkannt, sein Stresspegel stiege, es käme zu einer aggressiven Handlung, die eigentlich Ausdruck eines unbeachteten Bedürfnisses war.
Kommunikationsbarrieren und ihre Ursachen
Kommunikationsbarrieren finden sich vor allem im Zuge von Demenz, Schwerhörigkeit, Schlaganfall, Hirntumoren, Schädel-Hirn-Traumata sowie neurologischen Erkrankungen wie Parkinson oder ALS. Etwa 54 % der Bevölkerung in Deutschland sind in ihrer Kommunikationsfähigkeit eingeschränkt (Jacobi, 2021), was das Verstehen medizinischer Informationen und die eigene Mitteilungsfähigkeit erschwert (Baylor et al., 2019).
Barrieren durch Emotionen
Bereits bei ausgeprägten Emotionen wie Angst oder Stress können Patient*innen Informationen weniger verarbeiten oder ausdrücken. Dann geht es darum, diese nicht nur verbal, sondern auch auf körpersprachlicher Ebene verständlich zu machen. Es geht darum, präzise und verständlich zu enkodieren (Riggio, 2006).
Enkodieren: Körpersprache gezielt nutzen
Beispiel: Angst
„Sie brauchen keine Angst haben.“ Eine wohlgemeinte, beruhigende Aussage vor dem Transfer in den Rollstuhl. Leider wirkt sie oft nicht, da mitten in der Angst Denkprozesse aussetzen. Ein sinnvollerer Ansatz, der auf der Körpersprache basiert, könnte darin bestehen, das Gefühl mimisch zu erkennen und dies der betroffenen Person deutlich zu machen: „Oh, Sie haben gerade Angst.“ Weiterhin wäre es sinnvoll, das Bedürfnis hinter der Angst, nämlich nach Halt und Sicherheit, anzusprechen: „Ich bin da und halte Sie fest.“ Wenn dies zusätzlich körpersprachlich erfahrbar gemacht wird, kann sich Angst binnen Kürze legen. Möglichkeiten sind: in die Augen schauen, die Hände reichen, einander für einen Moment festhalten oder auch gemeinsam tief atmen.
Barrieren durch motorische Einschränkungen
Auch Personen mit motorischen Einschränkungen erleben Einschränkungen in ihren Möglichkeiten, sich mitzuteilen und zu verstehen.
Beispiel: Kommunikation im Liegen
Liegt eine Patientin im Bett und wird mit ihr im Stehen gesprochen, versteht sie die gegebenen Informationen zu ihrer Gesundheitssituation schlechter, als würde im Sitzen mit ihr gesprochen werden (Johnson et al., 2008). Die liegende Körperposition reicht bereits aus, um in der Kommunikation benachteiligt zu sein.
Beispiel: Außerhalb des Blickfeldes sprechen
Kann jemand sich körperlich nicht zuwenden, erfährt er nicht selten, dass außerhalb seines Blickfeldes mit ihm gesprochen wird. Dadurch sind zum einen seine Möglichkeiten des Verstehens eingeschränkt, zum anderen erhält die Pflegefachkraft keine Information darüber, ob der/die Patient*in die Ansprache verstanden hat. Unter Umständen stößt sie dann auf mangelnde Kooperationsbereitschaft oder sich wiederholende Fragestellungen.
Barrieren durch Kognitive Beeinträchtigungen
Patient*innen mit kognitiven Beeinträchtigungen können komplexe Informationen, aber auch subtile Körpersprache nur schwer oder gar nicht verstehen. Sie zeigen nicht nur Einschränkungen im Sprachverständnis, sondern zudem oft gravierende Defizite in der bewussten Hörwahrnehmung (Goll et al., 2011). Daher benötigen sie eine Form des Encodierens, welche sich von der Alltagskommunikation deutlich unterscheidet. Im multimodalen Verdichten von Informationen über verschiedene Kanäle (Stukenbrock, 2008) wird ihnen nachvollziehbar, was gemeint wurde.
Beispiel: Schlaganfallpatient
Ein Schlaganfallpatient sitzt im Rollstuhl. Als die Pflegefachkraft ihn von der Seite anspricht, wendet er sich nicht zu, obwohl er dazu motorisch in der Lage wäre. Er hat die Ansprache nicht auf sich bezogen. Als die Fachkraft dies erkennt, tritt sie in sein Blickfeld und hockt sich so hin, dass sie einander in die Augen schauen können. In diesem Moment kann sie im Gesicht des Patienten Signale erkennen, die ihr zeigen, dass sie wahrgenommen worden ist: Sein Blick schärft sich, ein leichtes Lächeln tritt in sein Gesicht. Der Patient erlebt jetzt: „Ich sehe, was ich höre.“ Seine Erfahrung ist über zwei Kanäle verdichtet. Dann fragt ihn die Fachkraft, ob er Schmerzen hat. Er zeigt keine Reaktion. Anscheinend hat er die Frage nicht verstanden. Wieder braucht er eine Verdichtung: Die Fachkraft zeigt über eigene Mimik und Gestik Schmerzen an. Jetzt zeigt der Patient eine Reaktion, denn nun konnte er verstehen.
Fazit
Gespräche, ob mit oder ohne Worte, sind ein gemeinsames Werk. Wenn einer der Beteiligten in seinen Möglichkeiten zu kommunizieren eingeschränkt ist, werden bei den Fachpersonen besondere Kommunikationsfertigkeiten erforderlich, um einen Dialograum zu eröffnen. Diese Fertigkeiten entwickeln sich weder durch eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema (Alvarez & Agra, 2006), noch durch Gewöhnung im alltäglichen Kontakt mit averbalen Patient*innen (Healy & Noonan Walsh, 2007).
Im Kontext eines Trainings dagegen können nachweislich nonverbale Fertigkeiten wachsen, um trotz Kommunikationsbarrieren Kontakt zu finden und Interaktionen im Miteinander zu gestalten (Steinmetz, 2016).
Alvarez, M. P., & Agra, Y. (2006). Systematic review of educational interventions in palliative care for primary care physicians. Palliative Medicine, 20(7), 673-683.
Baylor, C., Burns, M., McDonough, K., Mach, H., & Yorkston, K. (2019). Teaching medical students skills for effective communication with patients who have communication disorders. American Journal of Speech-Language Pathology, 28(1), 155–164.
Goll, J. C., Kim, L. G., Hailstone, J. C., Lehmann, M., Buckley, A., Crutch, S. J., & Warren, J. D. (2011). Auditory object cognition in dementia. Neuropsychologia, 49(9), 2755-2765.
Healy, D., & Noonan Walsh, P. (2007). Communication among nurses and adults with severe and profound intellectual disabilities: Predicted and observed strategies. Journal of Intellectual Disabilities, 11(2), 127-141.
Jacobi, P. (2021). Barrierefreie Kommunikation: Mehr als leicht verständliche Sprache. In P. Jacobi (Ed.), Barrierefreie Kommunikation im Gesundheitswesen, Leichte Sprache und andere Methoden für mehr Gesundheitskompetenz (pp. 1-39). Wiesbaden: Springer VS.
Johnson, R. L., Sadosty, A. T., Weaver, A. L., & Goyal, D. G. (2008). To sit or not to sit? Annals of Emergency Medicine, 52(2), 188-193.
Riggio, R. E. (2006). Nonverbal skills and abilities. In M. L. Patterson & V. L. Manusov (Eds.), The SAGE Handbook of Nonverbal Communication (pp. 79–95). Thousand Oaks, CA: Sage.
Steinmetz, A. (2016). Nonverbale Interaktion mit demenzkranken und palliativen Patienten. Kommunikation ohne Worte-KoW®. Wiesbaden: Springer VS.
Stukenbrock, A. (2008). „Wo ist der Hauptschmerz?“ – Zeigen am eigenen Körper in der medizinischen Kommunikation. Gesprächsforschung – Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion, 9, 1-33.
ist Diplom-Musiktherapeutin und Diplom-Sozialpädagogin (FH) mit Promotion in Gerontologie. Sie entwickelte das Trainingsprogramm KoW® – Kommunikation ohne Worte. Seit 1999 arbeitet sie mit Palliativpatienten und ist seit 2001 Geschäftsführerin von KoW®-Training sowie Keynote-Speakerin im DACHL-Raum.
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