Lange Zeit wurde – besonders am Anfang des vergangenen Jahrzehnts – der Untergang der „echten“ sozialen Kontakte herbeigeschrieben. „Ich geh‘ jetzt raus, ins wirkliche Leben“, hieß es gern, wenn Diskussionen in Online-Foren aus dem Ruder liefen; es wurde damit das Leben im Internet gegen das da draußen aufgestellt.
Das Leben da draußen hat nicht aufgehört, vielmehr wird das Digitale dorthin mitgenommen, da es mobiler geworden ist. Tablet und Handy sind in der U-Bahn wie im Beisl dabei.
Der ewige Nerd, der stundenlang im Kammerl vor dem Stand-PC hockt, ist eher die Ausnahme geworden, jedenfalls in der jungen Generation. Allerdings hat die Kommunikation sich verändert.
Zuerst: das digitale Leben ist ein reales. Hinter jedem (mobilen) Endgerät sitzt ein Mensch; die social bots (also Programme, die eine*n menschliche*n Benutzer*in imitieren) hier einmal außen vorgelassen. Internet und mobile Kommunikation können der Vereinsamung entgegenwirken, können helfen, Kontakte herzustellen, und gerade in Zeiten der Pandemie sind sie für viele auch ein probates Mittel, in Beziehung zu bleiben.
Was vielleicht nicht so stark im Bewusstsein ist: Jugendliche schreiben mehr, seit die Welt digital geworden ist, und zwar wesentlich mehr. Sie tun das nicht mehr mit der Hand – aber die Anzahl jener, die Brieffreundschaften gepflegt hat (die Adressen wurden damals, in den 1980er Jahren von den Lehrer*innen in die Schulen mitgebracht) war wohl überschaubar, die Anzahl der verfassten Briefe auch.
Erst SMS und E-Mails, jetzt whatsapp-Nachrichten oder Posts in den Sozialen Medien: im Grunde wird massenhaft geschrieben. Sicher, anders als früher – aber die Dinge ändern sich eben.
Den älteren Generationen Zugehörige mögen ein wenig gestrig, ein wenig vintage erscheinen, wenn sie das eine oder andere lieber ausdrucken. Der Wunsch muss nicht unbedingt dem haptischen Vergnügen der Berührung von Papier geschuldet sein, denn Manches sieht man lieber im Zusammenhang. Legt es vor sich auf, blättert vor und zurück – hat eben schlicht das Ganze vor sich.
Bis hierher sind das persönliche Vorlieben, unterschiedliche Arten, etwas anzusehen.
Soziale Medien haben dann aber noch die Zeichenbegrenzung: 280 etwa bei Twitter, so viele Worte dürfen maximal getippt werden. Statusmeldungen, Posts – alles soll in eine bestimmte Form gebracht werden, wobei in der Kürze nicht nur die Würze liegt, sondern Überschreitungen stellen ein Ausschlusskriterium dar.
Es werden also möglichst prägnante Messages in die digitale Welt geschossen, die – dem Effizienzgebot folgend – möglichst knackige Aussagen enthalten sollen.
Das macht Spaß, geht relativ schnell, bringt Resonanz und verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Das sind viele Vorteile, und nicht zuletzt bietet diese Art der Kommunikation auch die Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen. Ein flotter Slogan, der geteilt wird und Likes bekommt, erreicht in kurzer Zeit ein großes Publikum und kann sogar viral gehen.
Umgekehrt mag (vergleicht man mit den altmodischen Foren, in denen lang und breit diskutiert wurde, da folgte einem Posting ein Antwortposting, dem wieder eines, und es gab unterschiedliche Strukturen, die Dialoge abzubilden) der Zusammenhang verloren gehen – beziehungsweise wird er gar nicht erst angestrebt.
Es gibt keinen Informations-Teil, der für alle sichtbar wäre, keinen gemeinsamen Inhalt, auf den alle Bezug nehmen (wie bei einer Zeitung).
Sondern: die Tweets und Posts trudeln häppchenweise ein, der Feed wird gespeist durch das, was man sich ausgesucht hat, indem man Follower ist.
Das hat zur Folge, dass die Infos quasi atomisiert und in Einzelteilen durchs digitale All wandern, und was dort zählt, sind Daumen, Herzen und maximal noch (kurze) Kommentare.
Der fehlende Zusammenhang wird durch Aufmerksamkeit ersetzt – die ist das Kapital, mit dem hantiert wird. Da ist – so viel Spaß die Sache auch macht – kein Platz für Hintergründe, Widersprüchliches, Mehrdeutiges. Gerade soziale Phänomene sind aber nicht eindeutig, und da kann die Form schon zum Problem geraten.
Adressiert wird nicht an jenen Teil der Psyche, der vergleicht, abwägt, quasi zurückblättert und sich Argumentationslinien ansieht, sondern adressiert wird ans Gefühl – samt Aufbereitung und Kurz-Message, wobei die Form den Inhalt oft überblendet (vgl. zu Form und Inhalt auch Bünger 2009, S. 181).
Das birgt die Gefahr emotionalisierter Kommunikation, wobei senderseitig hauptsächlich auf Aufmerksamkeit abgezielt wird (was ja legitim ist), indem jener Teil eines Ganzen bemüht wird, der die Emotionen aktiviert (was höchst problematisch sein kann).
Auf Gefühlsebene wird nicht verglichen und abgewogen, sondern empfunden. Das hat seinen Ort und soll ihn auch haben – weitreichende Entscheidungen empfehlen sich dort allerdings nicht.
Werden nun aber weite Teile einer Auseinandersetzung so geführt (und soziale Medien haben enorme Reichweite und deren Häppchen-Logik erreicht längst auch Kommunikationsstile in anderen Zusammenhängen) dann droht etwas. Wer am besten emotionalisiert, wer die eingängigsten Messages formuliert, der punktet – und zwar im Wortsinn.
Zweitausend Likes zählen mitunter mehr als differenzierte Auseinandersetzungen – zumal, wenn sie unbeachtet bleiben. Auch das droht, insofern kommunikative Gewohnheiten nicht folgenlos sind.
Es fehlt die erlaubte Zeichenzahl, um beispielsweise zu erklären, dass jemand, der einer Sache im einen oder anderen Detail kritisch gegenübersteht, sie damit nicht gleich in Bausch und Bogen verurteilt.
Es fehlt die erlaubte Zeichenanzahl, um ein Meme auf seine Implikationen abzuklopfen.
Die Tücke steckt aber bekanntlich im Detail, das sich wiederum im Zusammenhang erschließt. Der, allerdings, fehlt vielfach auch – dafür sorgt schon die Größe (oder Nichtgröße) der Oberfläche der mobile devices, der mobilen Endgeräte.
Bünger C (2009). Emanzipation im Widerspruch. Notizen zur Dialektik von Verstrickung und Überschreitung. – In: Bünger C, Euler P, Gruschka A, Pongratz L A (2009) Heydorn lesen! Herausforderungen kritischer Bildungstheorie. – Paderborn: Ferdinand Schöningh, S. 171-190.
Mag. Dr. Esther Matolycz
DGKS, Publizistin; Studium der Pädagogik mit Schwerpunkt Berufspädagogik des Gesundheitswesens, besondere Nähe zur Geriatrie.
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