Berufsstolz entsteht durch eine hohe Zufriedenheit mit der eigenen Arbeit und durch Anerkennung von verschiedenen Seiten. Berufsstolz hängt zusammen mit Wissen und Können, mit Selbstbewusstsein, mit Engagement, Zivilcourage, Sinnhaftigkeit und Eigenständigkeit. Berufsstolz ist eine Grundeinstellung, eine „Haltung“ (auch körperlich), sowohl in Gedanken, als auch in Gefühlen. Stolze Berufsangehörige machen die Tätigkeit attraktiv, sie möchten mitreden und gestalten. Leider gilt das für die meisten Berufspflegenden nicht – zumindest nicht in Österreich und Deutschland. In der Schweiz scheint die Situation ein wenig besser zu sein, auch salärmäßig – obwohl die Vergütung nur eines von vielen Merkmalen ist.
Pflege ist ein guter und wichtiger Beruf, nicht ersetzbar, weltweit gesucht – im Zentrum steht unmittelbares Wohltun für einen
anderen Menschen unter Berücksichtigung von Körper, Seele und Geist. Viele Kenntnisse sind erforderlich, aus Pflegewissenschaft, Medizin, Pharmakologie, Recht, Ethik und Anderes. Pflegende übernehmen Verantwortung, sie handeln stellvertretend für diesen einen Menschen und wir sind alle unterschiedlich. Dieses Einfühlen in einen anderen Menschen ist das Kennzeichen aller Professionen und zugleich auch die Vermittlung zwischen Regeln und Standards. Immer muss eine tragfähige Beziehung aufgebaut werden – diese Einmaligkeit bezeichnete Florence Nightingale als „Pflegekunst“. Selbst in vielen hundert Jahren wird es nicht möglich sein, dass Roboter in eine „situative Resonanz“ gehen. Erwachsene Menschen fürchten sich sehr vor Pflegebedürftigkeit, vor Abhängigkeit und Autonomieverlust – besonders in den intimsten Dingen. Gerade diese Zuständigkeit könnte Pflegende eigentlich stolz machen – wir erhalten Würde und fördern Selbstständigkeit
bei allen Pflegebedürftigen, ob arm oder reich, alt oder jung und in allen Kulturen.
All dies ist vielen Pflegenden nicht gegenwärtig, manche empfinden die tägliche Versorgung als banal. Dabei ist ja gerade der
„Alltag“ ein hohes individuelles Gut – im Moment sehnen wir uns alle nach Alltag/Normalität wegen der Pandemie. Ohne Hilfe
können schwer Pflegebedürftige gar nichts selbst machen – ihr Leben vollzieht sich quasi durch die Pflegenden und wir haben
es in der Hand, ob Menschen sich sicher und umsorgt fühlen! In Seminaren fordere ich die Teilnehmer*innen manchmal auf,
sich vorzustellen, morgens kommt niemand zur Schicht – „was wären die Folgen?“. Viele stammeln dann, das gehe nicht, es gäbe Tote..usw. Es wird klar, dass wir für unaufschiebbare Bedürfnisse der Menschen zuständig sind. Hilfreich ist auch eine gute Biografiearbeit in der Langzeitpflege – es kann den Berufsstolz von Altenpflegenden steigern, wenn sie sehen, wieviele interessante Lebensgeschichten versammelt sind. Leider haben wir all unsere professionellen Tätigkeiten sprachlich nicht herausgestellt. Früher hieß es „Bettenmachen“, dabei lagen Schwerkranke in den Betten und immer schon handelte es sich um Pflegevisiten mit umfänglichen Interventionen. In einer Großveranstaltung interviewte ich einen Altenpfleger und er sagte „morgens geh ich durch“ – damit war er praktisch fertig und ich musste mühsam jede Beobachtung und Handlung nachfragen. Letztlich wurde deutlich, wie liebevoll und professionell er arbeitete.
Wir müssen mehr Wert darauf legen, unsere Professionalität zu verdeutlichen. Immer noch denken viele „pflegen kann jede*r“,
mit der abwertenden Bezeichnung „Pflegekraft“ sind ja auch die osteuropäischen Putzhilfen gemeint – in Talkshows im TV wird alles durcheinandergeworfen, Ökonom*innen sprechen für die Pflege, Jurist*innen, pflegende Angehörige und natürlich Mediziner* innen. Pflegende spiegeln in ihrer Selbstwahrnehmung die schiefe Meinung der Gesellschaft: servieren, Hintern abputzen, dem*der Arzt*in helfen. Mich ärgert es, als Pflegekraft oder medizinisches Hilfspersonal bezeichnet zu werden. Mir geht es um das „Fachliche“.
Ein anderer Grund für den mangelnden Berufsstolz mag auch sein, dass Pflegende in Mitteleuropa aus einer caritativen Orientierung hervorgegangen sind: still Gutes tun und Bescheidenheit waren damals die Vorgaben. Hinzu kommt, dass Pflege überwiegend ein Frauenberuf ist – die Leisetreterei und Unsichtbarkeit ist ihnen schon „in die Wiege gelegt“. In vielen Ländern habe ich das ganz anders erlebt, etwa in Großbritannien (und allen Ländern des Commonwealth), oder in ganz Skandinavien – die KollegInnen tragen Stolz vor sich her. Offenbar ist auch die Akademisierung ein Schrittmacher von Stolz, verbunden mit einer eindeutigen Abgrenzung der Aufgaben gegenüber Hilfskräften. Auch die asiatischen Kolleg*innen zeigen mehr Selbstbewusstsein, in all diesen Ländern bildet die Berufsgruppe Pflege eine große Macht, organisiert in Kammern, Verbänden, Gewerkschaften und Fachgesellschaften. In Großbritannien etwa ist das „Royal College of Nursing“ eine einflussreiche Berufsvertretung. 2019 entstand ein französischer Dokumentarfilm über die Pflegeausbildung „Zu jeder Zeit“. Er zeigt, wie anspruchsvoll und feinsinnig Pflege ist. Der Regisseur war selbst Patient und hat danach den Film gemacht (erhältlich über die Firma Mindjazz). Zur Durchsetzung von Interessen, auch für die Pflegebedürftigen/Angehörigen, gehört
ständige Lobbyarbeit in den Hauptstädten. Davon ist Pflege weit entfernt – jeder Schafzüchterverein ist hier besser aufgestellt.
Die schlechte Organisation wird für mich immer mehr zur Ursache des Notstandes und dadurch auch des fehlenden Stolzes: Pflegende fühlen sich als Opfer, sie jammern und hoffen auf Mitleid (Zegelin, 2017). Die sozialen Medien werden zur Klagemauer, kurzfristig bringt dies interne Erleichterung und Solidarität. Aber es ändert sich nichts. Politik reagiert nur als Ausgleich organisierter Interessen, wer sich nicht in einem mächtigen Verband zusammenschliesst, kann dauerhaft keine Verbesserungen erreichen. Dieser Zusammenhang ist Pflegenden nicht klar – obwohl die Ärzt*innen uns dies vormachen. Stattdessen bilden Pflegende lokal kleine Protestgrüppchen – für mich hat das eher Entertainment-Charakter. Manchmal gibt es auch kleine kreative Demonstrationen. In den skandinavischen Ländern habe ich zweimal flächige Streiks der Pflegenden vor Ort miterlebt, alle Forderungen wurden durchgesetzt. In den deutschsprachigen Ländern können Pflegende sich einen Streik nicht vorstellen, auch, um die Patient*innen zu schützen – dabei arbeiten viele schon seit Jahren unter Streikbedingungen und haben sich daran gewöhnt. Stolze Pflegende „stehen auf“, weigern sich, bei schlechter Pflege mitzumachen, sie fungieren auch als „Whistleblower“. Stattdessen fangen Pflegende die Mängel auf, springen ein, viele sind teamorientiert und wollen helfen – dadurch halten sie den Notstand aufrecht. Manchmal denke ich, dass der Pflegenotstand in den letzten Jahren auch dazu führt, dass der Nachwuchs „gute Pflege“ nicht mehr kennenlernt, vielerorts ist Pflege ja zu einer eiligen funktionalen Notversorgung verkommen. Oft gibt es tatsächlich keinen Grund mehr, zufrieden nach Hause zu gehen – Pflegende nehmen sich Auszeiten, verlassen den Beruf stumm. Es gab mehrere Aktionen zur Warnung vor Rationierung von Pflege, dies ist alles rasch in der Schublade verschwunden (Segmüller et al., 2012). Silvia Käppeli, die bekannte schweizerische Pflegewissenschaftlerin, hat vor etlichen Jahren ein wissenschaftlich gestütztes Konzept zur gestuften Priorisierung bei Pflegeengpässen vorgestellt, nach einem Vortrag musste sie diese Aktivitäten einstellen. Wir arbeiten schon lange unter Verknappung von Pflege (Zegelin, 2015) und brauchen eigentlich Überlegungen, damit nicht jede*r Fachpflegenden überlassen bleibt, welche Schwerpunkte sie*er setzt.
Es könnte ganz anders sein! Pflege ist ein riesiges gesellschaftliches Feld, Jobmotor, Wirtschaftskraft – durch mehr Ältere in unserer Gesellschaft nimmt die Bedeutung zu. Angesichts der großen Berufsgruppe wird manchmal gesagt: „Pflege ist ein schlafender Tiger“. Für mich ist vorstellbar, dass es ganze Abteilungen zur Pflegeentwicklung gibt, in den Ministerien, Verwaltungen und Einrichtungen – gut wäre auch eine Gesundheitsministerin aus der Pflege – in Island hat dies einen enormen Schub gegeben. Wenn ich mit den örtlichen Bedingungen nicht einverstanden bin, würde ich den Arbeitgeber*innen wechseln. Auch hier sind Pflegende zu vorsichtig, oft haben sie individuelle Zeiten vereinbart, sind doppelt oder dreifach belastet durch Kinderaufsicht oder zu pflegende Eltern. Es gibt viele „offene Stellen“ – dies verstehe ich doppeldeutig, auch im Sinne von Wunden und unerledigten Aufgaben von uns selbst. Pflegeforschung wird nicht deutlich finanziert, in Deutschland etwa ist die Pflegewissenschaft auch sekundär, kolonialisiert von vielen anderen Berufsgruppen ohne Pflegeverständnis. So wird immer wieder eine Niveauabsenkung von Ökonomen*innen gefordert, Soziolog*innen und Gerontolog*innen sorgen für Ansiedlung anderer Berufsgruppen, Mediziner*innen möchten die Arzthelfer*innen im Pflegefeld ansiedeln. Es gibt einige Studien über die Auswirkungen des Pflegemangels auf Patient*innenergebnisse. Bis heute haben wir international keine Forschung über die „Wertschöpfung“ von Pflege auf die Outcomes. Was macht „gute Pflege“ aus, Wahrscheinlich geht es um
Wissen, Präsenz, Umsicht, Ressourcenorientierung, u.ä. Werden die Patient*innen zufriedener und mittelfristig selbstständiger, gesünder oder besser noch: alltagsaktiver? Solche Ergebnisse sollten zur besten Sendezeit in den Medien gezeigt werden – sie würden Pflegende stolzer machen.
Seit Jahren plädiere ich für einen emanzipativen Unterricht für alle Pflegenden über Gremien und Entscheidungen im Gesundheitswesen – eigene Masterstudiengänge wären dazu nötig. Pflegende wissen erschreckend wenig über die Zusammensetzung und Aufgaben der Gremien. Andererseits klagen sie über „Bestimmungen von oben“, selbst in den eigenen Einrichtungen kennen sie die Zusammenhänge nicht, Leitungen sind oft nicht über die finanziellen Bedingungen informiert. Gute Arbeit ist gutes Geld wert – diese Auffassung sollte sich die Pflege zu eigen machen. Auch aus diesem Grund ist die Dokumentation von Pflege wichtig, besonders auch das Erreichen von Fortschritten. Der Pflegeprozess ist vielerorts zu einer sinnentleerten Übung verkommen, rein bürokratisch – dabei wären Ziele und Evaluationen ein wichtiger Grund für Berufsstolz! Auch Pflegetheorien sind wieder verschwunden, Pflege lässt sich allseits auf wenige „Verrichtungen“ reduzieren.
Diese Aktivität mit gleichnamigem Buchtitel (Buresh/Gordon, 2006) war für mich in 50 Berufsjahren die wichtigste Einsicht.
Mitte der 1990er Jahre habe ich dieses Buch in New York entdeckt und beim Verlag Huber übersetzen lassen. Bernice Buresh,
eine Washington Post-Journalistin, konnte ich dann an unsere Universität Witten/Herdecke einladen. Es wurde klar, dass die
Berufspflegenden selbst öffentlich nur als Skandal- oder Kostentreiber*innen vorkamen. Buresh rief dazu auf, sich kleine Beschreibungen (Storytelling) von komplexen Pflegeinterventionen zurechtzulegen – oder auch, sich zu melden, wenn Medien den Pflegeberuf falsch darstellen, etwa als Feld für künstliche Intelligenz oder als Schnellqualifizierung für Flüchtlinge. Pflegende mischen sich kaum gesellschaftlich ein, sie „schlucken“ überall die Abqualifizierung.
All dies war für mich seit vielen Jahren der Grund, dazu ein Buch zu machen; seit etwa 10 Jahren referiere ich zum „Wert der Pflege“. Ich bin froh, in German Quernheim einen guten Mitautor gefunden zu haben. Aufgefallen ist mir vor etlichen Jahren sein Film bei Youtube zum Elevator Pitch, zwei unterschiedliche Gesprächssequenzen von Pflegenden im Lift. Einer seiner Schwerpunkte ist der „Auftritt“ von Pflegenden, die Körpersprache, das Sich-Vorstellen, Visitenkarten usw. Unser Buch enthält zig Aspekte zur Entwicklung von Berufsstolz, es gibt viele detaillierte Arbeitsbeschreibungen von kompetenten und selbstbewussten PraktikerInnen, es gibt Ideen für Multiplikatoren. Allein die Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten könnten Pflegende stolz machen, diese Felder sind in den letzten 30 Jahren nahezu „explodiert“: von den Fachabteilungen im Krankenhaus, über viele Gebiete der Hauskrankenpflege oder Altenpflege, Stellen in Versicherungen, Verwaltungen, Wissenschaft. Es gibt Expertise in vielerlei Themen, seien es Demenz, Wunde, Bewegung, Ernährung oder Schmerz. U.a. auch durch die Akademisierung sind die Karrierechancen in der Pflege enorm gestiegen – auch die Vergütung verbessert sich stetig. Um Fachkompetenz deutlicher zu machen, bietet die „Erweiterte Pflegepraxis (ANP)“ eine gute Grundlage. Wenn die Spezialisierung auf bestimmte Nutzer*innen und Patient*innengruppen gut evaluiert wird, kann dies deutlich zu Berufsstolz und einem besseren öffentlichen Bild beitragen.
Heutzutage gibt es keine Texte ohne Bezug zur Corona-Pandemie. Ich halte Corona für eine vorübergehende Erscheinung. Zwar haben Menschen im Frühjahr 2020 applaudiert und Politiker*innen beschwören nun die Arbeit der Pflegenden. Diese Leistungen gab es aber immer schon, auch die Minderbezahlung und Minderbesetzung in der Pflege. Nun ist deutlich geworden, dass Betten und Beatmungsgeräte nicht reichen, sondern dass es sehr kompetente Pflegende braucht – innerhalb von wenigen Monaten können die aber nicht ausgebildet werden. Andererseits wurde viel von der Systemrelevanz geredet, zwischen Kassiererinnen, Müll- und Fernfahrern wurden auch die Pflegeberufe eingeordnet – dies zeigt auch nochmal die öffentliche Wahrnehmung. Wichtig für uns ist jetzt, die Diskussionen an vielen Punkten aufrechtzuerhalten – auch jenseits von Pandemien. Es ist eine Gratwanderung zwischen dem Anprangern der Arbeitsbedingungen und dem Deutlichmachen der Freude am Beruf und gleichzeitig auch für Organisation der Pflege zu sorgen. Till Brönner, der bekannte Trompeter, sagte Anfang Januar 2021 : „den Künstlern fehlt eine mächtige Lobby“ – und hier ist sie wieder, die Verbindung zur Kunst.
Wir brauchen dringend mehr Berufspflegende, die Wege müssen attraktiv sein und der Nachwuchs sollte die ganze Breite und
Tiefe des Berufes wieder erleben dürfen. Wir haben allen Grund, auf den Pflegeberuf stolz zu sein!
Buresh,B. Gordon, S. (2006). Der Pflege eine Stimme geben, Bern: Huber Quernheim,G., Zegelin, A. (2020). Berufsstolz in der Pflege. Bern: Hogrefe
Segmüller, T. , Zegelin, A., Wagner, F., Bienstein, C. (2012). Menschenwürdig pflegen? St.Augustin, Konrad Adenauer Stiftung, Band 10
Zegelin, A. (2015). Brauchen wir Priorisierung? Die Schwester/ Der Pfleger, 54(4), 74-77
Zegelin, A. (2017). Raus aus dem Jammertal. Die Schwester/ Der Pfleger, 56(5), 40-41
Zegelin, A. (2020). Warum Berufsstolz so wichtig ist. Die Schwester/Der Pfleger, 59(8), 4-7
Prof. Dr. Angelika Zegelin
Krankenschwester, Pflegewissenschaftlerin
Vorm. Universität Witten/Herdecke, kontakt@angelika-zegelin.de, www.angelika-zegelin.de
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