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Claudia Lehmann
GuKG Novelle 2022 - kein Gewinn für die professionelle Pflege

Am Internationalen Tag der Pflege wurde von der Bundesregierung zur „nachhaltigen Verbesserung der Rahmenbedingungen der Pflege“1 die schon seit Jahren geforderte Pflegereform angekündigt. Sie beinhaltet auch berufsrechtliche Änderungen. Die im Nationalrat beschlossene GuKG-Novelle 2022 drängt DGKP verstärkt aus der direkten Arbeit mit Patient*innen.

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Mit der GuKG-Novelle 2022 erhalten Pflegeassistent*innen die gesetzliche Legitimation zum Ab- und Anschluss laufender Infusionen, zur Aufrechterhaltung der Durchgängigkeit von periphervenösen Gefäßzugängen sowie zu deren Entfernung2. Pflegefachassistent*innen werden zum Legen, Wechseln und Entfernen von subkutanen und periphervenösen Verweilkanülen, zur Verabreichung von subkutanen Infusionen sowie subkutanen Injektionen ohne Einschränkungen berechtigt3. Voraussetzung zur Durchführung dieser Tätigkeiten ist eine Anordnung durch diplomiertes Gesundheits- und Krankenpflegepersonal und/oder Mediziner*innen4.

Die Kompetenzerweiterungen werden mit der Vermeidung von Versorgungsbrüchen, der effizienteren Gestaltung von Arbeitsabläufen und der geringen Schwierigkeitsgrade der Tätigkeiten argumentiert. Nicht bedacht wurde dabei, dass sich Pflegende in immer komplexeren Pflegesituationen finden, welche eine sehr hohe fachliche Expertise und somit eine umfangreiche theoretische und praktische Qualifizierung erfordern. Eine bloße Erweiterung von Befugnissen ohne strukturelle Veränderungen verbessert also weder die Situation der Pflegenden noch die Versorgungsqualität. Vielmehrbedeutet die hier erkennbare Ökonomisierung für Pflegeassistenzberufe noch mehr Aufgaben bei gleicher Zeit mit höherer Verantwortung ohne zusätzliche Ausbildungsdauer und entsprechendes Entgelt.

Veränderte berufliche Rollen

Zudem verändert sich die Rolle des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege. Mit dem absehbaren Personalmix zugunsten der Pflegeassistenzberufe kommt es zu einer Verschiebung der Aufgabengebiete und damit zu einem Rückschritt in Richtung Funktionspflege, wobei das höchstqualifizierte Personal aus der direkten Patient*innenversorgung herausgedrängt wird. Anstelle der direkten Arbeit mit den Patient*innen tritt vermehrt die Delegation und Aufsicht in den Vordergrund.

Jede Delegation stellt eine Einzelfallentscheidung4 dar und ist im Rahmen der Anordnungsverantwortung zu bewerten.Eine gewissenhafte Delegation benötig jedoch Kenntnis zur Patient*innensituation, die vor allem durch direkten Kontakt entsteht. Ohne Interaktion mit Patient*innen jedoch steigt das Risiko für schlechte Delegationsentscheidungen. Diese erhöhen wiederrum den Druck auf die übernehmenden Pflegeassistenzberufe. Angesichts der Komplexität der neuen Aufgaben, deren Risiken und möglichen resultierenden Haftungsfragen, v.a. auch im Hinblick auf die kurze Ausbildungsdauer, kann den Angehörigen der Pflegeassistenzberufe nur empfohlen werden, die Übernahme dieser Tätigkeiten unter dem Aspekt der Einlassungs- und Übernahmeverantwortung genau abzuwägen.  Zur Ausübung der neuen Aufgaben sind eben nicht nur Geschick, sondern umfassende theoretische Kenntnisse, z.B. in Krankenbeobachtung, Hygiene oder Pharmakologie notwendig.

Risiken für die Versorgungsqualität

Patient*innenorientierung und Pflegequalität rücken mit dieser Entwicklung in den Hintergrund (Pleschberger, 2021). Durch funktionelle Arbeitsprozesse wird laut Pleschberger et al. (2021) der gehobene Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege an die Grenzen der Belastbarkeit geführt, da zu wenig direkter Patient*innenkontakt besteht und somit individuelle Anpassungen und Entscheidungen immer schwieriger werden. Auch die Pflegeassistenzberufe sind durch diese Arbeitsweise mit einer hohen und oft überfordernden Arbeitslast durch maximales Ausschöpfen vorhandener Kompetenzen konfrontiert. Mit der GuKG-Novelle 2022 wandern also weitere Kompetenzen von der Diplompflege Richtung Pflegeassistenz. Die oben beschriebene Situation wird sich somit weiter zuspitzen. Damit wird nicht nur die Attraktivität der Pflegeberufe, sondern auch die genannten Ziele der GuKG-Novelle 2022 in Frage gestellt, denn die demographische Entwicklung mit dem damit verbundenen epidemiologischen Wandel bleiben bei dieser Novelle ebenso außer Acht, wie der Umstand, dass es durch das Verschieben von Kompetenzen zu Berufsgruppen mit kürzerer Ausbildung zu Qualitätsverlusten und höheren Risiken für Patient*innen kommt. Diese Tatsache ist durch zahlreiche Studien belegt (Aiken et al., 2014, 2016).

Mit der Einführung der Pflegefachassistenz wurde 2016 auf die gestiegenen Anforderungen im Gesundheitswesen reagiert. Der neue Beruf sollte die Pflegeassistenz in den Krankenhäusern ersetzen. Die festgelegte Frist war aber offensichtlich zu kurz gegriffen, da nun die normierte Befristung aufgehoben wird5. Auf den ersten Blick ist es aufgrund des hohen Personalbedarfs verständlich, Berufsangehörige der Pflegeassistenz weiter in Krankenhäusern zu beschäftigen und hat zeitlich limitiert sicher eine Berechtigung. Ein unbegrenzter Einsatz von drei Pflegeberufen mit unterschiedlichen Kompetenzen wirkt allerdings dem ursprünglichen Gedanken des Gesetzgebers in Bezug auf eine qualitätsvolle Versorgung der Patient*innen entgegen. Der vermehrte Einsatz von Pflegeassistenzberufen, insbesondere in einem Dreier-Mix (DGKP, PFA, PA), fördert logischerweise die Funktionsorientierung von Prozessen und blockiert damit die Entwicklung der Professionalisierung der Pflege. Des Weiteren führt der Einsatz von drei Pflegeberufen zu erhöhtem Planungsaufwand der Arbeitsabläufe und Einschränkungen in der Dienstplangestaltung, was im direkten Zusammenhang mit der Attraktivität der Arbeit und der Zufriedenheit mit dem Beruf steht (Pleschberger, 2021).

Fehlende Kompetenzerweiterung für den gehobenen Dienst

An dieser Stelle ist daher zu hinterfragen, inwieweit die GuKG-Novelle 2022 eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für Pflegende bewirkt. Schließlich findet die größte Berufsgruppe mit 102.648 diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger*innen (GÖG, 2021, S. 7) bei der GuKG-Novelle überhaupt keine Erwähnung. Schon im Hinblick auf die Akademisierung ist eine Ausweitung der Befugnisse des gehobenen Dienstes, insbesondere die Einführung eines Erstverordnungsrechts, die Umsetzung und Ausweitung des Weiterverordnungsrechts, die Pflegegeldbegutachtung als ausschließlich pflegerische Kompetenz sowie Befugniserweiterungen im Rahmen einer Spezialisierung im Sinne der Patient*innenversorgung notwendig und wesentlich zielführender. Stattdessen wird die De-Professionalisierung der Pflege vorangetrieben – ob das der richtige Weg ist, sei dahingestellt.

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Fußnoten

1  208/ME XXVII. GP – Ministerialentwurf – Erläuterungen

2  208/ME XXVII. GP – Ministerialentwurf – Gesetzestext – § 83 Abs. 4 Z 2a GuKG

3  208/ME XXVII. GP – Ministerialentwurf – Gesetzestext – § 83a Abs. 4 und 4a GuKG

4  § 83 Abs. 4 und 5 und § 83a Abs. 4 GuKG

5  208/ME XXVII. GP – Ministerialentwurf – Gesetzestext – § 117 Abs. 23 GuKG entfällt

Literatur

Literaturverzeichnis

Linda H Aiken, Douglas M Sloane, Luk Bruyneel, Koen Van den Heede, Peter Griffiths, Reinhard Busse (…), Walter Sermeus (2014). Nurse staffing and education and hospital mortality in nine European countries: a retrospective observational study. Abgerufen am 11.07.2011von https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4035380/pdf/nihms571000.pdf

Linda H Aiken, Douglas Sloane, Peter Griffiths, Anne Marie Rafferty, Luk Bruyneel, Matthew McHugh (…), Walter Sermeus (2016). Nursing skill mix in European hospitals: cross-sectional study of the association with mortality, patient ratings, and quality of care. Abgerufen am 11.07.2022 von

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5477662/pdf/bmjqs-2016-005567.pdf

Sabine Pleschberger, Petra Kozisnik, Marion Bajer, Leonie Holzweber (2021). Case Study zur Evaluation der GuKG-Novelle 2016 im akutstationären Setting. Abgerufen am 11.07.2011von https://jasmin.goeg.at/1844/1/CS_Bericht_fin_bf.pdf

Gesundheit Österreich GmbH (2021). Jahresbericht Gesundheitsberuferegister 2020 (7). Abgerufen am 11.07.2022 von https://jasmin.goeg.at/1823/1/GBR_Bericht_2020_fin_bf.pdf

Zur Person

Claudia Lehmann MSc

Referentin in der Abteilung Gesundheitsberuferecht und Pflegepolitik der Arbeiterkammer Wien

Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin (Anästhesie- und Intensivpflege)

Masterlehrgang ANP (Pflegemanagement)

Derzeit im Masterstudium Medizinrecht an der JKU Linz

Kontakt: claudia.lehmann@akwien.at

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