Die Novelle zur Schwerarbeitsverordnung erkennt Pflege ab 2026 offiziell als Schwerarbeit an. Welche konkreten Vorteile bringt die neue Regelung für Pflegepersonen?
Diese Regelung führt bei einer eingeschränkten Gruppe von professionell Pflegenden zu einer vorgezogenen Pensionsantrittsmöglichkeit. Möglichkeit deshalb, weil wir die genauen Bedingungen dafür noch nicht kennen. Somit ist eine abschließende Beurteilung nicht möglich. Wie groß die Gruppe ist, die tatsächlich mit 60 in Pension gehen kann, ist nicht bekannt. Grob überschlagen halten wie diese nicht für enorm. Ausgehend von einem Ausbildungsbeginn mit 17 beginnt die begünstigte Kohorte bei 62+. Auch das ist ein Erfolg, wurde aber leider nicht so kommuniziert. Bei den Kolleg:innen blieb hängen, dass jede:r 2. mit 60 in Pension gehen kann. Das kann nach unseren Berechnungen nicht stimmen und führt zur Verstimmung.
Was bedeutet dieser Schritt aus Sicht des ÖGKV – ist das ein echter Systemwechsel oder eher ein symbolischer Akt?
Weder noch. Beim Versprechen nach 45 Jahren, davon 10 aus den letzten 20 in Schwerarbeit, in Pension gehen zu können, kann beim besten Willen nicht von einem Systemwechsel gesprochen werden. Die Willensbekundung, den Übertritt in eine Schwerarbeiterpension zu erleichtern, ist aber dennoch wichtig. Die Umsetzung wird entscheiden, ob die Gemüter besänftigt werden.
Die Novelle nimmt nun auch psychische Belastung als Kriterium für Schwerarbeit ernst. Wie realistisch ist es aus Ihrer Sicht, dass diese psychische Komponente in der Praxis auch tatsächlich anerkannt und dokumentiert wird?
Das weiß ich nicht. Wenn ich lese, dass man dabei an das palliative Setting denkt, dann greift das jedenfalls zu kurz. Die psychische Belastung ergibt sich in der Pflege häufig aus der emotionalen Dissonanz, den Ansprüchen der Patient:innen sowie den eigenen, nicht entsprechen zu können. Grund dafür ist mitunter die massive Arbeitsverdichtung. Da bedeutet ein palliatives Setting, wenn ich speziell ausgebildet werde und genügend Zeit vorhanden ist, eventuell weniger psychische Belastung als eine Reanimation in der Ambulanz, wo ich danach keine Zeit für die Angehörigen habe und gleich wieder im Tagesgeschäft weiterarbeiten muss. Diese Definition wird nicht einfach und ich hoffe darauf, dass die Expert:innen alle Faktoren gut abwiegen werden.
Die Voraussetzung von 45 Versicherungsjahren und mindestens 10 Jahren Schwerarbeit innerhalb der letzten 20 Jahre stellt für viele, insbesondere Teilzeitbeschäftigte, eine hohe Hürde dar. Wird hier eine Chance vergeben – oder halten Sie diese Grenze für gerecht?
Ich konnte bisher keine Einschränkung für Teilzeitbeschäftigte herauslesen, sondern nur die Bedingung der 45 Versicherungsjahre. Was dieses Vorhaben jedenfalls bedeutet, ist eine Art Besserstellung von Umsteiger:innen. Wer mit 40 in die Pflege kommt und dann 10 Jahre Schwerarbeit verrichtet, kann nach 45 Versicherungsjahren mit 60 in Pension gehen. In diese 45 Jahre können auch Zeiten der Karenz oder der Arbeitslosigkeit fallen, entscheidend ist, ob die Person sozialversichert war. Hat jedoch eine Kollegin zwischen dem 20. Und 40. Lebensjahr Schwerarbeit in der Pflege geleistet und war danach in einem Setting, welches nicht der Schwerarbeit zugerechnet wird, werden die Schwerarbeitsjahre nicht berücksichtigt. Das halte ich für das falsche Signal.
Die Novelle wurde vielfach als „längst überfällig“ bezeichnet. Welche nächsten Schritte hält der ÖGKV für notwendig, um Pflegearbeit strukturell weiter aufzuwerten – über die Pension hinaus?
Da gibt es unterschiedliche Ebenen, auf welche ich hier nur in aller Kürze eingehen kann. Auf der 1. Ebene brauchen die Pflegenden einen Arbeitsplatz, der mit ihrem Leben gut vereinbar ist. Das erfordert lebenphasengerechte Dienstzeitmodelle und stabile Dienstpläne. Wir sehen weiters deutlich, dass der Lohn einen Lenkungseffekt hat. Wo schlecht bezahlt wird, sind die Personalprobleme massiv. Auf der 2. Ebene brauchen wir das Zugeständnis, dass Pflege zweifelsfrei ein wunderbarer, aber auch herausfordernder Beruf ist. Auf dieses Konto zahlt die Schwerarbeiterregelung ein. Wir denken zusätzlich, dass 35 Wochenstunden die Normarbeitszeit sein sollte. Für jene, die dann Vollzeit arbeiten, soll es auch einen Benefit geben. Somit soll eine Erhöhung der zur Verfügung gestellten Gesamtstunden erreicht werden, weil Kolleg:innen in Teilzeit einen Anreiz für Vollzeit bekommen. 3. Müssen wir in Österreich weiter am Image der professionellen Pflege arbeiten. Dazu gehört auch eine klare sprachliche Trennung zur Laienpflege. Die beste Imagekampagne sind allerdings die Pflegenden selbst.
Wie wird die Neuerung Ihrer Erfahrung nach innerhalb der Pflegecommunity aufgenommen? Überwiegt Erleichterung, Skepsis oder vielleicht auch Enttäuschung?
Unter jenen, mit denen ich gesprochen habe, eindeutig Letzteres.
Sie setzen sich seit Jahren für bessere Rahmenbedingungen in der Pflege ein. Was bedeutet Ihnen persönlich diese gesetzliche Anerkennung – und wo sehen Sie weiterhin dringenden Handlungsbedarf?
Den längst überfälligen Vorstoß begrüßen wir. Darüber hinaus denke ich, dass 40 Jahre in der Pflege, mit einem durchgerechneten Beschäftigungsausmaß von 75% und 50 % in Schwerarbeit, auch zu einem Anspruch auf Schwerarbeitspension führen sollten. So werden jene besser abgebildet, die durchgehend in der Pflege beschäftigt waren.
Mag. Elisabeth Potzmann ist seit Juli 2020 Präsidentin im Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverband. Die ausgebildete Intensivpflegerin studierte Pflegepädagogik und Pflegewissenschaft an der Universität Wien und absolvierte die Pflegemanagementausbildung an der Fachhochschule Campus Wien. Vor ihrer derzeitigen Tätigkeit war sie im Anästhesie- und Intensivpflegebereich, in der Lehre und in Führungspositionen tätig. Im Laufe ihrer beruflichen Laufbahn entwickelte sie immer wieder innovative Projekte, wie etwa die Prämierung von hervorragenden Fachbereichsarbeiten unter dem Titel „Fachkompetenz braucht Auszeichnung“.
Wir informieren Sie sehr gern über zukünftige Neuerscheinungen und interessante Artikel.
Mit unserem Newsletter informieren wir Sie
1x monatlich über Aktuelles, Neues und Wissenswertes aus dem Gesundheits-, Pflege- und Sozialbereich.
Cookie | Dauer | Beschreibung |
---|---|---|
_ga | 2 years | The _ga cookie, installed by Google Analytics, calculates visitor, session and campaign data and also keeps track of site usage for the site's analytics report. The cookie stores information anonymously and assigns a randomly generated number to recognize unique visitors. |
_ga_8L3SGDD488 | 2 years | This cookie is installed by Google Analytics. |