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Esther Matolycz
".... aber die Pflege" Kleine Polemik und großer Einspruch zum neuen Jahr

Nicht nur während der COVID-19-Pandemie, sondern bedauerlicherweise auch jetzt, im Nachgang, wurde medial ganze Arbeit geleistet: Kaum ein Tag ohne Horrormeldung, kaum ein Bericht, von dem nicht Eines hängen geblieben ist: die Pflege wäre schlecht bezahlt, irgendwie genau das, wofür sich niemand finden lässt und überhaupt ein Knochenjob, dem es hinten und vorne gebricht, beispielsweise an Anerkennung.

Ja, liebe Medien, so geht Niederschreiben. Freilich hat das der Sache einen Bärendienst erwiesen, denn jenen (ja, doch, es gibt sie, und es sind gar nicht wenige), die sich jetzt für einen Pflegeberuf entscheiden, wird trefflich suggeriert, sie wären heillose Idealist*innen oder brächten ein Opfer.

Vielleicht ist es Zeit für einen Einspruch.

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Zuerst: mies bezahlt wäre die Pflege. Tatsächlich ist die Besteuerung des Pflegebonus, um es kurz zu sagen, eine Frechheit. Versprochen wurde anderes, das stimmt.

Und man kann gerne überlegen, wie es im Land überhaupt um das Verhältnis zwischen Wohn- und Lebenskosten und Gehältern bestellt ist. Oder um die Inflation, oder um gegenwärtige Krisen. Dafür kann allerdings Pflege nichts. Und sieht man die Gehälter an und vergleicht mit anderen akademischen Berufen (für die Pflegeassistenzberufe mit nichtakademischen), wird man  schnell feststellen: so schlecht bezahlt ist eine Tätigkeit, die beim Einstieg gut und gerne (und bitte, man möge mich nicht festnageln, sondern einfach Stellenanzeigen ansehen) Dreitausend Euro brutto bringt, nicht. Das gilt auch für die Pflegeassistenzberufe, da geht es gestaffelt nach unten, aber das kann sich – besonders mit Ansehen der Ausbildungsdauer – mit so gut wie jedem Lehrberuf messen.

Kolportiert wird anderes. Hingegen: Kunst- und Medienbranche? Treffer, das ist hip, da will man hin. Doch halt: es gab unlängst einen Aufschrei in Sachen prekäre Beschäftigung, ein mutiges Hervortreten einer Mitarbeiterin[1], die ihren an und für sich gern ausgeübten Job gekündigt hat, weil: keine Anstellung in Aussicht, schlechte Bezahlung, teilweise keine Krankenversicherung. Und trotzdem gilt: wer’s mit den Medien hat, und sei es auch nur irgendwie, der hat’s geschafft. Dass man dort (und immer noch) froh sein muss, überhaupt einen Fuß in die Tür zu kriegen, sich Wechsel kaum erlauben kann – keine Rede davon. Medien, und sei es irgendwas mit Medien – hip, cool, toll.

Beim munteren Schubladisieren ist immer auch die Generation Z Thema, und durchaus auch in der Frage des Pflegenachwuchses. Wie nämlich, gewinnt man junge Leute, die stark an Work-Life-Balance interessiert sind, für soziale Berufe? Wobei man sagen muss, dass die angeblich so klar definierten Interessen und Befindlichkeiten der einzelnen Generationen je nach Studie und Bericht eben auch variieren: mal seien die „Zs“ nur an sozialen Medien und dortiger Dauerpräsenz interessiert, mal durchaus auch am Sozialen selbst.

Und wäre es so, dann böten Pflegeberufe selbstverständlich eine Option.

Aber die Pflege… Null Work-Life-Balance, null Life.

Wir sprechen einerseits von einem Beruf, der so nahe am Leben ist wie kein anderer.

Andererseits führen die üblichen 11,5-Stunden-Dienste (die, ich spreche aus Erfahrung, durchaus nicht unbeliebt sind), dazu, dass es sehr viele Wochen mit vier freien Tagen gibt. Im Grunde also prädestiniert für Work-Life-Balance. Ja, in der Wirtschaft ist alles besser, oder in kreativen Berufen, oder, oder, oder. Nur, dass dort auch nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen ist. Man nehme den Journalismus: die schlechteste Nachricht ist die, die auch nur eine Sekunde zu spät kommt. Also nichts mit „nine to five“, und da fällt schon auch die eine oder andere Nachtarbeit an (und gut und gerne mit All-in-Vertrag). Aber die Pflege…

Dann die Arbeit selbst, die Pflege. Interessanterweise scheinen viele Zeitungen ein Abo für eine bestimmte Art von Datenbank-Foto zu haben: vintage Linoleumböden in erbsengrün und Rollstuhlspeichen, wahlweise Patient*innenlifter (zugegeben: das ist rein persönliche Empirie, aber ich teile sie gern). Die Bilder jedenfalls zeigen: die Arbeit ist schwer.

Geht es um Ärztinnen und Ärzte, scheint dasselbe Abo grundsätzlich Chirurg*innen auszuspucken, oder die Hausärztin bzw. der Hausarzt mit Stethoskop, immer gerade beim Rezeptschreiben.

Pflege hingegen? Eher trostlos, so stellt es sich dar. Und was die Altersgruppe der zu Pflegenden betrifft, scheint es ausschließlich Hundertjährige zu geben (an sich schön, der Generation Z vielleicht aber nicht gar so nahe).

Wir wissen, dass das nicht stimmt. Bekanntlich sind Pflegende für Klient*innen aller Altersgruppen gefragt, und in unterschiedlichen Settings. Der Eindruck, der sich bei Tagesmedien -Lektüre einstellt, ist allerdings ein anderer.

Vielleicht sollte man anregen, eine School Nurse zu zeigen, Pfleger*innen beim Instrumentieren, beim Legen einer Venenverweilkanüle, bei der Visite, der Wundversorgung, in einer Beratungssituation – wünschen darf man sich ja etwas. Überhaupt etwas, das ganz gut demonstrieren könnte, dass es die Pflege, die so einseitig zusammengeschmolzen und reduziert wird, nicht gibt. Hingegen gibt es Ausbildungen in Gesundheits- und Krankenpflegeberufen, die Türöffner für Patient*innenversorgung in unterschiedlichen Fachdisziplinen, für Unterricht und Lehre, für den mobilen Bereich, für Beratung und für Medizinnähe (wenn gewünscht) sind, um nur wenige Beispiele zu nennen. Man könnte auch sagen: Jeder findet ihre oder seine Sparte, das Angebot ist groß.

Aber das wird nicht gezeigt und die Liste der dargestellten PflegeStereotype  ließe sich fortsetzen. Festzuhalten bleibt zunächst, dass es einer (professionalisierten, teils akademischen) Berufsgruppe nicht guttut, als „Hungerleider“ und noch dazu in einem Umfeld á la 1970 dargestellt zu werden.

Festzuhalten bleibt außerdem, dass Pflegende in der COVID-19-Pandemie an ihre Grenzen gebracht wurden, ebenso, dass die Professionalisierung auch ihre Schattenseiten hat, und sich hinsichtlich Dokumentationspflicht (die in enorm expandierter Form – meine Haltung dazu ist bekannt – auch als Misstrauensantrag einer Profession gegenüber gedeutet werden kann) bald etwas tun müsste, und dass dort und da zu schrauben ist.

Und es bleibt festzuhalten, dass der zunehmenden Ökonomisierung des Sozialen Einhalt geboten werden muss, da es nicht nach (privat)wirtschaftlichen Regeln tickt.

Das alles kann aber dem Beruf selbst nicht angelastet werden.

Abschließend: Pflege kann gerade in einer digitalisierten Welt mit Analogem punkten. Mit Begegnung und Berührung  face-to-face.

Ebenso mit Entwicklungsmöglichkeiten und Vielseitigkeit, wie kaum ein andere Berufsbild sie zeigt. Das wär‘ also durchaus etwas, das für die Generation Z attraktiv sein könnte.

Aber die Pflege…

 

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Fußnoten

[1] Mark, O. (2023). Kettenverträge und „Karotte vor der Nase“: Ö1-Journalistin rechnet mit ORF-Prekariat ab. Der Standard (18.01.2023). Abgerufen unter: https://www.derstandard.at/story/2000142649338/kettenvertraege-bei-oe1-und-karotte-vor-der-nase-journalistin-rechnet

Literatur

Esther Matolycz, Mag. Dr. phil. DGKP, LfGuK,

Studium der Erziehungs-/Bildungswissenschaft und Publizistik, tätig in der Aus-, Fort- und Weiterbildung im Pflege- und Sozialbereich.

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