Relevanz und Hintergrund der Nurse-led Unit
Der deutsche Gesetzgeber ebnete mit dem Pflegestudiumstärkungsgesetz den Weg, um eine erweiterte Verantwortung für die eigenverantwortliche Übernahme heilkundlicher Tätigkeiten an akademisch qualifizierte Pflegefachpersonen zu übertragen. Hochschulen, die primärqualifizierende Pflegestudiengänge anbieten sind seit diesem Jahr gefordert, erweiterte heilkundliche Tätigkeiten für die Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden, mit diabetischer Stoffwechsellage oder mit Demenz kompetenzorientiert zu lehren und zu prüfen. Die Integration und Bindung von Pflegefachpersonen mit dieser neuen Qualifikation in naher Zukunft, aber auch von Pflegefachpersonen mit bereits erworbenem Bachelor-, Master- oder Doktorabschluss in die klinische Praxis, ist eine zentrale Aufgabe und Herausforderung für Pflegedirektor:innen und Entscheidungsträger:innen in deutschen Krankenhäusern. Innovative Konzepte zur Organisation und Bereitstellung von Pflege tragen dazu bei, dass Pflegefachpersonen erweiterte Kompetenzen am Poit-of-Care anwenden und neue Rollen in der Patientenversorgung übernehmen können.
NLU sind seit den 1960er Jahren, insbesondere in Großbritannien und den USA, etabliert. Auf diesen Stationen übernehmen Pflegefachpersonen die Verantwortung für die Aufnahme, Koordination der Versorgung und Entlassungsplanung von Patient:innen mit intensivem Pflegebedarf nach überstandenen akuten Erkrankungen. NLU entlasten Akutstationen und ermöglichen Pflegefachpersonen, erweiterte Rollen und Verantwortung zu übernehmen. Ärzt:innen sind dabei lediglich in unterstützender Funktion für kleigeringfügige Behandlungsanlässe oder das Fortschreiben von Verordnungen eingebunden.
In Kooperation zwischen der Hochschule Bremen (HSB) und dem Klinikum Bremerhaven-Reinkenheide (KBR) wird derzeit die erste NLU in Deutschland unter Berücksichtigung eines erweiterten pflegerischen Skill-Mix eingeführt. Das KBR ist ein Krankenhaus der Maximalversorgung mit 813 Betten und 16 Fachabteilungen. Jährlich werden dort 25.000 stationäre, ca. 20.000 ambulante und etwa 31.000 Notfallpatient:innen behandelt.
Die Implementierung der NLU am KBR ist Teil der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Studie „Nurse-led Unit am Klinikum Bremerhaven-Reinkenheide: Eine Mixed-Methods-Studie zur Entwicklung, Implementierung und Evaluation einer pflegegeleiteten Einheit im Krankenhaus“ (Förderkennzeichen: 03FHP222B). Seit Oktober 2023 untersucht dieses Forschungsprojekt, wie eine NLU in einem deutschen Krankenhaus umgesetzt und betrieben werden kann. Langfristige Auswirkungen der NLU auf Personal und Patienten werden über einen längeren Zeitraum analysiert.
Methoden zur Entwicklung des NLU-Implementierungskonzepts
Das Implementierungskonzept der NLU am KBR basiert auf publizierten Erkenntnissen zur Einführung des pflegegeleiteten Versorgungsmodells auf geriatrischen Krankenhausstationen in der Schweiz (Wenke-Zobler, et al., 2017). Erkenntnisse aus einer Stakeholder:innen-Analyse mit Pflegefachpersonen, Pflegemanager:innn, Ärzt:innen und Therapeut:innen ergänzten eine Recherche nach internationaler empirische Evidenz und berücksichtigten nationale, regionale und lokale Rahmenbedingungen für die Gestaltung der pflegegeleiteten Versorgung im KBR. Ab 2025 werden über einen Zeitraum von 12 Monaten regelmäßig qualitative und quantitative Daten von Mitarbeitenden, Patient:innenen und deren Angehörigen erhoben. Neben Erfahrungen mit der Arbeit und Pflege auf der NLU werden Routinedaten des KBR analysiert. Ausgewählte Qualitätsindikatoren (z. B. 30-Tage-Wiedereinweisungsrate, Mortalität, Verweildauer, Dekubitusinzidenz, Sturzereignisse) für NLU-Patient:innenen werden mit Patienten verglichen, die die reguläre Versorgung erhalten.
Das NLU-Implementierungskonzept auf einen Blick
Die NLU am KBR ist eine eigenständige 13-Betten-Station und nimmt Patient:innen aus den Fachbereichen Kardiologie, Unfall- und Gefäßchirurgie, Gastroenterologie, Neurochirurgie und Nephrologie auf. Die Patient:innen befinden sich in einem medizinisch stabilen, aber pflegeabhängigen Zustand. Der Betrieb der NLU beginnt mit ausgewählten zuweisenden Stationen, mit der Möglichkeit, weitere Stationen schrittweise einzubinden. Die NLU befindet sich in der Nähe einer Intermediate-Care-Station, nutzt gemeinsam materielle Ressourcen und steht unter einer einheitlichen pflegerischen Leitung, während sie als eigenständiges Team agiert. Das Personal der NLU besteht zu 60 % aus Pflegefachpersonen, darunter mindestens 20 % mit akademischer Qualifikation (wie BScN, APN), und zu 40 % aus Pflegeassistent:innen oder Hilfspersonal.
Spezialisierte Pflegefachpersonen für Geriatrie, Wundversorgung und Palliativpflege werden durch eine Pflegewissenschaftlerin sowie einen Trainee im Pflegemanagement unterstützt, die zur Qualitätssicherung und Evaluation beitragen. Ärzt:innen können von für kleinere Behandlungen oder laufende Verordnungen hinzugezogen werden, sind jedoch nicht dauerhaft im NLU-Team eingebunden. Therapeut:innen und weitere Fachbereiche wie Entlassungsmanagement oder Ernährungsberatung tragen bei Bedarf zur Patientenversorgung bei.
Medizinisch stabile Patient:innen mit erheblichem Pflegebedarf oder pflegeintensiven Diagnosen – beispielsweise Mobilitätseinschränkungen oder chronische Wunden – können aufgenommen werden. Voraussetzung für die Aufnahme sind stabile Vitalwerte, kontrollierte Infektionen und keine geplanten größeren diagnostischen Eingriffe innerhalb von 72 Stunden. Die Aufnahmeentscheidung trifft eine NLU-Koordinatorin – eine Pflegefachperson mit erweiterten Qualifikationen im Case- und Care-Management – in Absprache mit Pflege und Mediziner:innen der zuweisenden Stationen.
Therapeutische, diagnostische und präventive medizinische Interventionen auf der NLU erfolgen nach Algorithmen und Standardarbeitsanweisungen (Standard Operating Procedures, SOPs), die mit den leitenden Klinikärzt:innen entwickelt wurden. Pflegefachpersonen mit entsprechenden Zusatzqualifikationen können unter diesen SOPs erweiterte medizinische Tätigkeiten übernehmen, wie z. B. Wundmanagement oder Symptomkontrolle. Erste SOPs umfassen die Versorgung chronischer Wunden und das Management von Typ-2-Diabetes, wobei weitere Protokolle nach Bedarf entwickelt werden.
Die Pflege auf der NLU legt besonderen Wert auf die funktionellen Fähigkeiten, das emotionale Wohlbefinden, die Selbstmanagementfähigkeiten und das Erfahrungswissen der Patient:innen, mit dem Ziel einer praxisnahen, patientenzentrierten Behandlung. Pflegevisiten, interprofessionelle Fallbesprechungen und gezielte Assessments unterstützen die Planung, Umsetzung und Evaluierung der pflegegeleiteten Versorgung auf der NLU.
Ausblick
Bis Sommer 2026 wird die NLU-Studie Ergebnisse dazu liefern, ob das NLU-Implementierungskonzept ein geeigneter Ansatz ist, um den wachsenden Anforderungen an die Kompetenzerweiterung und neue Rollen von Pflegefachpersonen in Deutschland gerecht zu werden. Gleichzeitig wird untersucht, welches Potenzial dieses Übergangsversorgungsmodell für Krankenhäuser bietet.
Wenke-Zobler, J., et al., Verbessert eine pflegegeleitete Versorgung die Selbstpflegefähigkeiten? Eine quasi-experimentelle Studie. Klinische Pflegeforschung, 2017. 3: p. 48-60. DOI: 10.6094/KlinPfleg.3.48.
Dr. Kathrin Seibert
ist promovierte Pflege- und Gesundheitswissenschaftlerin und forscht seit 2017 an der Universität Bremen zum Einsatz digitaler Technologien in der Pflege. Seit 2023 koordiniert sie an der Hochschule Bremen und am Klinikum Bremerhaven-Reinkenheide die Umsetzung der NLU-Studie.
Dr. Witiko Nickel
ist Pflegerischer Geschäftsführer am Klinikum Bremerhaven-Reinkenheide. Nach seiner Ausbildung zum Krankenpfleger am St. Elisabeth Krankenhaus in Leipzig arbeitete er in der akutklinischen Versorgung, als wissenschaftlicher Mitarbeiter der der Universitätsmedizin Leipzig und später in verschiedenen Managementpositionen. Er ist leitender Konsortialpartner der BMBF geförderten NLU-Studie der Hochschule Bremen.
Prof. Dr. Henrikje Stanze
ist Professorin und Studiengangsleitung im Internationalen multiprofessionellen Studiengang Palliative Care M.Sc. sowie Professorin im Internationalen Studiengang für Pflege B. Sc. an der Hochschule Bremen. Sie ist die Projektleitung im Rahmen der BMBF geförderten NLU-Studie.
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