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Stefan Koch, Fabian Fraissler
Interview mit JKU-Rektor Stefan Koch zur Integration von Technologie in der Pflege

Mit Anfang des Jahres 2024 startet in Oberösterreich der Pflegetechnikfonds, der darauf abzielt, neue Möglichkeiten in der Pflegetechnologie zu fördern und Pflegekräfte und pflegende Angehörige so gut wie möglich zu entlasten. Die Förderungen werden nach Prüfung eines Fachbeirates an verschiedene Unternehmen und Projekte vergeben. Vorsitz über diesen Fachbeirat hat JKU Rektor Univ.-Prof. Mag. Dr. Stefan Koch, der sich für das pflegenetz.magazin einigen Fragen gestellt hat.

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Als Rektor der Johannes Kepler Universität Linz (JKU) spielen Sie eine wichtige Rolle im Fachbeirat des Oö. Pflegetechnikfonds. Wie beurteilen Sie die Bedeutung dieser Initiative für die Integration von Technologie in die Pflege?

In der Pflege stehen wir in Oberösterreich und darüber hinaus derzeit vielfältigen Herausforderungen, aber auch Chancen, gegenüber. Demographische Veränderungen, eine alternde Bevölkerung, sich verändernde Familienstrukturen, steigende Mobilität oder soziale Ungleichheiten – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Über Jahrzehnte gültige Konzepte wie der Geschlechter- und Generationenvertrag werden in Frage gestellt. Mobile Pflegedienste sind oft unzureichend oder nur für manche Gruppen verfügbar. Aber es gibt auch Chancen: Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) ermöglichen ganz neue Modelle der Pflege. Wissenschaft und Forschung können hier wichtige Beiträge leisten, um bestehende Prozesse zu verbessern und durch den Einsatz von neuen Technologien Menschen zu unterstützen. Die Einrichtung des Oö. Pflegetechnologiefonds ist daher ein sehr wichtiger Schritt für Oberösterreich, um weitere notwendige Innovationen im Bereich Pflege zu ermöglichen.

Mit Ihrer Erfahrung als Lehrstuhlinhaber für Wirtschaftsinformatik – Information Engineering (2016-2019) haben Sie sicherlich die rasante Entwicklung der Pflegetechnologien verfolgt. Welche technologischen Fortschritte sehen Sie als besonders vielversprechend für die Pflegebranche?

Gerade die Digitalisierung birgt Chancen: In der Entlastung von bürokratischen Aufgaben oder in der Implementierung der Überwachung von Patient*innen-Werten, also der Messung von Markern. Hier wird z. B. an der JKU an „Labs-on-a-chip“ geforscht. Wenn wichtige Funktionen von alltagstauglichen Geräten überwacht werden, die bei Gefahr Alarm schlagen können, wird den Betroffenen viel Zeit bei Ärzt*innen oder im Krankenhaus abgenommen. Manche Lösungen können dabei z. B. in Kleidung implementiert werden und so Patient*innen wieder ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen.

Welche Chancen bieten IT-Management, -Strategie und -Governance in Unternehmen, um innovative Pflegetechnologien zu implementieren und zu optimieren?

Gerade mit Blick auf die Überlastung von Pflegepersonal können neue Technologien dazu führen, Zeit für Bürokratie zu verringern und insbesondere diese gewonnene Zeit wieder Patient*innen zu widmen. Aber auch robotische Unterstützung – z. B. beim Umpositionieren von bettlägerigen Menschen – könnte nicht nur Personal körperlich entlasten, sondern auch die Pflegequalität erhöhen. Wichtig ist, hier ganz genau zu schauen: Wo bringt eine neue Technologie Vorteile, ohne zu Lasten der pflegebedürftigen Menschen zu gehen. Da werden wir angesichts der technologischen Entwicklung viele Möglichkeiten vorfinden.

In Ihrer Zeit als Abteilungsleiter an der Bogazici University in Istanbul, Türkei, haben Sie sicherlich auch die internationale Perspektive im Bereich der Pflege betrachtet. Welche Trends und Herausforderungen sehen Sie in Bezug auf die Einführung von Technologien in die Pflege in anderen Ländern?

Hier ist sicher der Austausch von Ideen und Konzepten ganz entscheidend. Die Vielfalt internationaler Ansätze und Forschungsprojekte ist atemberaubend und vielversprechend. Internationale Zusammenarbeit und Austausch sorgt für raschen Fortschritt. Eine Idee kann an der Umsetzbarkeit scheitern und in der Schublade verschwinden, aber internationaler und vor allem interdisziplinärer Austausch können Mediziner*innen, Informatiker*innen und Ingenieur*innen zusammenbringen, die gemeinsam einen Weg zur Umsetzung finden. Internationale Kooperationen erhöhen die Wahrscheinlichkeit dazu, und eine globale Forschungscommunity ist Garant für eine Vielzahl an Ideen – nicht nur im Bereich der Pflegetechnologie. Gleichzeitig muss man natürlich bei Entscheidungen über Einsatzbereiche von Technologien das spezifische, auch kulturelle, Umfeld sorgfältig mitbedenken.

Wie kann die Forschung im Bereich Geschäftsmodelle und offene Innovationsprozesse in der digitalen Ökonomie dazu beitragen, die Einführung von Pflegetechnologien zu unterstützen?

Einerseits können Ideen auch in diesem Bereich die Basis für Geschäftsmodelle bilden, gerade um dann schnell in Umsetzung und Verbreitung zu kommen, andererseits ist die gemeinsame Arbeit, auch mit Nutzer*innen, an Lösungen ein guter Weg, um Verbesserungen zu erreichen. Ein Beispiel dafür: Aus der JKU Sensoren-Forschung hat sich ein Spin-off entwickelt, das Prothesen entwickelt, die sich über diese biegsamen Sensoren besonders schonend an die Patient*innen anpasst. Störungen werden automatisch gemeldet. Diese JKU Technologie befindet sich also schon auf dem Markt und zeigt das Potenzial, das unsere Universität im Bereich der Pflegetechnologie aufweist.

Mit einem Blick auf den Pflegetechnikfonds in Oberösterreich – Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit zwischen Pflegeeinrichtungen, Wirtschaft und Forschung bei der Entwicklung und Umsetzung innovativer Projekte?

Die Zusammenarbeit von Wissenschaft, Wirtschaft und Pflegeeinrichtungen ist extrem wichtig, um wirkungsvoll bestehende Prozesse zu analysieren und verbessern zu können. Es ist wichtig, in Dialog zu kommen und zu verstehen, was den Menschen im Pflegebereich wirklich hilft. Innovationen und neue Technologien müssen schließlich immer den Menschen dienen. Ein sehr gutes Beispiel ist das Projekt „Update Social“ des Linz Institute of Technology (LIT) der JKU und der Volkshilfe OÖ. Dabei wurden in einem Ideenwettbewerb gemeinsam mit der Zivilgesellschaft und der Praxis innovative Lösungen für den Sozialbereich gesucht – eines der Gewinner*innenprojekte hat z. B. ein KI-unterstütztes Webportal entwickelt, das mit Hilfe eines Chatbots die Situation hilfesuchender Personen abfragt.

Sie haben sich an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU)- Vienna University of Economics and Business habilitiert und dort als Privatdozent für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Informationssysteme, gewirkt. Inwiefern können Management-Prinzipien auf die Implementierung von Pflegetechnologien übertragen werden?

Methoden aus dem Bereich Evaluierung, Entscheidungsfindung oder dann auch Implementierung von digitalen Technologien können natürlich auch in diesem Bereich grundsätzlich zur Anwendung kommen, sodass wir hier zwar Anpassungen für den speziellen Kontext brauchen, jedoch sehr gute Grundlagen haben, um solche Prozesse zu unterstützen.

Welche konkreten Beiträge leistet die Johannes Kepler Universität Linz zur Ausbildung von Fachkräften, die an der Schnittstelle von Technik und Pflege arbeiten möchten?

Die JKU Linz bildet im Studium „Medical Engineering“ Ingenieur*innen an der Schnittstelle zur Medizin aus. Die Studierenden profitieren dabei vom Wissen und Know-how zweier Welten: der Medizinischen Fakultät und des Linz Institut of Technology. Neben einer fundierten technisch-naturwissenschaftlichen Ausbildung in Mathematik, Mechanik, Elektronik, Informatik, Chemie und Werkstoffkunde sowie Modellbildung und Simulation, erhalten die Studierenden eine medizinische Grundlagenausbildung. Mit dieser interdisziplinären Kombination können die Absolvent*innen in Zukunft wesentlich dazu beitragen um Diagnostik, Therapie, Pflege, Rehabilitation und Gesundheitsvorsorge ständig zu revolutionieren. Darüber hinaus haben auch Absolvent*innen aus anderen Studienrichtungen, wie „Artificial Intelligence“, Wirtschaftsinformatik oder Mechatronik die Kompetenzen, um an der Schnittstelle Technologie und Pflege zu arbeiten. Gerade der KI-Bereich hat auch an der JKU schon beeindruckende Erfolge hervorgebracht, z. B. in der Diagnostik und in der Pharmaforschung. Der Trend geht zu personalisierter Medizin – da bedarf es der gebündelten Kompetenz aller Forschungszweige. Hier ist die JKU Vorreiterin.

Mit Blick auf die Forschungsinteressen – Inwiefern können IT-Management und -Strategie dazu beitragen, die Effizienz und Qualität in der Pflege zu verbessern?

Ziel ist es grundsätzlich, digitale Technologien zur Steigerung von Effektivität und Effizienz einzusetzen, insofern entwickeln wir Vorgehensweisen und Methoden, um dies in unterschiedlichen Kontexten sinnvoll tun zu können. Damit ist auch die Pflege umfasst, wobei man natürlich, und das ist Teil von solchen Vorgehensweisen, den Kontext und die Nutzer*innen beachten und einbinden muss.

Wie schätzen Sie die Rolle von Start-ups und innovativen Unternehmen im Bereich Pflegetechnologien ein, insbesondere in Bezug auf den Pflegetechnikfonds in Oberösterreich?

Innovative Unternehmen und besonders Start-ups können einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung neuer Pflegetechnologien leisten. Das haben wir auch beim „Pflegetechnologie Pitch“ Ende 2023 im JKU „Zirkus des Wissens“ gesehen. Viele innovative Unternehmen und Start-ups haben dort in kurzen Pitches ihre Ideen insbesondere für die Altenpflege präsentiert – von telemedizinischen Lösungen bis zu Vitalzeichenmessung. Es war eine gute Möglichkeit, um erste Gespräche zwischen dem Pflegebereich, Wirtschaft und Wissenschaft zu starten.

Als jemand, der die Entwicklung von der Universitätsassistenten-Position an der WU bis zur Rektor-Position an der JKU erlebt hat, wie hat sich Ihrer Meinung nach die Wahrnehmung von Technologie in der Pflege im Laufe der Jahre verändert?

Hier hat sich viel getan, aber ich bin nicht sicher, ob das volle Potenzial schon breit erkannt wird. Vielfach gibt es Vorbehalte, die wir sehr ernst nehmen müssen. Und tatsächlich muss verhindert werden, dass aus Pflege ein automatisierter Prozess wird, aus Patient*innen „Waren“ werden. Aber angesichts der Pflegekrise, dem Fachkräftemangel und der alternden Bevölkerung müssen wir offen prüfen, wie wir das Leben von pflegebedürftigen Menschen verbessern können, und dazu müssen wir Vorurteile ausräumen. Im „LIT Robopsychology Lab“ forschen wir an der JKU z. B. dazu, wie Mensch und Maschine besser zusammenarbeiten können und wie ein Roboter, z. B. ein Pflegeroboter, agieren und aussehen muss, damit er als hilfreich empfunden wird und nicht Angst auslöst. Kurz: Wir erforschen, wie Maschinen gestaltet sein müssen, damit sie dem Menschen helfen und nicht der Mensch sich den Maschinen anpassen muss.

Der Pflegetechnikfonds zielt darauf ab, Beschäftigte in der Pflege zu unterstützen und zu entlasten. Wie können Pflegekräfte aktiv in den Entwicklungsprozess von Pflegetechnologien eingebunden werden?

Das ist ein sehr wesentlicher Punkt, um Technologie nicht am Menschen vorbei zu entwickeln. Durch unseren interdisziplinären Ansatz ist die JKU federführend darin, verschiedene Aspekte in die Entwicklung neuer Technologien einfließen zu lassen. Das gilt nicht nur für den Blickwinkel des Pflegepersonals, sondern ebenso der behandelnden Ärzt*innen und der Patient*innen. Und das ist mit der Entwicklung nicht abgeschlossen – durch das Feedback aus der Praxis muss es unser Ziel sein, Technik und Prozesse stets zu hinterfragen und zu verbessern.

Abschließend: Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft der Pflege unter Berücksichtigung von innovativen Technologien aus, und welche Rolle spielt die Johannes Kepler Universität Linz dabei?

Die JKU kann als Oberösterreichs größte Bildungs- und Forschungseinrichtung natürlich einen Beitrag leisten, um die Zukunft der Pflege maßgeblich zu gestalten und zu verbessern. Digitalisierung, Künstliche Intelligenz oder Robotik werden bestehende Prozesse in der Pflege in den nächsten Jahren effizienter machen und die Menschen unterstützen bzw. entlasten. Die JKU hat durch ihre Fächerbreite und ihre damit verbundenen Schnittstellen in Medizin und Technik viele Möglichkeiten. Diese werden wir sowohl bei der Entwicklung von neuen Technologien, als auch bei der Ausbildung von Ingenieur*innen der Zukunft nutzen! Und ganz wichtig: Dabei behalten wir immer den Menschen im Auge. Technologie muss der Gesellschaft nutzen, sie ist kein Selbstzweck. Das gilt ganz besonders in der Pflege, in der besonders schutzbedürftige Menschen auf die Hilfe anderer angewiesen sind.

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Zur Person

Univ.-Prof. Mag. Dr. Stefan Koch

Stefan Koch wurde 1974 in Wien geboren. Auf das Diplomstudium Wirtschaftsinformatik an der Universität Wien folgte ein Doktorat an der Wirtschaftsuniversität Wien. 2006 habilitierte er sich dort für das Fach Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftsinformatik. Zwischen 2008 und 2016 war Koch an der Boğaziçi University in Istanbul tätig und führte dort vier Jahre das Department of Management. 2016 folgte Stefan Koch dem Ruf der JKU und wurde Vorstand des Instituts für Wirtschaftsinformatik – Information Engineering. In dieser Rolle war er federführend am Aufbau der JKU Business School beteiligt. Zwischen 2019 und 2023 war er als Vizerektor für Lehre und Studierende Teil des Rektorats von Meinhard Lukas und auch dessen Stellvertreter. Seine Forschungsschwerpunkte sind IT-Management, -Strategie und -Governance in Organisationen, sowie Geschäftsmodelle und offene Innovationsprozesse in der digitalen Ökonomie.

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