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Marianne Buchegger
Dementia Literacy - Ergebnis der österreichischen Demenzstrategie

Die Anzahl der Menschen, die an Demenz erkranken nimmt zu. Betroffene Menschen, An- und Zugehörige, aber auch professionelle Pflege- und Betreuungspersonen haben häufig zu wenig Wissen um unterstützende Strukturen. Die österreichische Demenzstrategie kann dazu beitragen, Dementia Literacy innerhalb der Gesellschaft zu fördern. Dazu notwendig ist die kontinuierliche, multiprofessionelle, multifaktorielle und bundeslandübergreifende Arbeit an den 7 Wirkungszielen der österreichischen Demenzstrategie.

 

Derzeit (Stand 2023) sind weltweilt etwa 55 Millionen Menschen an Demenz erkrankt. Bis zum Jahr 2050 wird diese Zahl, laut Prognosen der WHO, auf 139 Millionen ansteigen. Zum heutigen Zeitpunkt ist jede Form der Demenz unheilbar. (WHO, 2017)

„Demenz ist Verwüstung – in jedem nur möglichen Sinn“; „Für mich ist klar, wenn ich dement werde, dann bring´ich mich um.“, „Dieses Dahinvegetieren ist doch schrecklich.“

Diese Aussagen stammen aus dem Online-Forum des standard.at und spiegeln die Bilder der Demenz, die sich in der Wahrnehmung der Menschen festgesetzt haben. „Dement zu sein bedeutet tot zu sein. Nicht mehr lebensfähig und nur mehr auf Hilfe von anderen angewiesen zu sein. Aber das stimmt nicht. Es gibt eine Zeit dazwischen. Zwischen der Diagnose und diesem letzten Zustand“ sagt Angela Pototschnig im März 2024. Sie ist Mitglied der „AG der Selbstvertreter:innen“ der Österreichischen Demenzstrategie. Die Österreichische Demenzstrategie verfolgt seit 2015, basierend auf dem „Global action plan on the public health response to dementia“ der WHO, sieben Wirkungsziele. Um diese Wirkungsziele zu erreichen, ist das gemeinsame Verständnis davon, dass Demenz auf gesundheitspolitischer Ebene Priorität haben muss, unerlässlich. Dementia Literacy muss zur Priorität werden.

Um die Bedeutung von „Dementia Literacy“ zu erfassen, muss vorab der Begriff „Health Literacy“ beschrieben werden. „Literacy“ geht auf den Ursprungsbegriff „literate“ oder, zu Deutsch, „Literalität“, zurück. Literalität bezeichnet die Fähigkeit zu Lesen und zu Schreiben. „Literacy“ beschreibt heute nicht mehr nur die Fähigkeit zu Lesen und zu Schreiben. Mit „Literacy“ ist eine umfassende und sich weiterentwickelnde Bildung und Kompetenz in einem bestimmten Bereich des Lebens gemeint. „Health Literacy“ beschreibt also die Fähigkeit des Menschen Informationen zu erhalten, diese zu verstehen und so zu nutzen, dass sie für ihn selbst, seine Familie und sein Umfeld eine gute Gesundheit fördern und erhalten.(Nutbeam, 1998). Anknüpfend an diese Definition beschreiben Lo und Low „Dementia Literacy“ als Erweiterung von Health Literacy (Lo, 2020). Dementia Literacy meint Low zufolge „knowledge and beliefs regarding dementia that aid recognition, management, or prevention“ (Low, 2009, S.43f).

Die sieben Wirkungsziele der österreichischen Demenzstrategie unterstreichen die Definition von Low.

  • „knowledge and beliefs regarding dementia“ Wirkungsziel 1 „Teilhabe und Selbstbestimmung der Betroffenen sicherstellen“

Im Rahmen der österreichischen Demenzstrategie wurde 2022 die „Arbeitsgruppe der Selbstvertreter:innen“ ins Leben gerufen. In den regelmäßigen Treffen arbeiten die derzeit vier Selbstvertreter:innen gemeinsam mit ihren Unterstützer:innen und Vertreter:innen der Gesundheit Österreich GmbH daran, pauschale Rollenbilder zu verändern, Stigmata aufzubrechen und politisch tätig zu werden.

Bereits seit 2016 werden in allen österreichischen Bundesländern Aktivitäten zur Sensibilisierung der Bevölkerung und Teilhabe der Betroffenen umgesetzt. Diese Arbeitsgruppe ist demnach eine sinnvolle und unterstützende Ergänzung.

„recognition“ – Wirkungsziele 2 +3 „Information breit und zielgruppenspezifisch ausbauen“ und „Wissen und Kompetenz stärken“

Lo beschreibt, dass eine der wichtigsten Rollen im Umgang mit Demenz den unterstützenden bzw. pflegenden An- und Zugehörigen zukommt. Lo definiert ihre Rolle als die der „health advocats“ (Lo, 2020) Aber auch professionelle Pflege- und Betreuungspersonen können diese Rolle einnehmen (Wild, 2009). Um Menschen mit Demenz professionell und personzentriert zu begleiten ist es für Pflege und Betreuungspersonen, aber auch für Ehrenamtliche, notwendig, spezifisches Fachwissen und entsprechende Kompetenzen aufzubauen, zu erweitern und zu stärken. Pflegende und betreuende An- und Zugehörige sollen durch Schulungs- und Ausbildungsangebote in ihrer Kompetenz, eigene Belastungen und Herausforderungen zu erkennen, gestärkt werden.  Um dem Anspruch von „Health/ Dementia Literacy“ gerecht zu werden, muss Wissensvermittlung so früh als möglich beginnen. Projekte wie „Alt & Jung im CS Pflege- und Sozialzentrum Pramergasse Wien“ oder die Angebote von „Intergeneration Schweiz“ stellen dar, dass Kontakte zwischen Kindern und Jugendlichen und älteren Menschen, bzw Menschen mit Demenz, dazu beitragen, das (hohe) Alter als eine selbstverständliche Lebensphase zu verstehen. Diese Begegnungen können dazu beitragen, Ängste und Unsicherheiten abzubauen und Bilder der Demenz zu verändern (Haas, Blau und Blaser, 2023)

  • „management“ – Wirkungsziele 4, 5,6+7 „Rahmenbedingungen einheitlich gestalten“, „Demenzgerechte Versorgungsangebote sicherstellen und gestalten“, „Betroffenenzentrierte Koordination und Kooperation ausbauen“, „Qualitätssicherung und -verbesserung durch Forschung“

Um eine österreichweite Angebotsstruktur für Menschen mit Demenz, sowie deren An- und Zugehörigen zu etablieren, ist es notwendig, dass bedarfs- und bedürfnisorientierte Leistungen aufeinander abgestimmt werden. Dazu müssen Strukturen und Leistungen sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene aufeinander abgestimmt entwickelt und nachhaltig umgesetzt werden.

Die Finanzierung, Förderung und der Auf – und Ausbau der unterschiedlichen Angebote für Menschen mit Demenz und deren An- und Zugehörigen muss österreichweit sichergestellt sein. Einheitliche Qualitätsstandards für Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz müssen (weiter-) entwickelt und sichergestellt werden. Dazu erforderlich ist der „Aufbau eines bundesweiten Datenpools zu Epidemiologie und Versorgungsangeboten, Evidenzbasierung des Versorgungsangebotes für Menschen mit Demenz und Evaluierung der vorhandenen Angebote als Basis für das Weiterentwickeln der Angebotsstruktur.“(BMASGK, 2019, S.45)

  • „prevention“ – Wirkungsziele 1-7

In den vergangenen Jahren hat die Forschung zu präventiven Maßnahmen gegen die Entwicklung von Demenzen große Fortschritte gemacht. Etliche Studien, wie zum Beispiel die Arbeiten von Livingston et al. belegen, dass körperliche und geistige Aktivität, soziale Kontakte und die Vermeidung von Nikotin, Alkohol und zuckerreicher Ernährung positive Effekte auf die Gesamtgesundheit und somit auch auf die Entwicklung einer Demenz haben kann. Das Erlernen einen präventiven und bewussten Lebensweise müsse bereits bei unseren Kindern ansetzen. Es sei nie zu früh und niemals zu spät, um mit der Prävention zu beginnen, so Lvingston et al. (Livingston et al. 2020)

Durch die kontinuierliche und nachhaltige Arbeit an den Wirkungszielen wird die Enttabuisierung und Entstigmatisierung der Demenz vorangetrieben. Die dadurch entstehende Sensibilisierung und der Wissenszuwachs kann eine präventive Haltung innerhalb der Gesellschaft und somit die Entstehung von Dementia Literacy fördern.

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Literatur

BMASGK (2019) Gut Leben mit Demenz, https://www.demenzstrategie.at/fxdata/demenzstrategie/prod/media/Demenzstrategie_Neu.pdf, Abruf am 22.03.24

Blaser, R., Blau, M., Haas, K. (2023) Wenn sich Menschen mit Demenzerkrankungen und Kita-Kinderbegegnen NOVAcura 2023 54:2,51-55

Livingston, G. et al. (2020) ‘Dementia prevention, intervention, and care: 2020 report of the Lancet Commission’, The Lancet, 396:10248,413–44

Lo, R. Y.,(2020) Uncertainty and health literacy in dementia care. Tzu Chi Medical Journal 32:1 ,14-18

Low, L.-F., Anstey, K. (2009) Dementia literacy: Recognition and beliefs on dementia of the Australian public, Alzheimer’s & Dementia 5:1, 43-49

Nutbeam, D. (1998) “Health promotion glossary.” Health Promot. Int., 13:4,349-364

WHO (2017) Global action plan on the public health response to dementia 2017–2025. World Health Organization, https://www.who.int/publications/i/item/9789241513487, Abruf am 22.03.24

Wild, M.(2009) Public Health als Handlungsfeld für die Pflege – immer schon – und jetzt umso mehr! Laut gedacht. Wegweiser zur Umsetzung der Patientenrechte. , https://www.patientenanwalt.com/download/Expertenletter/Pflege/Public_Health_als_Handlungsfeld_fuer_die_Pflege_Monika_Wild_Expertenletter_Pflege.pdf, Abruf am 22.03.24

Zur Person

Marianne Buchegger, BA.MSc

Leiterin eines Tageszentrums für Senior*innen der CS Caritas Socialis in Wien, Koordinatorin der Gruppe 1030 Promenz, Bloggerin beim Standard sowie Hospiz Österreich, Lehrgangsleitung Begleiten bei Demenz im Kardinal König Haus

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