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Andrea Schmidt-Rumposch
Die Zukunft der Pflege gestalten – Wie Pflegefachpersonal und Patient*innen von KI-Anwendungen profitieren können

In Zeiten von hoher Arbeitsverdichtung und Fachkräftemangel kann auf die Unterstützung durch Anwendungen mit künstlicher Intelligenz (KI) in der Pflege nicht verzichtet werden. Chancen liegen v.a. in physischer und psychischer Entlastung des Gesundheitspersonals und verbesserter Versorgungsqualität für Patient*innen. KI-Technologien sollten gemeinsam mit Gesundheitspersonal aus der direkten Patient*innenversorgung entwickelt werden. Dazu muss dieses über notwendige Kompetenzen verfügen, mit Gesundheitsdaten und KI-Empfehlungen kritisch reflektiert umgehen zu können. Ein berufsgruppenübergreifender Kompetenzerwerb ist nötig.

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Jetzt und in Zukunft kompetente Pflege sicherzustellen, gehört zu den Herausforderungen des Gesundheitssystems unserer Zeit. Die Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl von Pflegefachpersonen wird durch strukturelle Probleme wie eine hohe Arbeitsbelastung bei steigendem Kostendruck erschwert. Gleichzeitig ist eine qualitative Weiterentwicklung gefragt: um die Profession Pflege insgesamt zu stärken, muss u. a. der Bereich der Pflegekompetenz in den Blick genommen werden. Ausbildungsinhalte und Akademisierungsgrad sind kontinuierlich an internationale Standards anzupassen. Auch die Frage nach notwendigen Spezifizierungen von Pflegefachlichkeit ist noch nicht abschließend beantwortet. Es braucht strukturierte Prozesse, um Innovationen in der Pflegepraxis zu entwickeln und nachhaltig zu implementieren.

Ein Werkzeug, um die Transformation der Pflege zu gestalten, stellt Künstliche Intelligenz (KI) dar (Bures et al., 2023). Technik kann dazu beitragen, die Selbstständigkeit und Selbstbestimmung von Pflegebedürftigen zu erhöhen und gleichzeitig das Pflegepersonal zu entlasten. Wichtig ist dabei der Grundsatz, dass digitale Tools nicht Menschen ersetzen, sondern ihnen als Hilfsmittel zur Verfügung stehen. Gesundheitsfachkräfte haben die Letztentscheidung bei KI-Anwendungen. Auf „meaningful human control“, also bedeutsame menschliche Kontrolle kann nicht verzichtet werden (Beck et al., 2003, S. 257).

In welcher Hinsicht sind nun konkrete positive Effekte zu erwarten? Patient*innen profitieren vor allem von einer Verbesserung ihrer Lebensqualität durch eine individualisierte Diagnose und personalisierte Behandlung. Sie erhalten zudem die Möglichkeit, beispielsweise durch Selbstmanagement ihrer Symptome mit Unterstützung einer App, Therapieverzögerungen bis hin zu ungeplanten Krankenhausaufenthalten verhindern zu können. Die Vorteile liegen also auf der Hand: Erhöhung von Autonomie, Partizipation und Lebensqualität von Patient*innen (u. a. Budde et al., 2023). Ein Beispiel:  Onkologisch erkrankte Patient*innen sollen im Verbundprojekt DigiCare (Partner: Universitätsklinikum Essen, Technische Universität Clausthal, Hamburger Fernhochschule und mDoc) durch eine App in ihrem Selbst- und Symptommanagement unterstützt werden. Deren Anwendungen binden sektorenübergreifend Pflegefachpersonen, Hausärzt*innen und Palliativmediziner*innen im Bereich Supportive Care ein.

KI-Anwendungen helfen aber auch dem Gesundheitsfachpersonal direkt, u. a. durch eine Vereinfachung ihres Arbeitsalltags. Organisatorische Prozesse zu digitalisieren und mit Künstlicher Intelligenz zu unterlegen, trägt dazu bei, Pflegefachpersonen von administrativen Prozessen und zeitintensiven Dokumentations- und Routinetätigkeiten zu befreien. Damit rückt die direkte Interaktion mit den Patient*innen in den Mittelpunkt. KI bietet zudem Unterstützung bei Entscheidungsfindungen. Im Forschungsprojekt KIADEKU (Partner: Universitätsklinikum Essen, Ludwig-Maximilians-Universität München und Sciendis GmbH) hilft KI beispielsweise bei der digitalen Bildanalyse von Dekubitus und Inkontinenz-Assoziierter Dermatitis (IAD). Aufgrund visueller Ähnlichkeiten bestehen große Herausforderungen in der Unterscheidung beider Wundarten; die Wunddokumentation ist komplex und zeitintensiv. KI wird deshalb anhand von mehreren Tausend Wundfotos in der Beurteilung von Wundkriterien wie Größe, Wundgrund, Infektionszeichen usw. trainiert. Die Ergebnisse werden in eine App integriert, die Pflegefachpersonen mit Vorblendungen zu individualisierten Pflegeinterventionen in der Entscheidungsfindung unterstützen soll. Die Daten werden automatisch in der elektronischen Patient*innenakte gespeichert. Perspektivisch werden Chatbots und „Explainable Artificial Intelligence“ (Explainable AI) der zusätzlichen Erkenntnisvermittlung dienen und ein Lehrarchiv auf Basis der Anwendungsfälle entstehen.

KI-Entscheidungshilfe ist auch bei ethisch herausfordernden (Pflege-)Situationen denkbar und kann Gesundheitsfachpersonal psychische/mentale Unterstützung bieten.

Nicht zuletzt eröffnen sich durch Digitalisierung und den Einbezug von KI-Technologie neue Tätigkeitsfelder, in denen Pflegefachpersonen sich qualifizieren können. Der Aspekt der Personalentwicklung ist daher ergänzend mitzudenken.

Es zeigt sich, dass die Transformation nur mit denjenigen gestaltet werden kann, die direkt in den Prozessen tätig sind. Pflegefachpersonen sehen sich wandelnden Anforderungsprofilen gegenüber. Es ist daher unabdingbar, Gesundheitsfachkräfte selbst in den Diskurs zum KI-Einsatz einzubinden. Gesundheitsfachpersonal muss über die notwendigen Kompetenzen verfügen, mit Gesundheitsdaten und KI-Empfehlungen kritisch reflektiert umgehen zu können. Die Entwicklung dieser digitalen und KI-Kompetenzen geschieht bestenfalls berufsgruppenübergreifend. Foren des gegenseitigen Austauschs sollten die strukturierte interprofessionelle Fort- und Weiterbildung ergänzen.

Um das notwendige digitale Mindset eines Smart Hospitals (aufrecht) zu erhalten, bietet die Universitätsmedizin Essen (UME) beispielsweise interessierten Mitarbeitenden seit dem Winter Semester 2020/21 das Berufs- und ausbildungsbegleitende Studium „Pflege & Digitalisierung“ an. Es qualifiziert zur Übernahme steuernder und konzeptioneller Tätigkeiten in Digitalisierungsprojekten in der direkten Patient*innenversorgung, Alle Studierenden tauschen sich in regelhaften Netzwerktreffen zu Digitalprojekten der UME aus. Auch jenseits eines Studiums ermöglichen interprofessionelle Angebote der Bildungsakademie der UME einen Dialog auf Augenhöhe, beispielsweise zu Themen wie „Innovative Versorgungsansätze mit KI“, „Digitale klinische Prozesse“, oder „Digital Change Management“.

An dieser Stelle sei angemerkt, dass auch Patient*innen nicht nur als Nutzer*innen einer Anwendung gesehen werden können, sondern sich als aktive Akteur*innen bei der Entwicklung und Zulassung von KI-Anwendungen anbieten. Patient*innen sind darauf angewiesen, informierte Entscheidungen zum Einsatz von digitalen Tools treffen zu können. Nutzen und Risiken müssen ihnen also deutlich gemacht werden.

Die eben skizzierten Chancen und Herausforderungen von KI-Anwendungen im Gesundheitssystem können nur zum Tragen können, wenn die Digitalisierung dessen konsequent weiter vorangetrieben wird. Die offensichtlichsten Aufgaben ergeben sich aus (fehlender) Datenverfügbarkeit und Fragen zur Datensicherheit bei der Nutzung von Gesundheitsdaten in Deutschland (BMBF, 2023). Ziel muss eine ausreichende Infrastrukturentwicklung zur Nutzbarkeit medizinischer Forschungsdaten sein.

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Literatur

Beck, S., Faber, M., Gerndt, S. (2023). Rechtliche Aspekte des Einsatzes von KI und Robotik in Medizin und Pflege. Ethik Med, 35, 247–263.

Budde, K. et al. (2023). KI für Gesundheitsfachkräfte – Chancen und Herausforderungen von medizinischen und pflegerischen KI-Anwendungen. Whitepaper aus der Plattform Lernende Systeme. https://doi.org/10.48669/pls_2023-2

Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (2023). BMBF-Aktionsplan Künstliche Intelligenz. Neue Herausforderungen chancenorientiert angehen. Referat Künstliche Intelligenz. https://www.bmbf.de/SharedDocs/Publikationen/de/bmbf/5/31819_Aktionsplan_Kuenstliche_Intelligenz.pdf?__blob=publicationFile&v=7

Bures, D. et al. (2023). Die transformative Wirkung von künstlicher Intelligenz im Krankenhaus: Der Mensch steht im Mittelpunkt. Die Innere Medizin. 64. https.//doi.org/10.1007/s00108-023-01597-9

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Pflegedirektorin / Vorstand Universitätsmedizin Essen

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