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Claudia Leoni-Scheiber
Österreichs Pflege ist ausgeblutet - Ohne Geld ka Musi!
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Im deutschsprachigen Raum – in Deutschland, der Schweiz wie in Österreich – ist das Gesundheits- und Sozialwesen, insbesondere die Pflege seit Jahrzehnten von Ökonomisierung und Rationierung geprägt. Vor dem Hintergrund der bekannten demographischen Entwicklung, insbesondere der Verschiebung in Richtung alter und hochaltriger Bevölkerungsgruppen, gepaart mit einem fehlgeleiteten Gesundheitssystem – unter anderem deutlich zu vielen Krankenhausbetten (OECD, 2021) – stieg und steigt die Nachfrage nach Pflege. Den dadurch explodierenden Ausgaben wurde im Spitalsetting einerseits mit der Implementierung neuer Abrechnungsverfahren begegnet.

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In Deutschland wurden die Diagnosis Related Groups (DRGs) oder Diagnosebezogenen Fallgruppen eingeführt, in der Schweiz die Swiss DRGs und in Österreich das dazu ähnliche LKF-System, die Leistungsorientierte Krankenanstaltenfinanzierung. Allen gemeinsam ist, das war auch deklariertes Ziel, dass die Krankenhausaufenthaltsdauer deutlich verkürzt wird und so die Kosten sinken würden. Die Bewertung der Personalkosten als größter Kostenfaktor im Dienstleistungssektor hat andererseits dazu geführt, dass Pflegefachpersonal in großem Stil abgebaut und vielerorts durch Pflegeassistenzpersonal ersetzt wurde. Das Ergebnis ist eine Kombination aus signifikanter Zunahme der Patientenfluktuation bei gleichzeitig verkürzter Liegedauer inkl. Zunahme an administrativen und pflegerischen Leistungen. Das bedeutet, dass mehr Patient:innen, die tendentiell älter, multimorbider, mit zunehmend gerontopsychiatrischen Krankheitsbildern und Polypharmazie belastet sind – also komplexe Pflegesituationen, von weniger und vor allem weniger gut ausgebildeten Pflegepersonen versorgt werden müssen. Untersuchungen, die infolge der Swiss DRG-Einführung durchgeführt wurden, haben gezeigt, dass durch die dargestellten Faktoren die Patientenanleitung um 77 %, gesundheitsfördernde Maßnahmen um 63 %, die Mobilisierung um 30 % und die Unterstützung beim Essen um 24 % reduziert wurden (Abele & Blumenfeld, 2013; Brügger, 2010). Auch in der Langzeitpflege wurde die Pflegepersonalausstattung nach ähnlichem Muster verändert – maßgebliche Einsparung diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger:innen und Ersatz durch Pflegeassistenzpersonal. Die Konsequenzen sind vielfältig und sind auf Seiten der Patient:innen bzw. Pflegeheimbewohner:innen ebenso wie bei den Pflegepersonen zu sehen. So steht diese veränderte Pflegepersonalausstattung mit einer drastischen Zunahme an unerwünschten Ereignissen wie Dekubitus, Stürzen, Infektionen und andere im Zusammenhang (Griffiths et al., 2017; Kane et al., 2007) und führte unter anderem zu einer Vervielfachung vermeidbarer Spitalseinweisungen, deren Kosten in Deutschland alleine für das Jahr 2017 mit einer Summe von € 768.304.547 beziffert wurden (Bohnet-Joschko et al., 2021). Das Pflegepersonal flüchtet im großen Stil – je nach Fortgang der beschriebenen Ökonomisierung zunächst ins Ausland, vor allem in die Schweiz (Report Mainz, 28.2.2018) und aktuell aus dem Beruf. Erfahrene Intensivpfleger schulen um zum Lokführer, gut ausgebildete diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerinnen gehen in den Schichtbetrieb diverser Industrieunternehmen, weil sie dort besser verdienen und einen fixen Dienstplan haben – also nicht permanent einspringen müssen. Verbliebenes Pflegepersonal reduziert ihr Beschäftigungsausmaß, weil kaum einer von ihnen mehr 100 % unter den gegebenen Bedingungen arbeiten kann.

Dahinter steht eine lausige Finanzierung! In Österreich geben wir aktuell 1,5 % des Bruttoinlandsprodukts für die Langzeitpflege aus*, während die Schweiz 2,4 % und die Niederlande mit 4,1 % mehr als 2,7-mal so viel dafür ausgeben (OECD, 2021). Dementsprechend verfügt Österreich durchschnittlich über vier angestellte Pflegepersonen für einhundert Bürger:innen ab 65 Jahren, die Schweiz über acht – also doppelt so viele und die Niederlande mit elf beruflich Pflegenden über beinahe dreimal so viele (!) (OECD, 2021). Das spiegelt sich naturgemäß auch im Anteil an informell Pflegenden wider. In kaum einem der OECD 27 übernehmen so viele (in der Hauptsache) Familienmitglieder die Pflege ihrer pflegebedürftigen Angehörigen. Österreich liegt nach Belgien mit 23 % an der Spitze – 10 % über dem OECD-Durchschnitt, während in den Niederlanden 16  % und in der Schweiz 15 % der Pflege von informell Pflegenden übernommen werden (OECD, 2021). Fast alle von diesen sind unter 65 Jahren und stehen damit im Berufsleben. Vielfach Frauen sind dadurch gezwungen ihr Beschäftigungsverhältnis zu reduzieren oder ihren Job ganz zu lassen. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftemangels eine bittere Pille, die sich Österreich nicht leisten kann. Derzeit finden mehr als ein Drittel der Dienstleistenden nicht ausreichend Personal, in der Industrie sind es ein Fünftel (Agenda Austria, 2022). Und dass, obwohl Österreich gemäß aktueller Studie der Weltbank das siebent-reichste Land der Welt ist (APA, o.D.).

Österreichs Pflege ist ausgeblutet, und dass ist der österreichischen Bevölkerung nicht würdig! Beschämend für Österreich!

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Fußnoten

* Österreich nennt die reinen Sozialausgaben nicht.

Literatur

Abele, M., & Blumenfeld, N. (2013). Vulnerable Gruppen und DRG. Schlussbericht einer qualitativen Erhebung bei Hausärzten, Spitex und Heimen zu den Auswirkungen durch die Einführung von Fallpauschalen mit speziellem Fokus auf vulnerable Patientengruppen. Zürich: gfs_zürich. https://dialog-ethik.ch/files/DRG-und-vulnerable-Gruppen1.pdf (20.2.2019)

Agenda Austria (2022). Österreich wird zur Arbeitskräftemangelwirtschaft. https://www.agenda-austria.at/grafiken/oesterreich-wird-zur-arbeitskraeftemangelwirtschaft/#:~:text=Schon%20seit%20Jahren%20wird%20der,sie%20in%20ihrer%20Gesch%C3%A4ftst%C3%A4tigkeit%20behindert. (23.8.2022)

APA (o.D.). Studie: Österreich siebentreichstes Land https://www.diepresse.com/128667/studie-oesterreich-siebentreichstes-land#:~:text=Nach%20einer%20neuen%20Studie%20der,siebenter%20Stelle%20in%20der%20Rangliste(23.8.2022)

Bohnet-Joschko, S., Valk-Draad, M.P., Schulte, T., & Groene, O. (2021). Nursing home-sensitive conditions: analysis of routine health insurance data and modified Delphi analysis of potentially avoidable hospitalizations, F1000Research, 01 Dec 2021, 10:1223 https://doi.org/10.12688/f1000research.73875.1

Brügger, U. (2010). Impact of DRGs: introducing a DRG reimbursement system – a literature review. Zürich: Schweizerische Gesellschaft f. Gesundheitspolitik.

Griffiths, P. Dall’Ora, C. & Ball, J. (2017). Nurse staffing levels, quality and outcomes of care in NHS hospital wards: what does the evidence say? Health Work Evidence Briefs.

Kane, R.L., Shamliyan, T., Mueller, C., Duval, S., & Wilt, T. (2007). Nursing staffing and quality of patient care. Evidence Report/Technology Assessment No. 151 (Prepared by the Minnesota Evidence based Practice Center under Contract No. 290-02-0009.) AHRQ Publication No. 07-E005.

OECD (2021). Health at a Glance 2021: OECD Indicators, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/ae3016b9-en (12.4.2022)

Report Mainz (28.2.2018). Auf der Flucht. https://www.youtube.com/watch?v=PSzmLvfvMKg (23.8.2022)

Zur Person

Univ. Ass. Dr. Claudia Leoni-Scheiber, MMSc

Claudia Leoni-Scheiber ist Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin (Intensivpflege), Pflegepädagogin und Pflegewissenschaftlerin. Sie promoviert an der Universität Wien zum Effekt des Guided Clinical Reasoning, einer Schulungsintervention, auf die Einstellung und das Wissen diplomierter Pflegefachpersonen zum Advanced Nursing Process sowie auf die Qualität von Pflegediagnosen, -interventionen und Pflegeergebnissen. Aktuell ist sie an der Tiroler Privatuniversität UMIT-Tirol Koordinatorin am FH-Standort Reutte.

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