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Anita Sackl, Sabine Schmid, Monika Sorko
„Vor der Katastrophe ist nach der Katastrophe“
Community (Health) Nursing: Welche Rolle können sie im Notfall-, Krisen- und Katastrophenmanagement einnehmen? Erste Erfahrungen aus der Praxis in Österreich

In unserem Alltag nehmen klimatische Veränderungen einen immer größeren Raum ein. In den Sommern 2023 und 2024 belastete Hitze das Wohlergehen, Starkregenereignisse zerstörten und gefährdeten Lebensgrundlagen, wirkten sich auf die Gesundheit von Menschen aus und stellten die Versorgungssettings der Pflege und Betreuung vor Herausforderungen. In diversen betroffenen Regionen waren Community Nurses des Pilotprojekts Community Nursing im Einsatz und setzten Maßnahmen.

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Neue Herausforderungen für Österreich

Jedes Jahr sind weltweit Hunderte Millionen Menschen von durch Natur und Menschen verursachten Katastrophen betroffen. Diese Ereignisse haben dauerhafte und tiefgreifende Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen und die Gemeinschaften, in denen sie leben (Langan 2022). Die Folgen des Klimawandels und die dadurch zunehmende Gefährdung der Gesundheit sind auch in Österreich bereits spürbar. Indessen neue Infektionserkrankungen und Veränderungen der Pollenbelastung auf die Gesundheit von Menschen wirken, werden durch Hitze die gravierendsten Auswirkungen erwartet (APCC 2018). Des Weiteren bergen Extremwetterereignisse gesundheitliche Gefahren und stellen die Strukturen des Gesundheitswesens vor neue Herausforderungen. Rudolf-Miklau (2018) visualisiert schadensrelevante Naturgefahren für Österreich nach Gefahrenart und Raumbezug der Gefahrenwirkung (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Schadensrelevante Naturgefahren in Österreich: Klassifikation nach Gefahrenart und Raumbezug der Gefahrenwirkung (Rudolf-Miklau 2018, S. 70

Demografische Veränderungen hin zu einer alternden Bevölkerung erhöhen die Anfälligkeit der Bevölkerung (APCC 2018). Zu den vulnerablen Bevölkerungsgruppen in Bezug auf Extremwetterereignisse zählen u. a. Menschen mit Behinderungen bzw. körperlichen Einschränkungen, chronisch kranke Personen, Kinder/Neugeborene, ältere Menschen, alleinlebende Personen, armutsbetroffene Menschen und Personen mit Sprachbarrieren – und hier insbesondere Menschen, welche medizinischer, therapeutischer und pflegerischer Versorgung bedürfen und auf Versorgungsstrukturen angewiesen sind. Zur Sicherstellung der Versorgung benötigt es deren Berücksichtigung in der Notfall-, Krisen- und Katastrophenplanung und diesbezügliche Kompetenzen der Angehörigen der Pflege- bzw. Gesundheitsberufe, um bedarfsgerechte Versorgung während und nach Notfällen, Krisen und Katastrophen gewährleisten zu können.

Neue Herausforderungen für die Pflege

Die Pflege ist eine zentrale Ressource, um die Resilienz und Vorsorge sicherzustellen. Insbesondere, da sie eine zentrale Anlaufstelle für vulnerable Bevölkerungsgruppen ist bzw. einen wichtigen Multiplikator darstellen kann. Der Ethikkodex des ICN – International Council of Nurses (ICN 2021) hält die Mitwirkung der Pflege zum Erhalt und Schutz der Umwelt und zum Umgang mit den gesundheitlichen Folgen des Klimawandels fest. Des Weiteren stellt der Kodex die Rolle der Pflegefachpersonen in Notfall-, Krisen- und Katastrophensituationen wie folgt dar:

„3.7 Pflegefachpersonen bereiten sich auf Notfälle, Katastrophen, Konflikte, Epidemien, Pandemien, soziale Krisen und Situationen mit knappen Ressourcen vor und reagieren darauf. Die Sicherheit der Menschen, die Pflege erhalten, liegt in der Verantwortung der einzelnen Pflegefachpersonen und der Führungspersonen von Gesundheitssystemen und -organisationen. Das beinhaltet die Bewertung von Risiken und die Entwicklung, Umsetzung und Planung von Ressourcen, um diese zu minimieren.“ (ICN 2021, S. 16)

Die Pflegepraxis im Krisen- und Katastrophenmanagement erfordert etwa im gleichen Ausmaß pflegerische und klinische Kompetenzen im Einzelfall sowie eine Public-Health-Perspektive. Mit Blick darauf hat der ICN drei Gruppen von Pflegefachpersonen identifiziert und die Kompetenzen in acht Domänen gegliedert (siehe Abbildung 2). Die Stufe 1 umfasst generalistisch ausgebildete Pflegefachpersonen, welche in ihren Einrichtungen oder Organisationen in das Notfall-, Krisen- und Katastrophenmanagement eingebunden sind und ihre professionellen Fertigkeiten und Kompetenzen einsetzen. Pflegefachpersonen der Stufe 2 übernehmen die Rolle als Beauftragte:r für Notfälle, Krisen und Katastrophen innerhalb ihrer Einrichtung, Organisation oder eines etablierten Systems. Auf der Stufe 3 sind Pflegefachpersonen bereits darauf vorbereitet, auf ein breites Spektrum von Notfällen, Krisen und Katastrophen zu reagieren und in Einsatzteams zu arbeiten. (ICN 2024)

 

 

Abbildung 2: ICN-Kernkompetenzen in der Katastrophenpflege, eingeteilt in acht Domänen (ICN 2024; Darstellung: Anita Sackl, Gesundheit Österreich GmbH)

 

Erfahrungen von Community Nurses im Notfall-, Krisen- und Katastrophenmanagement

Extremwetterereignisse zeigten sich in den Sommermonaten 2023 und 2024. So waren etwa Community Nurses in mehreren österreichischen Regionen mit Hitzewellen konfrontiert. Sie ergriffen etwa präventive Maßnahmen vor angekündigten Hitzewellen (z. B. Informationsveranstaltungen und Beratung während der Plaudercafés, im Rahmen der Sprechstunden oder Hausbesuche) und setzten Maßnahmen an den Hitzetagen (z. B. täglicher Kontakt mit identifizierten vulnerablen Personen; ein Projekt etablierte ein Cooling-Center in der kellerebenen öffentlichen Bücherei der Gemeinde), um gesundheitliche Folgen für gefährdete Personen in ihren Haushalten zu vermeiden. Diese gesetzten Maßnahmen entsprechen den Kernelementen der WHO-Leitlinien (Matthies et al. 2008; WHO 2019).

Des Weiteren waren Community-Nursing-Pilotprojekte mit Starkregen und den folgenden Hochwasserereignissen konfrontiert. In den betroffenen Gebieten waren Community Nurses in verschiedenen Phasen des Katastrophenmanagements auf Gemeindeebene eingebunden (siehe Abbildung 3). Die zwei Exkurse stellen die Tätigkeiten von Community Nurses in den Stadtgemeinden Laa an der Thaya und Neulengbach dar.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abbildung 3: Phasen einer Katastrophe (Veenema 2019 in Galatsch 2023; Übersetzung und Darstellung: Anita Sackl, Gesundheit Österreich GmbH)

 

Team Laa – Gemeinsam meistern wir jede Krise, Stadtgemeinde Laa an der Thaya

Sabine Schmid, Community Nurse, Stadtgemeinde Laa an der Thaya

Das Team Laa wurde aufgrund der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020 gegründet. Die aktuell wahrgenommene Klimaveränderung in der Gemeinde führte zur Wiederbelebung des Teams im Jahr 2023. Das Kernstück beruht auf der Motivation zur Nachbarschaftshilfe und darauf, als Gemeinschaft mehr zu erreichen.

Erste Ansatzpunkte sind die Etablierung von Infotafeln und die Veranstaltung eines Grätzelwandertages zur Bekanntmachung der Infotafeln.

Informationstafeln an zentralen, in zehn Minuten Fußweg erreichbaren Punkten in der Gemeinde sollen Informationen über Hilfe zur Selbsthilfe bieten bzw. wenn digitale Wege eventuell im Katastrophenfall unterbunden sein sollten, als niederschwelliger weiterer Kommunikationsweg dienen. Wichtig ist, dass die Menschen die Punkte kennen. Des Weiteren können diese auch als Begegnungsorte dienen. Grätzelansprechpersonen sollen etabliert werden, für allgemeine Anliegen aus dem Grätzel verfügbar sein und im Katastrophenfall als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren bzw. als Ansprechpersonen zur Verfügung stehen. Ein Grätzelwandertag mit den Blaulichtorganisationen und dem Zivilschutzverband mit einer Schulungsinitiative an jeder etablierten Informationstafel informierte die teilnehmende Bevölkerung etwa über Alarmsignale oder Brandschutz und ermöglichte praktische Übungen wie beispielsweise Erste-Hilfe-Maßnahmen oder Brandlöschung.

Einsatz der Community Nurses in der Hochwassersituation – Stadtgemeinde Neulengbach

Monika Sorko, Community Nurse, Neulengbach

Die ersten Maßnahmen im „Ereignisfall“ umfassten die Durchsicht von und Kontaktaufnahme mit Klientinnen und Klienten, welche im Katastrophengebiet lebten, sowie die Kommunikation mit den Einsatzkräften, um eventuelle Evakuierungen zu veranlassen. Insbesondere die Vermittlung von besonderen Bedürfnissen an die Teams, wie etwa physische Einschränkungen von Personen, war bedeutend. Die Community Nurses unterstützten den Telefondienst des Bürgerservice in Bezug auf Fragen aus der Bevölkerung sowie bei der Versorgung von in der Notunterkunft ankommenden Menschen. Diese waren durchnässt, unterkühlt und schockiert. Die Tätigkeiten umfassten die Erfassung wichtiger Daten und die Kommunikation mit dem Krisenstab bzw. dem Roten Kreuz (Absprache der Kapazitäten in der Notunterkunft, Versorgungsnotwendigkeiten) sowie die Organisation von freiwilligen Helferinnen und Helfern, die Organisation von alternativen Schlafplätzen entsprechend dem medizinischen und pflegerischen Versorgungsbedarf sowie die Organisation von Heil- und Hilfsmitteln bzw. die Unterstützung beeinträchtigter Personen. Nach der „Akutphase“ war die Unterstützung noch nicht abgeschlossen. Die Community Nurses waren Teil des Teams bei den Rundgängen durch das Katastrophengebiet und unterstützen bei der Kontaktaufnahme mit vulnerablen Gruppen und der Priorisierung bei gezielten Problemlagen. Sie organisierten Gesprächsrunden mit betroffenen Personen und Hausbesuche zur Besprechung der weiteren Versorgung und waren Teil der Nachbesprechung mit der Gemeinde und dem Roten Kreuz.

Als positiv in der Maßnahmensetzung im „Ereignisfall“ der Katastrophe (siehe Abbildung 3) halten Community Nurses fest, dass ihr Wissen über vulnerable Personen und deren soziales Umfeld in ihren Einzugsgebieten sowie das gute Vertrauensverhältnis von Vorteil waren und ihre etablierten regionalen Netzwerke unterstützend wirkten. Die berufliche Qualifikation ermöglichte, auf pflegerische und medizinische Fragestellungen rasch reagieren zu können. Jedoch zeigte sich, dass neben den beruflichen und fachlichen Kompetenzen Kenntnisse im Katastrophenmanagement und Zivilschutz essenziell sind, um in herausfordernden Situationen rasch reagieren und die Fürsprache für hilfsbedürftige Menschen mit ihren Anliegen übernehmen zu können. Als bedeutend zeigte sich auch die Erkenntnis, dass die Hilfestellung mit Ende der „Akutphase“ nicht abgeschlossen war und die Vorbereitung auf bzw. die Vorsorge für potenzielle Gefahren einen essenziellen Handlungsrahmen darstellt.

Im Rahmen des österreichischen Pilotprojekts Community Nursing (2021–2024) war der präventive Hausbesuch Bestandteil der Interventionen und hatte zum Ziel, ältere Menschen in ihrer häuslichen Umgebung gesundheitsfördernd und präventiv zu unterstützen (Barthelmes et al. 2020), um intrinsische Kapazitäten aufzubauen bzw. zu erhalten und Intervention zu setzen, wenn die funktionale Fähigkeit eingeschränkt ist. Dieser Rahmen bietet Potenzial für weitere Vorsorgemaßnahmen, wenn potenzielle Bedrohungen für Personen bzw. deren Haushalte in der Gemeinde bzw. Kommune identifiziert sind. Auf dieser Grundlage können Maßnahmen gesetzt, Zielgruppen spezifisch beraten und die entsprechenden Vorsorge- bzw. Bewältigungsmaßnahmen geplant bzw. geübt werden. In diesem Zusammenhang definiert das Sendai-Rahmenwerk für Katastrophenvorsorge bzw. -management vier Prioritäten: „1. Katastrophenrisiken verstehen; 2. Stärkung der Katastrophenrisiko-Governance zur Bewältigung von Katastrophenrisiken; 3. Investition in Katastrophenvorsorge zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit und 4. Verbesserung der Katastrophenvorsorge für eine wirksame Reaktion und einen besseren Wiederaufbau bei Erholung, Rehabilitation und Wiederaufbau“ (United Nation 2015, S. 14).

„Vor der Katastrophe ist nach der Katastrophe“ – die Chancen

Der Klimawandel und die damit einhergehenden extremen Wetterereignisse wirken auf die Gesundheit von Menschen. Es bedarf kurz- und langfristiger Maßnahmen, um die Folgen abzumildern. Community (Health) Nurses bzw. Pflege- und Betreuungspersonen spielen in der Versorgung von vulnerablen Menschen eine bedeutende Rolle und sollen im Notfall-, Krisen- und Katastrophenmanagement Teil eines multidisziplinären Teams sein, um operative Maßnahmen unterstützen und effiziente Beratung für Menschen leisten zu können. In diesem Zusammenhang ist die gesundheitsbezogene Krisen- und Katastrophenkompetenz („Disaster Literacy“) von Angehörigen der Gesundheitsberufe zielführend, um die Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen abzufedern bzw. die Resilienz der Menschen und des österreichischen Gesundheitssystems zu stärken.

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Zur Person

Anita Sackl,

Anita Sackl, MPH MAS ist seit 2022 als Health Expert an der Abteilung Gesundheitsberufe und Langzeitpflege der Gesundheit Österreich GmbH tätig. Die Schwerpunkte liegen auf den Bereichen Public/Community (Health) Nursing, Pflegereporting, Klima und Pflege, Disaster Literacy und Disaster Management.

Kontakt: anita.sackl@goeg.at

Sabine Schmid,

Sabine Schmid, Community Nurse, Stadtgemeinde Laa an der Thaya, ist seit Oktober 2022 im Community-Nursing-Projekt tätig. Ihr Engagement für den Zivilschutz hat sich aus dieser Tätigkeit ergeben.

Monika Sorko,

Monika Sorko, MBA, Community Nurse, Neulengbach, ist seit 2022 in der Stadtgemeinde Neulengbach als Community Nurse tätig. Zuvor war sie von 2000–2022 im AKH Wien in den Bereichen Intensivmedizin, Anästhesie und als Fachbereichskoordinatorin Pflege tätig.

Kontakt: monika.sorko@neulengbach.gv.at

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