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Kathrin Yen
Rechtsmedizinische Gewaltambulanzen im Pflegekontext

Mit der zunehmend alternden Gesellschaft wird auch Gewalt an betagten und pflegebedürftigen Menschen zunehmen. Es ist daher notwendig, dass pflegende Personen Folgen von Gewalt erkennen und bei Verdachtsfällen richtig handeln können. Eine zentrale Möglichkeit zur Schaffung von Klarheit ist die forensische Untersuchung und Beweissicherung. Rechtsmedizinische Gewaltambulanzen bieten diese meist auch niederschwellig („verfahrensunabhängig“) an, also ohne vorgängige Anzeige, und manche können rund um die Uhr auch vor Ort einbezogen werden.

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Gewalt an Pflegebedürftigen oder betagten Menschen

Gewalt gegen betagte oder Menschen mit Pflegebedürfnissen bleibt wahrscheinlich oft unerkannt. Man muss davon ausgehen, dass sie oft im Verborgenen geschieht und über lange Zeiträume hinweg erfolgen kann. Körperliche Schwäche und oft auch geistige Defizite tragen dazu bei, dass die Opfer häufig nicht in der Lage sind, sich zu schützen, sich zu äußern oder Hilfe zu suchen, und selbst wenn, spielen Scham und Abhängigkeiten eine große Rolle.

Auch aus solchen Gründen existieren auch keine genauen Erfassungsdaten zur Häufigkeit von Gewalt gegenüber pflegebedürftigen Menschen. Die polizeiliche Kriminalstatistik [1] etwa erfasst Fälle, bei denen es zu Körperverletzungen oder sexuellen Übergriffen gekommen ist, diese werden aber nicht danach unterteilt, ob es sich bei den Opfern um pflegebedürftige Personen handelt. Hinzu kommt, dass die polizeiliche Kriminalstatistik nur angezeigte Fälle erfassen kann, Betroffene aber aus den genannten Gründen aber eben nur sehr selten anzeigen.

Neben der jährlich erstellten polizeilichen Kriminalstatistik existieren mehrere Studien aus den letzten Jahren, die Erhebungen in verschiedenen Kontexten von Pflege und Gewalt durchgeführt haben. Dabei wurde nicht nur Gewalt von Pflegenden an Pflegebedürftigen untersucht, sondern auch Gewalt unter den Pflegebedürftigen selbst sowie Gewalt durch Pflegebedürftige am Pflegepersonal. Beispielsweise findet sich bei Conti et al. [2] eine aktuelle Metaanalyse zur Prävalenz verschiedener durch Pflegepersonen verursachter Gewaltformen in der häuslichen und institutionellen Langzeitpflege. Über alle ausgewerteten Studien betrachtet lag die Prävalenz von erlebter oder berichteter/beobachteter körperlicher Gewalt in dieser Studie bei 8%, von Vernachlässigung bei 20%, von Festhaltemaßnahmen bei 22% und von sexualisierter Gewalt bei 2%. Berücksichtigt man das anzunehmende hohe Dunkelfeld, so wird deutlich, dass es sich um ein Thema von hoher Relevanz handelt und mehr als 2 von 10 Personen in Langzeitpflegesituationen Opfer mindestens einer der oben genannten Gewaltformen werden. Das Problem könnte durch die zunehmend alternde Gesellschaft noch größer werden.

Die Situation ist für Pflegebedürftige ähnlich wie bei Kindern: Auch hier braucht es ein aufmerksames, sensibilisiertes und qualifiziertes Umfeld, das Hinweise auf Gewalt erkennen, richtig deuten und Hilfe in die Wege leiten kann. Ärztinnen und Ärzte sind hier in der Verantwortung [3], aber ebenso sind Angehörige des Pflegepersonals entscheidende „Weichensteller“, wenn Hinweise auf Gewalt vorliegen.

Geht es um eine Klärung, ob und in welchem Umfang gewaltsame körperliche oder sexuelle Handlungen an einem Menschen stattgefunden haben, so ist es wichtig, die Betroffenen nicht nur dem Hausarzt bzw. der Ärztin der Pflegeeinrichtung vorzustellen oder sie in die nächste klinische Einrichtung zu verbringen, sondern eine zeitnahe forensische Untersuchung zu veranlassen. Dazu haben sich in den letzten Jahren an einigen Orten sog. „Gewaltambulanzen“ etabliert, die rechtsmedizinische Untersuchungen mit dem Ziel einer umfassenden Dokumentation von Verletzungen und Spurensicherung anbieten [4]. Am Beispiel der Gewaltambulanz des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD), die eine der ersten solchen Einrichtungen in Deutschland und die erste in Baden-Württemberg war, soll auf das Angebot und den Nutzen von Gewaltambulanzen im Kontext mit Pflege eingegangen werden. Insbesondere geht es darum, zu erläutern, welche Unterstützung die Rechtsmedizin im pflegerischen Alltag bieten kann und wie deren Einbeziehung funktioniert.

Wozu dienen rechtsmedizinische Untersuchungen?

Eine rechtsmedizinische Untersuchung kann, insbesondere wenn sie zeitnah nach einem Übergriff stattfindet, in vielen Fällen zur Klärung beitragen, ob und wie ein Mensch zum Opfer von Gewalt geworden ist. Diese Klarheit steht am Anfang aller weiteren Entscheidungen, zum Beispiel ob bzw. welche Maßnahmen erforderlich sind. Im Kontext mit pflegebedürftigen Menschen dient die forensische Untersuchung vor allem dem Erkennen von Gewaltopfern, die sich häufig nicht selbst äußern und schützen können, und damit dem Schutz des Opfers vor weiteren Übergriffen, aber auch dem Schutz weiterer möglicher Opfer. Kommt es zu einem Straf- oder Zivilverfahren, so liegen Beweisgrundlagen vor, die eine juristische Beurteilung auf Basis objektiver Befunde ermöglichen. Verurteilungen sind viel eher zu erwarten, wenn Beweise vorliegen, die eine Tat sicher belegen.

Rechtsmedizinischer Sachverstand ist immer dann erforderlich, wenn es darum geht, herauszufinden, ob vorhandene Verletzungen Folge von Gewalt sind und ob diese selbstbeigebracht, Folge eines Unfalls oder eines tätlichen Angriffs war. Dasselbe trifft zu, wenn geklärt werden soll, wie eine Tat ablief: erfolgte z.B. ein Angriff mit einem Tatwerkzeug und mit welchem? Erfolgte der Angriff von vorne oder hinten, gegen die liegende/stehende/sitzende Person? Wie oft wurde geschlagen, getreten, gebissen? Welcher Handlungsablauf lag während der Tat vor und (wie lange) war das Opfer zur Gegenwehr fähig? Wenn beurteilt werden soll, ob – im juristischen Sinne – eine Lebensgefahr bestanden hat, sind ebenfalls spezifische Fachkenntnisse notwendig. Klinische Untersuchungen können rechtsmedizinische Untersuchungen sinnvoll ergänzen, aber nicht ersetzen, da klinische Fächer nicht über die für solche forensischen Untersuchungen und Diagnosen erforderliche Fachkompetenz und Erfahrung verfügen. In Bezug auf Gewalt kommt klinischen Ärztinnen und Ärzten genauso wie auch pflegenden Personen dennoch ein enormer Stellenwert zu, da sie oft die erste Anlaufstelle bzw. Vertrauensperson für Gewaltopfer sind.

In welchen Fällen soll eine forensische Untersuchung und Beweissicherung angestrebt werden?

Ein paar wegweisende Befunde oder Situationen, die auf Gewalt hinweisen können, sind in Abb. 1 angeführt und in einschlägigen Publikationen benannt [5,6]. Wichtig ist, dass eventuelle Angaben betreuter Personen zu möglichen gewaltsamen Übergriffen ernst genommen werden und unklaren Befunden und Verletzungen stets nachgegangen wird. Da Zeit eine große Rolle spielt und Befunde und Spuren zum Teil rasch verschwinden oder verändert werden können, kann es durchaus sinnvoll sein, selbst eine zeitnahe Fotodokumentation zu auffälligen Befunden und Verletzungen zu erstellen. Dies darf jedoch nur im Einverständnis mit der betreffenden Person oder deren gesetzlichen Vertretung erfolgen und man sollte sich bewusst sein, dass dies eine rechtsmedizinische Untersuchung nicht ersetzen kann.

 

 

Abb. 1

Rechtsmedizinische Gewaltambulanzen: Angebot, Organisation, Adressaten

Seit 2011 betreibt das Institut für Rechts- und Verkehrsmedizin des Universitätsklinikums Heidelberg eine Gewaltambulanz, seit 2023 eine weitere am Klinikum Stuttgart. Mittlerweile gibt es in Deutschland 34 ähnliche Einrichtungen. Die Heidelberger Gewaltambulanz bietet an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr rechtsmedizinische Untersuchungen und eine forensische Beweissicherung nach Gewalt an – unabhängig davon, ob eine Anzeige an die Polizei erfolgt ist oder nicht. Die Untersuchungen sind mobil verfügbar, das heißt, es steht ein Dienstfahrzeug zur Verfügung, mit dem auch weiter entfernte Orte wie z. B. ein Krankenhaus oder Pflegeheim aufgesucht werden können. Versorgt werden derzeit ganz Nordbaden sowie Heilbronn und Stuttgart mit Umgebung, insgesamt ein Bereich mit einer Bevölkerung von über 5 Mio. Menschen. Die Untersuchungen sind für Betroffene kostenfrei, auch entstehen der beauftragenden Pflegeeinrichtung bzw. der/dem beauftragenden Arzt oder Ärztin sowie Krankenhaus keine Kosten für die rechtsmedizinische Beweissicherung. Die beiden Gewaltambulanzen am UKHD finanzieren sich aus Mitteln des Landes Baden-Württemberg, des Universitätsklinikums Heidelberg, regionaler Kommunen sowie aus Einnahmen, die durch die Untersuchungen erzielt werden. In nicht angezeigten, sog. „verfahrensunabhängigen“ Fällen tragen gemäß einer neuen gesetzlichen Regelung (SGB V §27, §132 k) die Krankenkassen die Kosten für gesetzlich Versicherte.

Eine flächendeckende Versorgung mit rechtsmedizinischen Gewaltambulanzen gibt es noch nicht, derzeit findet aber ein Ausbau der Angebote statt. Deutschland verfügt inzwischen über 36 Gewaltambulanzen [7], die teils unter anderer Bezeichnung geführt werden („Gewaltopferambulanz“, „Opferambulanz“, „Rechtsmedizinische Ambulanz“, „Klinisch-forensische Untersuchungsstelle“ etc.) und deren Angebot sich sowohl hinsichtlich zeitlicher und örtlicher Verfügbarkeit wie auch inhaltlicher Schwerpunkte vom Heidelberger Modell unterscheiden kann. Vereinzelt stehen auch Kooperationsmodelle mit klinischen Einrichtungen zur Verfügung, an denen die Untersuchungen durchgeführt und in Kooperation mit der Rechtsmedizin ausgewertet werden können wie beispielsweise in NRW [8]. Benötigt man eine rechtsmedizinische Untersuchung, so wird empfohlen, die Homepage des örtlich zuständigen Instituts [9] zu konsultieren und dort anzufragen, ob und in welchem Rahmen Untersuchungen möglich sind. In Österreich [10] gibt es rechtsmedizinische Gewaltambulanzen erst in Graz am dortigen Diagnostik- und Forschungsinstitut für Gerichtliche Medizin, weitere sind angekündigt. In der Schweiz bieten alle Rechtsmedizinischen Institute Untersuchungen für lebende Gewaltopfer an, für Details wird aber ebenfalls auf die Homepage des jeweilig regional zuständigen Rechtsmedizinischen Instituts verwiesen [11].

 

Untersuchungen mit und ohne Polizei

Wichtig gerade im Pflegekontext ist, dass das Angebot der Gewaltambulanzen meist auch unabhängig von einer Anzeige an die Polizei genutzt werden kann. Auch im Zuständigkeitsgebiet der Heidelberger und Stuttgarter Gewaltambulanz ist eine Anzeige nicht Voraussetzung für die forensische Untersuchung. Man kann daher eine Untersuchung durchführen lassen und auf Basis des Ergebnisses später entscheiden, ob die Polizei eingeschaltet werden soll oder andere Maßnahmen getroffen werden sollen. Anzeigepflichten gibt es in Deutschland nicht, in den Nachbarländern ist dies unterschiedlich geregelt. In verfahrensunabhängig untersuchten Fällen entscheidet die untersuchte Person bzw. deren gesetzliche Vertretung, was mit den erhobenen Informationen und gesicherten Asservaten passiert; in angezeigten Fällen, in denen die Polizei oder Staatsanwaltschaft beauftragt hat, diese. Asservate, beispielsweise DNA-Abstriche oder Kleidung, werden in der Regel für ein Jahr am Institut für Rechtsmedizin gelagert, die Aufbewahrungsfrist kann aber nach Bedarf verlängert werden.

 

Beauftragung und Untersuchungsort

Der Einbezug der Rechtsmedizin bzw. Gewaltambulanz sollte – auch nachts – möglichst unverzüglich nach Bekanntwerden von Auffälligkeiten veranlasst werden, damit keine Informationen und Beweise verloren gehen. Eine telefonische Vorabsprache ist in jedem Fall erforderlich, in der der Auftrag besprochen und miteinander abgestimmt werden kann, wo und wann die Untersuchung durchgeführt wird.

Wird eine forensische Beweissicherung angestrebt, so sollten möglichst wenige Veränderungen am Patienten/der Patientin vorgenommen werden, insbesondere nach sexuellen Übergriffen sollten ein Waschen und Umkleiden bis zur (zeitnahen!) Untersuchung unterbleiben. Möglicherweise involvierte Gegenstände oder Kleiderungsstücke/Bettwäsche, aber auch Windeln, Medikamente und ähnliches können zur Klärung beitragen und sollten vorerst nicht verändert oder entsorgt werden.

Die jeweils diensthabenden Ärztinnen und Ärzte des Rechtsmedizinischen Instituts bzw. der Heidelberger und Stuttgarter Gewaltambulanz kommen nach Absprache auch dorthin, wo sich der (ggf. bettlägerige) Patient bzw. die Patientin befinden. Lediglich in Privatwohnungen wird aus Sicherheitsgründen nicht untersucht, wobei bei nicht mobilen Patient:innen Ausnahmen möglich sind, wenn z.B. die Polizei begleitet. In Kliniken und Pflegeeinrichtungen kann analog zu anderen ärztlichen Konsiliardiensten ein konsiliarischer Einbezug erfolgen. Der Klinik bzw. der Pflegeeinrichtung entstehen dadurch keine Kosten. Bei weiblichen Opfern möglicher Sexualdelikte wird als Untersuchungsort wenn möglich eine gynäkologische Klinik oder Praxis gewählt und die Beweissicherung erfolgt gemeinsam mit der klinisch-gynäkologischen Untersuchung. Dies erspart den Betroffenen eine zusätzliche Untersuchung des Genitalbereichs und stellt sicher, dass keine Befunde durch eine eventuell zuvor durchgeführte klinische Untersuchung verfälscht oder verloren werden. Bei männlichen Opfern sexueller Gewalt wird meist in einer urologischen oder chirurgischen Klinik untersucht, wenn ein Transport des Patienten ohne erhebliche Belastung möglich ist.

 

Ablauf einer rechtsmedizinischen Untersuchung und Dokumentation von Verletzungen

Kommt es zu einer Untersuchung, so wird nach entsprechender telefonischer Vereinbarung bei zu pflegenden Personen in der Regel die zu untersuchende Person aufgesucht. Wie bei anderen ärztlichen Tätigkeiten findet zuerst eine ärztliche Aufklärung und die Abklärung der Einwilligung statt. Wurde ein Auftrag durch die Polizei oder Staatsanwaltschaft erteilt, so wird darüber aufgeklärt, dass die untersuchenden Ärzt:innen der Rechtsmedizin nicht mehr der Schweigepflicht unterliegen und Informationen aus den Untersuchungen an den Auftraggeber weitergegeben werden. In allen nicht angezeigten, verfahrensunabhängigen Fällen verfügt die betroffene Person oder deren gesetzlichen Vertretung darüber, was mit den erhobenen Informationen und Asservaten, falls solche entnommen werden, passiert.

Nach Aufklärung und Einwilligung findet die eigentliche rechtsmedizinische Untersuchung statt. Diese umfasst insbesondere eine sehr detaillierte Untersuchung der gesamten Körperoberfläche. Auch der Bereich der behaarten Kopfhaut, die Haut hinter den Ohren, der Hals und die Augenbindehäute usw. werden untersucht. Sämtliche dabei festgestellten Verletzungen und sonstigen Befunde werden gerichtsfest dokumentiert und fotografisch festgehalten sowie in Körperschemazeichnungen, die ebenfalls zur Dokumentation dienen, eingezeichnet. Während der Untersuchung wird darauf geachtet, dass die untersuchte Person nie gänzlich unbekleidet ist. Es wird Schritt für Schritt vorgegangen und während der Untersuchung stets ausführlich erläutert, was nun folgt. Selbstverständlich kann die untersuchte Person auch die gesamte oder Teile der Untersuchung oder Dokumentation ablehnen. Auch das Einlegen von Pausen ist jederzeit möglich.

Eine gute und verständliche Kommunikation auf Augenhöhe mit der untersuchten Person ist wichtig für das Vertrauen und letztlich auch den Untersuchungserfolg, sämtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gewaltambulanzen sind darin geschult. Vertrauenspersonen dürfen auf Wunsch der Patientinnen und Patienten bei der Untersuchung anwesend sein, dasselbe gilt für pflegerisches oder ärztliches Personal, wenn Patientin bzw. der Patient dies wünscht oder einverstanden ist.

 

Spurensicherung

Findet eine Untersuchung zeitnah genug nach einem gewaltsamen Ereignis statt, so besteht abhängig vom Ereignis die Möglichkeit, Spuren zu sichern. Dies können z. B. DNA-Abriebe sein, die eine Feststellung erlauben, wer den Patienten oder die Patientin geküsst oder gewürgt hat. Gerade nach sexuellen Übergriffen kann auch eine Untersuchung der Genitoanalregion angeschlossen werden, im Rahmen derer Spuren eines möglichen Sexualdelikts gesichert werden. In den ersten 72 Stunden nach einem sexuellen Übergriff ist die Aussicht auf einen Erfolg einer solchen Maßnahme am höchsten. Mit jeder Stunde können Spuren verloren gehen, so lässt sich z. B. kein Sperma mehr nachweisen, nachdem ein Patient oder eine Patientin gründlich gewaschen wurde und die Kleidung gereinigt oder entsorgt ist.

Auch hinsichtlich Verletzungen gibt es nicht wenige Befunde, die innerhalb einiger Stunden bis weniger Tage nicht mehr feststellbar sind. Als Beweise sind diese dann ebenfalls für immer verloren.

 

Abschluss der Untersuchung, Erstellung von Berichten und Gutachten

Nach der Untersuchung und Spurensicherung wird das Ergebnis mit der untersuchten Person bzw. gesetzlichen Vertretung oder – in angezeigten Fällen – mit dem Auftraggeber (Polizei oder Staatsanwaltschaft) besprochen und es wird informiert, welche Maßnahmen nun erforderlich oder sinnvoll wären. Fand die Untersuchung verfahrensunabhängig statt, so liegt es, wie oben beschrieben, in der Hand des Patienten oder der Patientin, ob beispielsweise angezeigt werden oder ob eine Auswertung von Asservaten erfolgen soll (Anm.: forensische DNA-Untersuchungen sind im privaten Auftrag in Deutschland nicht erlaubt). Wurde der Fall im Auftrag von Polizei oder Staatsanwaltschaft untersucht, so erhalten diese einen Befundbericht oder ein Gutachten zum Ergebnis der Untersuchung und den rechtsmedizinischen Diagnosen. Die Entscheidung über das weitere Vorgehen liegt in diesem Fall bei den Strafverfolgungsbehörden.

In den verfahrensunabhängigen Fällen wird in der Regel ein Befundbericht erstellt, der auf Wunsch an die untersuchte Person oder gesetzliche Vertretung und bei vorliegender Schweigepflichtsentbindung ggf. an weitere Adressaten übermittelt wird. Für beauftragende Kliniken werden Konsiliarberichte erstellt, die eine zusammenfassende Beschreibung der Befunde sowie eine kurze Einschätzung zum Ergebnis der Untersuchung enthalten. Solche Befund- oder Konsiliarberichte ersetzen aber kein rechtsmedizinisches Gutachten. Letzteres dient dazu, konkrete Fragen zu beantworten, die in der Regel in angezeigten Fällen durch die Staatsanwaltschaft oder Polizei gestellt werden. Solche können sein, ob die am Patienten bzw. der Patientin festgestellten Verletzungen tatsächlich Folge eines gewaltsamen Übergriffs waren, um welche Art von Gewalt es sich gehandelt hat, wie heftig ein Angriff gegen die Person war, wie der konkrete Geschehensablauf war und ob aus den erlittenen Verletzungen eine Lebensgefahr resultiert hat.

Ein privates Gutachten kann auch in verfahrensunabhängigen Fällen erstellt werden, dabei entstehen aber Kosten, die privat getragen werden müssen. In der Praxis werden solche Privatgutachten gelegentlich über Anwälte angefordert, aber insgesamt derzeit eher selten benötigt.

 

„Guide4You“

In Heidelberg verfügt das Rechtsmedizinische Institut noch über ein über die Untersuchung, Dokumentation und Spurensicherung hinausgehendes Angebot, das sich in den letzten Jahren sehr etabliert hat, nämlich einen psychosozialen Lotsenservice. Im Rahmen des Projektes „Guide4You“ steht eine psychosoziale Lotsin zur Verfügung, die auf Wunsch der untersuchten Person nach der Untersuchung Kontakt mit dieser aufnimmt. Dieser Kontakt findet aufsuchend und möglichst zeitnah nach der rechtsmedizinischen Untersuchung statt. Die Lotsin klärt im individuellen Einzelfall den Bedarf an Unterstützung und vermittelt Betroffene an geeignete kommunale Beratungs- und Hilfseinrichtungen. „Guide4You“ wird seit seiner Einführung intensiv genutzt und es gelingt damit, Gewaltopfer in die städtischen Hilfesysteme zu führen, wo sie gezielte und längerfristige Unterstützung erhalten können.

Pflegende als Opfer von Gewalt

Im Kontext mit Gewalt und Pflege darf auch nicht übersehen werden, dass Pflegepersonal selbst zum Opfer gewalttätiger Übergriffe durch Patientinnen und Patienten, aber auch Personal oder Angehörige werden kann. Auch hier kann eine forensische Beweissicherung sehr nützlich sein, um den Vorfall belegen und gegebenenfalls später Ansprüche geltend zu machen. Auch für Pflegende steht die Möglichkeit einer verfahrensunabhängigen Untersuchung zur Verfügung. Man kann sich auch in diesem Fall im weiteren Verlauf in Ruhe überlegen, ob der Vorfall angezeigt werden soll oder nicht. Wichtig ist aber auch hier, dass die Beauftragung möglichst zeitnah nach einem Ereignis stattfindet, da mit jeder Stunde Beweise verloren werden können und Verletzungen oft innerhalb weniger Tage vollständig verheilt und dann nicht mehr beweisbar sind. Die Gewaltambulanzen des Heidelberger Rechtsmedizinischen Instituts richten sich mit ihrem Angebot an alle Menschen, die von Gewalt betroffen sind, vom wenige Tage alten Säugling bis zum Hochbetagten.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass zunehmend Angebote wie das der im Detail vorgestellten Gewaltambulanz der Heidelberger Rechtsmedizin entstehen und die von diesen angebotene forensische Beweissicherung zur Klärung, ob eine Gewalttat und welche Art und Schwere einer solchen vorliegt, entscheidend beitragen kann. Dies ist wiederum eine wichtige Grundlage für mögliche präventive und rechtliche Maßnahmen. Es liegt in der Hand des Pflegepersonals bzw. engeren Umfelds einer betagten oder pflegebedürftigen Person, auf Auffälligkeiten zu reagieren und – wo verfügbar – eine möglichst zeitnahe rechtsmedizinische Untersuchung zu veranlassen.

 

 

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Literatur

[1] https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/PolizeilicheKriminalstatistik/PKS2023/pks2023_node.html

[2] Conti A et al.. Prevalence of Violence Perpetrated by Healthcare Workers in Long-Term Care: A Systematic Review and Meta-Analysis. Int J Environ Res Public Health (2022) 18;19(4):2357.

[3] Lachs, MS, Pillemer, KA. Elder abuse. New England Journal of Medicine.  (2022)373:1947–1956.

[4] Yen K. Aufgaben und Nutzen klinisch-forensischer Ambulanzen. In: Grassberger M., Türk E.E., Yen K. (eds.) Klinisch-forensische Medizin: Interdisziplinärer Praxisleitfaden für Ärzte, Pflegekräfte, Juristen und Betreuer von Gewaltopfern. Springer Wien New York (2013):99-104

[5] Grassberger M., Püschel K. Forensische Gerontologie – Gewalt und alte Menschen. In: Grassberger M., Türk E.E., Yen K. (eds.) Klinisch-forensische Medizin: Interdisziplinärer Praxisleitfaden für Ärzte, Pflegekräfte, Juristen und Betreuer von Gewaltopfern. Springer Wien New York (2013): 244-63

[6] Grassberger M., Yen K. Allgemeine klinisch-forensische Traumatologie. In: Grassberger M., Türk E.E., Yen K. (eds.) Klinisch-forensische Medizin: Interdisziplinärer Praxisleitfaden für Ärzte, Pflegekräfte, Juristen und Betreuer von Gewaltopfern. Springer Wien New York (2013):179-225

[7] https://www.dgrm.de/arbeitsgemeinschaften/klinische-rechtsmedizin/untersuchungsstellen

[8] iGOBSIS — Startseite

[9] https://www.dgrm.de/institute/deutschland/berlin-landesinstitut

[10] https://www.dgrm.de/institute/oesterreich/graz

[11] https://www.dgrm.de/institute/schweiz/aarau

Zur Person

Prof. Dr. med. univ. Kathrin Yen

Institut für Rechtsmedizin und Verkehrsmedizin

kathrin.yen@med.uni-heidelberg.de

 

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