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Noah Henke
 Advanced Practice Nursing in der zentralen Notaufnahme in Deutschland

Die zentrale Notaufnahme ist neben den Intensivstationen und anderen Funktionsbereichen einer der sensibelsten Bereiche eines Krankenhauses. Innerhalb weniger Minuten muss durch das Pflegepersonal schnellstmöglich die Akuität der Patienten/innen eingeschätzt werden und eine Versorgung stattfinden. Viele Patienten/innen sind dabei multimorbid erkrankt und haben daher einen sehr komplexen medizinischen und pflegerischen Bedarf. Zudem liegt das Augenmerk besonders auf den Patienten/innen, die akut lebensbedrohlich erkrankt bzw. verletzt sind. Daher wird in diesem Bericht der Beruf der Advanced Practice Nurse in der zentralen Notaufnahme skizziert und hinsichtlich der damit verbundenen Aufgaben, Schwerpunkte und politische Aspekte dargestellt.

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Um sich dem Berufsbild der APN grundsätzlich zu nähern, hat Hamric ein Modell entworfen, welches primäre Kriterien, die Zentralkompetenz und weitere Kernkompetenzen beinhaltet. Hinzu kommen Umfeldfaktoren, die die Arbeit einer APN beeinflussen.

Neben den Primärkriterien wie einer universitären Ausbildung und der Ansicht, dass der Patient der Mittelpunkt des Handelns ist, muss eine APN ebenfalls über direkte klinische Praxis und direkte Patientenversorgung als zentrale Kompetenz verfügen. Des Weiteren zählen Coaching, Führung, Beratung und evidenzbasiertes Handeln zu den Kernkompetenzen einer APN. Hinzu kommen Umfeldfaktoren, wie unternehmerische Aspekte, Finanzen und Politik.(Hamric, Hanson, Tracy, & O`Grady, 2014) (Neumann-Ponesch & Leoni-Scheiber, 2020).

Auf diesen vier Säulen basiert somit der Kompetenzrahmen und das Berufsbild der Advanced Practice Nurse in jedem Setting.

Somit verfügen APNs grundsätzlich über besondere klinische Kenntnisse, die in spezifischen pflegerischen Bereichen jeweils individuell eingesetzt werden. Zudem ist es die Aufgabe einer APN, Führungspositionen im Rahmen des Clinical Leaderships zu übernehmen und Situationen richtig einzuschätzen, um klinische Entscheidungen treffen zu können (DBfK, 2019)

Hinsichtlich der Notfallversorgung in der zentralen Notaufnahme übernimmt eine APN eine Vielzahl an Aufgaben. Vor allem die Zentralkompetenz ist gerade in der Notfallversorgung von großer Bedeutung. Nicht nur die richtige Einschätzung der Patienten/innen, sondern auch die richtige Diagnostik und Untersuchung der Patienten/innen ist von enormer Wichtigkeit. In diesem Zusammenhang zeigt die Studienlage, dass eine APN dazu in der Lage ist, neben pflegerischen Tätigkeiten auch weiterführende Aufgaben zu übernehmen.

Bei der Vorstellung eines/einer Notfallpatienten/in erfolgt eine Einschätzung des Gesundheitszustandes der Patienten/innen, die sog. Triage.

Die Triage ist in der Notaufnahme ein zentraler Aspekt, der nicht nur die Dringlichkeit der Versorgung definiert, sondern auch zeigt, wie schwer der/die jeweilige Patient/in erkrankt bzw. verletzt ist (Mackway-Jones, Marsden, & Windle, 2020). Daher ist ebenfalls die Triage der Notfallpatienten/innen eine Tätigkeit die von der APN, aufgrund ihrer klinischer Entscheidungsfindungskompetenz übernommen werden kann (Wolf, Delao, Perhats, Moon, & Carman, 2017). Sie können Gesundheitszustände richtig erkennen und weitere Aufgaben dementsprechend einleiten, delegieren oder durchführen (O`Connell, Gardener, & Coyer, 2014).

Wie Cakmak, Daugardt und Knecht darstellen, steuert eine APN in der Notaufnahme den Pflegeprozess. Das heißt sie koordiniert und kümmert sich um die Aufnahme, Triage, Primärversorgung, Verlegung/Entlassung der Patienten/innen. Die APN koordiniert die Versorgung der Patienten/innen und interveniert vor allem bei vitalbedrohten oder kritisch erkrankten Patienten/innen. Gerade bei traumatischen (Bsp. Polytrauma nach Verkehrsunfall/Hochrasantstrauma, Sturz aus großer Höhe, Hirnblutung, schweres SHT) (S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzen-Behandlung (AWMF Registrierungsnummer 187-023), 2022) oder Non-Trauma-Schockräumen (wie z.B. Reanimation, Mischintoxikationen, exazebierte COPD, Vigilanzminderung mit GCS <8, STEMI, instabiles ACS, Aortendissektion, Liegetraumata, etc.) (Berhard, et al., 2022) haben die Patienten/innen einen notfall- und intensivmedizinischen und -pflegerischen Bedarf. In diesen Situationen ist die APN aufgrund ihrer Kernkompetenzen dazu in der Lage die pflegerische Führung zu übernehmen.

In diesem Zusammenhang ist das Tätigkeitsfeld sehr groß. Von Basic Life Support bzw Advanced Life Support über Intubationen/Beatmung, Anlage von peripheren (intravenös, intraossär) Zugängen, Wundversorgungen im Sinne von einfachen Nahtanlagen, Gipsanlagen hin zu gynäkologischen Notfällen wie Assistenz bei Notgeburten o.ä. erstreckt sich das Tätigkeitsfeld in der Notaufnahme sehr weit (Villiger & Grandits, 2018). Daher ist eine Priorisierung der Aufgaben sehr wichtig. Je nach Größe der Notaufnahme bzw. des Krankenhauses und Art der Fachbereiche sind die Aufgabenfelder der APN individuell. Daher wird in diesem Artikel das Augenmerk auf die allgemeinen Aufgaben gelegt die grundsätzlich in jeder Notaufnahme übernommen werden sollten.

Dazu gehören neben der initialen Diagnostik, nicht nur die körperliche Untersuchung der Patienten/innen, sondern auch die Auswertung von EKGs, die Assistenz bei Intubationen, die Anmeldung weitergehender Diagnostik (Cakmak, Daugardt, & Knecht, 2023) (DBfK, 2019) und die Verordnung und Applikation von Medikamenten (O`Connell, Gardener, & Coyer, 2014).

Hinzu kommen auch Managementtätigkeiten, wie z.B. die Koordination der Mitarbeiter/innen in der ZNA oder auch das Entlassungs- bzw. „Verlegungsmanagement“ (O`Connell, Gardener, & Coyer, 2014). Desweiteren sind das Legen von peripheren und zentralen Kathedern und Zugängen, intensivpflegerische Aufgaben sowie Wundversorgungen (Donelan, DesRoches, Guzikowski, Dittus, & Buerhaus, 2020) weitere Tätigkeitsbereiche einer APN in der Notaufnahme. Zudem können APNs die Notfallversorgung der leicht- bis mittelverletzten Patienten/innen selbstständig übernehmen. Somit können die Ärzte/innen das Augenmerk auf die Schwerstverletzten und akut lebensbedrohlichen Patienten/innen richten (Woo, Lee, & Tam, 2017).

Durch die Zunahme des demographischen Wandels und der gleichzeitig steigenden Personalknappheit in der Pflege wurde in den letzten Jahren in Deutschland nicht nur die Ausbildung grundlegend geändert (Gesetz über die Pflegeberufe (Pflegeberufegesetz – PflBG), 2023), sondern es wurde durch das Pflegekompetenzgesetz ein politischer Grundsatz festgelegt, in dem pflegerische Kompetenzen festgeschrieben sind. Im internationalen Vergleich „übernehmen Pflegefachpersonen, insbesondere im Bachelor- oder Masterabschluss, zudem häufig weitergehende, eigenverantwortliche Aufgaben in der Versorgung“ und tragen dabei nicht nur zu einer „besseren Versorgung“, sondern auch zu einer besseren interdisziplinären Zusammenarbeit bei (Kurzpapier: Vorläufige Eckpunkte Pflegekompetenzgesetz, 2023). In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass das Berufsbild der APN isoliert Erwähnung findet. „Pflegefachpersonen mit Berufsabschluss auf Master-Niveau, der zur eigenverantwortlichen und selbstständigen Ausübung von Heilkunde befähigt“, soll zukünftig „eine eigenständige Ausübung von Heilkunde in ärztlichen oder pflegegeleiteten Einrichtungen“ ermöglicht werden (Kurzpapier: Vorläufige Eckpunkte Pflegekompetenzgesetz, 2023). In Anbetracht dieses Kurzpapieres erkennt man, dass sich die Politik zunehmend Gedanken über die Pflege in Deutschland macht. Es braucht hochqualifizierte Pflegefachpersonen, um die komplexen Patienten/innen fachgerecht versorgen zu können.

Allerdings ist es fraglich, welche Aufgaben tatsächlich von APNs übernommen werden können, da in Deutschland durch die Bundesärzteverordnung die ärztlichen Aufgaben klar definiert sind. Im Bereich der Diagnostik und bei der Durchführung von Nahtanlagen oder kleineren Operationen bestehen klare Richtlinien, wobei durch das Pflegestudiumstärkungsgesetz (PflStudStG) pflegerische Kompetenzen festgeschrieben wurden, die die „Durchführung von Interventionen in lebensbedrohlichen Krisen – und in Katastrophensituationen bis zum Eintreffen der Ärztin oder des Arztes“ (Bundesministerium der Justiz, 2023) beinhalten. Zudem führen die Pflegekräfte „entsprechend den rechtlichen Bestimmungen ärztliche Anordnungen und Maßnahmen der Diagnostik, Therapie oder Rehabilitation eigenständig und unter Berücksichtigung vertieften forschungsbasiertem Wissens (…) durch“ (Bundesministerium der Justiz, 2023). Es bedarf einer reformierten Richtlinie, die die pflegerischen Aufgaben hinsichtlich des Pflegekompetenz- und Pflegestudiumsstärkungsgesetzes in jedem Setting (ambulante Pflege, stationäre Langzeitpflege, Intensiv- und Notfallpflege, Akutpflege, Palliativpflege und psychiatrische Pflege) definiert. Die starken hierarchischen Strukturen zwischen der Pflege und der Ärzteschaft sollten aufgebrochen werden. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit optimiert die Versorgung der Patienten und führt zu einem besseren Patientenoutcome.

Der internationale Vergleich zeigt anhand der Studienlage, dass mit der APN ein Berufsbild entstanden ist, mit dem die komplexen medizinischen und pflegerischen Bedarfe in Deutschland und weltweit besser versorgt werden können. Gerade in den deutschen Notaufnahmen muss die APN über ein großes Spektrum an Aufgaben übernehmen können. Von grundlegenden Aufgaben im Bereich der Triage, Erstversorgung und Diagnostik, kommen schwerpunktmäßige Aufgaben hinzu, die wie oben beschrieben, individuell und krankenhausbezogen sind und daher je nach Krankenhaus definiert werden müssen. In diesem Zusammenhang bekleidet die APN eine Schnittstelle zwischen der Pflege und der Ärzteschaft, um die Versorgung der Patienten/innen zu optimieren.

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Literatur

Berhard, M., Kumle, B., Dodt, C., Gräff, I., Michael, M., Michels, G., . . . DGINA. (2022). Versorgung kritisch kranker, nicht-traumatologischer Patienten im Schockraum. Notfall- und Rettungsmedizin(25).

Bundesministerium der Justiz. (2023). Bundesgesetzblatt Teil 1 – Gesetz zur Stärkung der hochschulishcen Pflegeausbildung, zu Erleichterung bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse in der Pflege und zur Änderung weiterer Vorschriften. Deutscher Bundestag, Berlin.

Cakmak, S., Daugardt, K., & Knecht, C. (2023). Advanced Practice Nurses in der Notaufnahme – Eine Literaturübersicht zu Rollen und Aufgaben. Pflege & Gesellschaft(28.).

DBfK (Hrsg.). (2019). Advanced Practice Nursing – Pflegerische Expertise für eine leistungsfähige Gesundheitsversorgung. Berlin.

Donelan, K., DesRoches, C., Guzikowski, S., Dittus, R., & Buerhaus, P. (2020). Physician and nurse practitioners roles in emergency, trauma, critical and intensive care. Nursing Outlook(68), S. 591-600.

Gesetz über die Pflegeberufe (Pflegeberufegesetz – PflBG). (2023). Abgerufen am 18. 03 2024 von https://www.gesetze-im-internet.de/pflbg/PflBG.pdf

Hamric, A., Hanson, C., Tracy, M., & O`Grady, E. (2014). Advanced Practice Nursing: An Integrative Approach(5. Ausg.). Amsterdam: Elsevier.

(2023). Kurzpapier: Vorläufige Eckpunkte Pflegekompetenzgesetz. Bundesministerium für Gesundheit, Berlin.

Mackway-Jones, K., Marsden, J., & Windle, J. (2020). Ersteinschätzung in der Notaufnahme (5. Ausg.). Bern: hogrefe.

Neumann-Ponesch, S., & Leoni-Scheiber, C. (2020). Advanced Nursing Practice – verstehen, anwenden, umsetzen (1. Ausg.). Wien: facultas.

O`Connell, J., Gardener, G., & Coyer, F. (2014). Profiling Emergency Nurse Practitioner Service – An Interpretive Study. Advanced Emergenvy Nursing Journal, 36(3), S. 279-290.

(2022). S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzen-Behandlung (AWMF Registrierungsnummer 187-023).Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie, Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie. Berlin: AWMF.

Villiger, B., & Grandits, A. (2018). Kompetenzen und Aufgabenbereiche von Advanced Practice Nurses auf der Notfallstation – Ein internationaler Literaturreview. Zürich.

Wolf, L., Delao, A., Perhats, C., Moon, M., & Carman, M. (2017). The Experience of Advanced Practice Nurses un US Emergency Care Settings. Journal of Ermergency Nursing, 43(5), S. 426-434.

Woo, B., Lee, J., & Tam, W. (2017). The impact of the advanced practice nursing role on quality of care, clinical outcomes, patient satisfaction and cost on the emergency and critical care settings: a systematic review. Human Resources for Health, 15(63).

 

Zur Person

Noah Henke

Gesundheits-/Krankenpfleger B.Sc.

Zentrale Notaufnahme (Zentrum für Akut- und Notfallmedizin)

Universitätsklinikum Knappschaftskrankenhaus Bochum – In der Schornau 23-25, 44892 Bochum

Angehender Pflegeexperte APN (Masterstudium Hochschule Bielefeld)

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