Die sichere Versorgung von Menschen mit Beatmungsbedarf in der außerklinischen Intensivpflege (AIP) umfasst auch die Umsetzung von Vorgaben zur Vermeidung, Behandlung und Kontrolle von Infektionen. Infektionspräventive Maßnahmen sind hierbei je nach Wohnform anzupassen. Die Analyse spezifischer Strukturen in Wohngemeinschaften der AIP stellt einen ersten Schritt im Hygienemanagement dar und liefert spezifische Ergebnisse zur Optimierung des Hygienemanagements in der Pflegepraxis.
Der Bedarf zur Versorgung Langzeit-beatmungspflichtiger Menschen in stationären Einrichtungen, der eigenen Häuslichkeit (1:1 Betreuung) und ambulanter Wohngemeinschaften (WGs) steigt (Ewers & Lehmann, 2017). Die geschätzten Prävalenzzahlen betragen in Österreich 3,8 und in Deutschland 6,5 auf 100.000 Personen (Lloyd-Owen et al., 2005). Die Anzahl für Deutschland wurde bereits 2018 auf 15.000 Menschen in der außerklinischen Intensivpflege (AIP) hochgerechnet (Klingshirn et al., 2020). Der komplexe pflegerische Bedarf von Menschen mit künstlicher Beatmung und bei der Anwendung von weiteren Hilfsmitteln birgt ein hohes, bekanntes Risiko für beatmungsassoziierte bzw. Hilfsmittel indizierte Infektionen (Mackay, Smith, & Masterton, 2014). Unterschiedliche gesetzliche und länderspezifische Regelungen in Deutschland führten dazu, dass die Arbeitsgruppe Hygiene der KNAIB (1) Empfehlungen zum Hygienemanagement mit Strukturen und Prozessen für unterschiedliche Wohnformen erstellte (Gleich, Horvath, & Hille 2019). In Bezug auf WGs der AIP weisen mehrere Studien auf einen erhöhten Bedarf an hygienespezifischen Kompetenzen für das Personal hin, da die betreuten Personen ein erhöhtes Risiko haben mit multiresistenten Erregern kontaminiert zu sein und auch entsprechende Risiken für die Entwicklung einer Infektion bergen (z. B. Horvath, Bohm & Gleich, 2019). In der AIP zeigen sich somit Herausforderungen in der Umsetzung der formulierten hygienespezifischen Kriterien. Ein Ziel der Forschungskooperation zwischen dem Institut für Pflegewissenschaft und -praxis der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität und der Deutschen Pflegegruppe (DPG), einem bundesweit agierenden Anbieter für außerklinische Intensivpflege, war es daher, Erkenntnisse zu hygienespezifischen Strukturen und Ressourcen zu gewinnen. Dieser Beitrag widmet sich der Darstellung der entsprechenden Strukturdatenanalyse in den WGs der DPG.
Es wurde eine quantitative Vollerhebung aller WGs in den 12 Pflegediensten des Kooperationspartners DPG angestrebt. Die Strukturdatenerhebung und -analyse wurde literaturgestützt entwickelt. Die Inhalte der quantitativen Erhebungsbögen waren in drei Themenkomplexe bzw. Dimensionen untergliedert (Tabelle 1)
Zur Sicherung der Verständlichkeit des Erhebungsinstrumentes wurde dieses von allen Kooperationspartner*innen reflektiert sowie mit zwei externen und heterogenen WGs im Vorfeld strukturiert getestet. Eine Anpassung teils unklarer, missverständlicher Begrifflichkeiten erfolgte im Anschluss, um die Qualität der Datenerhebung zu verbessern.
Datenerhebung
Die Zusendung der passwortgeschützten Excel-Dokumente erfolgte digital an die Pflegedienste bzw. Wohngemeinschaften. Die Datenerhebung für Klient*innen-spezifische Inhalte fand aggregiert auf der Verwaltungsebene der Pflegedienste statt, womit alle 31 WGs repräsentiert waren (Stichtag 31.01.2020). Ein Rückschluss auf einzelne Klient*innen-Daten war nicht möglich. Die WG-spezifischen Daten, die nur vor Ort in den WGs vorlagen, wurden von Anspr
echpartner*innen der einzelnen Wohngemeinschaften erhoben. Die Erhebung erfolgte von Januar bis April 2020.
Datenauswertung
Die erhobenen Daten wurden entlang der definierten Themenkomplexe deskriptiv mit Excel und SPSS ausgewertet. Dabei wurden relative und absolute Häufigkeiten sowie Kennwerte der univariaten Statistik berechnet.
Die Rücklaufquote betrug 100%. Es wurden 31 WGs von 12 Pflegediensten in fünf Bundesländern in die Auswertung eingeschlossen. Die Darstellung der Ergebnisse folgt anhand ausgewählter Dimensionen der Datenerhebung (Tabelle 1).
Dimension 1: Strukturen der Wohngemeinschaften
Die WGs bestanden zum Stichtag durchschnittlich seit 5,8 Jahren. Sie boten Wohnflächen von 136 bis 405 m2, die sich auf drei bis zu 14 Zimmer (inkl. Gemeinschaftsräume) auf ein bis drei Etagen verteilten.
Dimension 1: Antibiotika-Management
In Bezug auf das Antibiotika-Management zeigte sich, dass Mitarbeiter*innen in 24 WGs Absprachen über Antibiotikaverschreibung und -einnahme mit den zuständigen Ärzt*innen trafen, nur wenige eine Übersicht verfügbarer Daten über jährliche Antibiotika-Einnahmen (4 von 31 WGs) oder eine pharmazeutische Beratung für antimikrobielle Substanzen (5 von 31 WGs) verfügten. Keine WG meldete die Umsetzung von einer Antibiotikakommission, die Anwendung des Antibiotic-Stewardship-Programms oder patient*innenbezogenen Fallbesprechungen zur Antibiotika-Therapie.
Dimension 3: Informationen zu den Klient*innen
Zum Zeitpunkt der Erhebung standen 167 Pflegeplätze zur Verfügung in denen 137 Klient*innen betreut wurden (Tabelle 2).
Cerebro-vaskuläre Erkrankungen wurden mit 64,3% als die häufigste Indikations- bzw. Diagnosestellung für die Beatmung genannt, gefolgt von Lungenerkrankungen (12,5%), sonstigen (10,7%), neurodegenerativen/-muskulären (8,0%) und neurologischen Erkrankungen (4,5%). Insgesamt benötigten 96,4% der Klient*innen eine Versorgung mit Trachealkanüle, über die 27% intermittierend beatmet wurden. 6,6 % der Klient*innen befanden sich im Weaningprozess. Die Ergebnisse zeigen zudem, dass 3 von 31 WGs über Kooperationen mit Kliniken oder Weaningstationen verfügten.
Weitere mögliche Infektionsrisiken zeigten sich in den Klient*innen-Daten. Die Anlage einer Ernährungssonde wurde mit 89,1% am häufigsten erhoben, es folgte der Blasenverweilkatheter (79,6%) und die Besiedelung mit multiresistenten Erregern (43,8%). Alle weiteren Aspekte wie Bettlägerigkeit, Dekubitus, Antibiotikatherapie, Wunden, sonstige Katheter oder Dialyse wurden deutlich weniger häufig genannt (Abbildung 1)
Mit Rückblick auf das Jahr 2019 zeigten sich in den 31 WGs insgesamt 260 Krankenhaus-Einweisungen, mit einer Spannweite von 0 bis 35 Einweisungen pro WG, wobei im Durchschnitt 8,4 Einweisungen stattgefunden hatten.
Die ausgewählten Strukturdaten der 31 WGs zeigen auf, dass sowohl die räumlichen Gegebenheiten als auch die Klient*innen-Charakteristika höchst unterschiedlich sind und daher die Anforderungen an das Hygienemanagement variieren. Unabhängig von diesen Unterschieden zeigt sich, dass die betroffene Personengruppe viele medizinische Hilfsmittel zur Unterstützung benötigt und daher das Hygienemanagement höchst relevant ist, wie auch bereits andere Studien zeigten (Lehmann & Ewers, 2020).
Das seit Oktober 2020 in Kraft getretene Intensivpflege und Rehabilitationsstärkungsgesetz greift einige dieser strukturellen Aspekte auf, um national die Versorgung außerklinisch beatmeter Personen über Sektorengrenzen hinweg sicher zu stellen. Ein Aspekt betrifft das frühzeitige Weaning in der Klinik und dann im weiteren Verlauf in den WGs. Die Ergebnisse zeigen, dass sich nur 6,6% der 137 Klient*innen im Weaningprozess befanden. Gleichzeitig gaben nur 3 der 31 WGs eine Kooperation mit einer Weaningstation an, um ggf. das Potential der Personen zu fördern.
Die Datenerhebung fand knapp vor bzw. zu Beginn der Corona-Pandemie statt, so dass keine Daten in Bezug auf coronabedingte hygienespezifische Strukturen erhoben wurden.
1) KNAIB Kompetenz Netzwerk Außerklinische Intensivpflege Bayern – Fachgesellschaft für außerklinische Intensivpflege e.V.; definierte Anforderungen an Struktur und Prozessqualität bzgl. Hygiene in der AKI, 2019
Ewers, M. & Lehmann, Y. (2017). Pflegebedürftige mit komplexem therapeutisch-technischem Unterstützungsbedarf am Beispiel beatmeter Patienten Pflege-Report (S. 63-72), Stuttgart: Schattauer
Gleich, S., Horvath, L., Böhm, D., Dodenhoff, E., Fulle, W., Gstöttner, H. & Hille, S. (2019). Hygiene in der außerklinischen Intensivpflege. Anforderungen an Struktur und Prozessqualität. Ergebnisse einer Riskioanalyse der AG Hygiene. Abgerufen am 01.08.2019 von https://knaib.de/wp-content/uploads/2016/06/Hygiene-2019.pdf
Horvath, L., Bohm, D. & Gleich, S. (2019). Surveillance of Supervised Flat-Sharing Communities Requiring Intensive Home Care: Results and Conclusions. Gesundheitswesen, 81(10), 808-812. doi:10.1055/s-0043-125146
Klingshirn, H., Gerken, L., Heuschmann, P., Haas, K., Schutzmeier, M,. Brandstetter, L., Stangl, S., Wurmb, T., Kippnich, M., Reuschenbach B. (2020). Qualität der Versorgung beatmeter Menschen in der außerstationären Intensivpflege in Deutschland: Ein Scoping Review. Gesundheitswesen, 82(08-09): 729–739.
Lehmann, Y & Ewers, A. (2020) Sicherheitsdimensionen in der Hilfsmittelversorgung häuslich beatmeter Patienten (SAVENT) – Studienprotokoll. Pflegewissenschaft, 22(3), 146-179. doi: 10.3936/1763
Lloyd-Owen, S. J., Donaldson, G. C., Ambrosino, N., Escarabill, J., Farre, R., Fauroux, B., Robert, D., Schoenhofer, B., Simonds, A. K., Wedzicha, J. A. (2005). Patterns of home mechanical ventilation use in Europe: results from the Eurovent survey. Eur Respir J, 25(6), 1025-1031. doi:10.1183/09031936.05.00066704
Mackay, W. G., Smith, K., Williams, C., Chalmers, C. & Masterton, R. (2014). A review of infection control in community healthcare: new challenges but old foes. Eur J Clin Microbiol Infect Dis, 33(12), 2121-2130. doi:10.1007/s10096-014-2191-y
Dr. Irmela Gnass
ist Assistenzprofessorin in der Pflegewissenschaft mit Schwerpunkt Akutpflege und gelernte Fachkrankenschwester für Anästhesie und Intensivmedizin mit langjähriger Berufserfahrung
Paracelsus Medizinische Privatuniversität
Institut für Pflegewissenschaft und -praxis
Strubergasse 21
5020 Salzburg
E-Mail: irmela.gnass@pmu.ac.at
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