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Alice Edtmayer / Anita Sackl / Elisabeth Rappold
Community Nursing aus Perspektive der Projektbeteiligten
„Ich werde erstmals dem Berufstitel zur Gänze gerecht geworden sein und nicht nur Krankenpflegerin, sondern vor allem Gesundheitspflegerin sein.“

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Fakten zur Projektentwicklung und Eckdaten des Projekts finden sich in den Artikeln von L. Mayer und L. Eberle. Im Folgenden werden weitere Details ergänzt.

Ausbreitung der Community Nursing‐Pilotprojekte am 1. Jänner 2023, grün gekennzeichnet auf der Österreichkarte

Quelle und Darstellung: GÖG

Ziel der räumlichen Verteilung der Community Nursing‐Pilotprojekte war es, Projektanträge von kleinen Gemeinden bis hin zu Großstädten zu gewinnen. Auf Grundlage der Gemeindetypologie der Statistik Austria wurden die Projekteanträge folgenden Typologien zugeordnet: urbane Zentren (Stadtregionen), regionale Zentren, ländlicher Raum im Umland von Zentren (Außenzone), und ländlicher Raum (vgl. Stadt‐Land [statistik.at]). Tatsächlich ist es gelungen, in allen Bereichen Projekte anzusiedeln.

Unter Einhaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen (z. B. des Vergaberechts) konnten die teilnehmenden Projekte frei über die Form der Kooperation mit Community Nurses entscheiden:

  • im Anstellungsverhältnis zur Gemeinde/Stadt oder zu einem Sozialhilfeverband
  • mit einem Trägerverein, bei dem die Community Nurse angestellt ist
  • mit freiberuflichen Community Nurses

Im Folgenden werden Eindrücke, Erwartungen und Perspektiven aus Projekten mit unterschiedlichen Kooperationsformen sowie aus den verschiedenen Siedlungstypologien präsentiert. Dazu wurden Vertreter*innen aller Kooperationsformen eingeladen, ein schriftliches Interview zu geben. Gewonnen werden konnten dafür der Bürgermeister der Gemeinde Puchenau, Friedrich Geyrhofer, sowie eine bei dieser angestellte Community Nurse, Felix Binder, BScN, der Projektleiter eines großen Trägers, Mag. Reinhold Medicus‐Michetschläger, welcher mehrere Projekte koordiniert, sowie Community Nurse Vanessa Baumgartner, BSc, von ebendiesem Träger. Für die freiberuflich-tätigen DGKP beteiligte sich Christina Kubesch aus Thalgau. Aus den unterschiedlichen Siedlungstypen wurden sechs Community Nurses angefragt, die sich ebenfalls an der schriftlichen Befragung beteiligten. Die Beiträge differenzieren sich in drei Community Nurses, welche im städtischen Umfeld tätig sind und drei aus dem ländlichen Raum: Barbara Linder (Afritz am See), Doris Metzger (Fusch an der Glocknerstraße), Christina Kubesch (Thalgau), Manuela Wehinger (Dornbirn), Verena Möschl (Innsbruck) und Karin Lang (Linz).

Die Motive und Erwartungen unterscheiden sich zwischen den verschiedenen Gruppen erstaunlich wenig, daher wird im Folgenden die gemeinsame Perspektive auf das Projekt wiedergegeben.

Was hat Sie motiviert, am Pilotprojekt Community Nursing teilzunehmen und die neuen Herausforderungen einer Community Nurse anzunehmen?

Seitens der interviewten Pflegepersonen liegt die Motivation zur Teilnahme an der Pilotierung unter anderem darin, dass ihnen internationale Konzepte von Community (Health) Nursing bekannt sind und diese als Chance zur Professionalisierung der Pflege sowie zur Förderung von deren Eigenständigkeit gesehen werden. Auch eröffnet das neue Berufsfeld Möglichkeiten, abseits der stationären Pflege tätig zu werden. Der salutogenetische Ansatz bzw. das präventive Aktivwerden stellt einen weiteren Anreiz dar. Aber auch die Neugierde und die Möglichkeit, das Pilotprojekt Community Nursing mitzugestalten und eine aktive Verbesserung zu bewirken, motivieren ebenso wie die Beschäftigung mit der Thematik während des Studiums Advanced Nursing Practice bzw. der Masterarbeit oder persönliche negative Erfahrungen. Community Nursing wird als große Chance und Möglichkeit gesehen, um einen niederschwelligen Zugang zur Förderung von Gesundheit, Lebensqualität und Selbsthilfefähigkeit anzubieten.

Aus Sicht der Gemeinde sind das Vermeiden von Krankenhausaufenthalten durch ausreichende professionelle Beratung sowie die Förderung der Gesundheit maßgebliche Motivatoren. So meint Bürgermeister Friedrich Geyrhofer: „Ich bin überzeugt, dass die gesundheitsfördernden Maßnahmen durch die CNommunity Nurseeinen wesentlichen Faktor für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung darstellen. Trägerseitig stehe die Frage im Vordergrund, „wie man die Langzeitpflege weniger an strukturellen Rahmenbedingungen und mehr am Willen der Personen ausrichten kann“.

Was erwarten Sie am Ende des Projekts – was wird sich für die Bevölkerung, was wird sich in der Gemeinde / in der Stadtregion, was wird sich für Sie persönlich verändert haben?

Eine Erwartung an das Projekt ist jedenfalls, dass die Bevölkerung durch das proaktive Handeln der Community Nurses ein gesteigertes Gesundheitsbewusstsein erlangt. Gleichzeitig herrscht aber auch ein Bewusstsein dafür, dass die Projektlaufzeit kurz ist und als erster Schritt möglicherweise „nur“ eine Sensibilisierung für das Thema Gesundheit und Prävention erreicht werden kann. Erwartet wird auch, dass durch Community Nursing eine Enttabuisierung von Pflege‐ und Unterstützungsbedarf stattfindet. Ziel ist aber auch die Anerkennung des spezifischen Wissens von Community Nurses, welche im individuellen Alltag von Menschen unterstützend wirken und diesen in weiterer Folge ein Leben zu Hause in einem adaptierten Setting ermöglichen können – „gelebtes“ Gesundheitsbewusstsein und ebensolche ‐förderung mit dem Ziel, gesünderes Älter‐Werden zu ermöglichen.

Community Nurse Karin Lang verbindet damit auch folgenden Wunsch: „Die ältere Generation soll wieder vor den Vorhang geholt werden, und die Gemeinde soll von ihren Erfahrungen und ihrem Wissen profitieren können“.

Auf der Mesoebene soll für Community Nurse Christina Kubesch aus Thalgau am Ende der Laufzeit erreicht worden sein, dass „die intensive Vernetzung eines fachkompetenten Teams aus Community Nurses, Mediziner*innen, Pharmazeut*innen sowie weiteren gesundheitsrelevanten regionalen Ansprechpersonen einen deutlichen Mehrwert für die Bevölkerung sowie eine Entlastung stationärer Strukturen bringt“. Es sollen neue Netzwerke entstehen, und die Zusammenarbeit im Gesundheits‐ und Sozialbereich soll intensiviert werden. Die Pflegepersonen erachten dasKennen und die Wahrnehmung von Netzwerkpartner*innen in der Region und deren Weiterempfehlung seitens dieser als kritischen Erfolgsfaktor.

Zudem sollen im Rahmen von Community Nursing Versorgungslücken aufgedeckt und Konzepte zu deren Schließung entwickelt werden. Eine Überführung in die Regelfinanzierung, durch welche Community Nursing als zentrale, niederschwellige Anlaufstelle für Gesundheit(sförderung) im System verankert wird, wird als erstrebenswertes Ziel angesehen.

Doris Metzger (Thalgau): Community Nursing ist eine zentrale Antwort auf die Herausforderungen und Entwicklungen in der Gesundheitsversorgungslandschaft. Das Projektende wird der Abschluss eines enormen Lernprozesses und hoffentlich der Beginn eines neuen Verständnisses des Stellenwerts von Prävention und niederschwelliger, wohnortnaher Gesundheitsbegleitung sein“.

Was ist das Besondere an den Pilotprojekten?

Als besonders schätzen Community Nurses das Neue ein wie zum Beispiel die Kooperationen und die Zusammenarbeit mit Akteur*innen des Sozial‐ und Gesundheitswesens von der Gemeinde‐ bis zur Bezirksebene im ländlichen oder städtischen Raum. Positive Erwähnung finden ebenso Settings, in welchen die Community Nurse „Hand in Hand“ mit dem Primärversorgungszentrum tätig ist oder bei denen im ländlichen Raum mittels persönlicher Kontakte („Jeder kennt jeden“) kurze organisatorische Wege möglich sind.

Community Nurse Felix Binder aus Puchenau sieht als Besonderheit, „[…] dass wir direkt im Gemeindeamt verankert sind und so unmittelbar von einem großen Teil der Bevölkerung schnell wahrgenommen werden. Das Gebäude ist ein Dreh‐ und Angelpunkt für das Leben in Puchenau, und unser Büro liegt gut sichtbar direkt neben dem Eingang“.

Hervorgehoben wird das selbstständige Arbeiten bzw. das Erarbeiten von Klient*innenfällen oder auch die maximale Flexibilität im Hinblick auf Arbeitsort, Arbeitszeit und Tätigkeit, welche eine rasche und unbürokratische Reaktion auf Anforderungen bzw. neue Gegebenheiten ermöglicht, was die freiberufliche Community Nurse als positiven Aspekt wahrnimmt.

Reinhold Medicus‐Michetschläger, welcher mehrere Projekte in verschiedenen Bundesländern begleitet, meinte folgendes: „Wichtig ist mir als Projektleiter, dass einerseits überall dieselbe Grundhaltung gelebt wird, aber dass andererseits die Teams vor Ort selbst entscheiden können, wie sie ihre konkrete Arbeit ausgestalten. Die angesprochene Grundhaltung in unseren Projekten ist eine möglichst intensive Orientierung am Willen der Menschen und eine Einbeziehung aller Ressourcen […]“. In einem dieser Projekte ist auch die befragte Community Nurse Vanessa Baumgartner tätig, die sich in dieser Hinsicht folgendermaßen äußert: „Ich bin als Community Nurse in einer kleinen Gemeinde mit rund 3000 Einwohnerinnen und Einwohnern tätig. Viele Familien wohnen in einem Mehrgenerationenhaushalt. Die jüngere Generation pflegt die ältere Generation – sehr oft finde ich diese Betreuungskonstellation vor. Ich kenne diese auch gut von meinem eigenen Elternhaus und kenne dadurch auch die Vor‐ und Nachteile, die damit einhergehen. In diesem Zusammenhang begegnen mir nun bei meinen Hausbesuchen Situationen, wo es gilt, die eine oder andere Hürde aus dem Weg zu schaffen. Wichtig ist mir dabei, dies gemeinsam mit der Familie zu tun“.

Worin sehen Sie die Unterschiede zur klassischen Pflege (in Spitälern, Pflegeheimen, bei den mobilen Diensten)?

Alle befragten Community Nurses nennen den Faktor Zeit als den größten Unterschied zu der ihnen bekannten klassischen Pflege. Denn im Projekt ist es ihnen erlaubt, Zeit für den individuellen Menschen zu haben. Die Community Nurse aus Innsbruck äußert sich diesbezüglich folgenderweise: „Der größte Unterschied zur klassischen Pflege ist für mich persönlich der Zeitfaktor. Derzeit kann ich mir erlauben, Zeit für die Menschen zu haben, ihnen wirklich zuhören zu können, ein offenes Ohr für ihre Sorgen, Ängste und Wünsche zu haben. Das ist wohl das Wertvollste“. Community Nurse Vanessa Baumgartner sagt dazu: „Wir sind ein kostenloses Beratungs‐ und Koordinationssangebot mit dem Ziel, präventiv im Sozialraum zu wirken. Wir leisten keine hochspezialisierte Versorgung wie beispielsweise ein Krankenhaus in einem Akutfall. Wir bauen Beziehungen in der Gemeinde auf, vernetzen die wichtigsten Partner*innen im System und organisieren, gemeinsam mit den Menschen, die für sie passende Betreuung und Pflege. Wir gehen aktiv auf Sie zu und kommen zu einem Hausbesuch vorbei. Wir sind die Unterstützung, um sich im Pflegesystem Österreichs zurechtzufinden und um Versorgungslücken sichtbar zu machen“. Ein weiterer Unterschied wird im Tagesablauf gesehen, so ist die Tätigkeit als Community Nurse mit mehr Eigenverantwortung und Selbstorganisation verbunden, als es aus der „klassischen“ Pflege im Stationsalltag bekannt ist.

Welche Unterstützung bekommen Sie und von wem?

Erfreulicherweise meldeten alle Befragten zurück, dass sie in der Umsetzung breite Unterstützung erfahren. Die beiden Community Nurses erhalten insbesondere von der betreffenden Gemeinde sowie den Gesundheitsdienstleister*innen Hilfe in Bezug auf Informationen zur regionalen Versorgungsstruktur, aber auch zu internen Prozessen und Gegebenheiten oder im Projektmanagement. Jene DGKP, die bei einem Trägerverein, dem Diakoniewerk, angestellt ist, schätzt die langjährige Erfahrung der Organisation und profitiert davon, dass sie sich auf die Arbeit mit den Klient*innen konzentrieren kann, weil das Diakoniewerk etwa bei rechtlichen Fragen, Medienauftritten, der Gestaltung von Info‐ und Werbematerial etc. tätig wird.

Von Trägerseite wird die Einbettung in eine Gesamtstruktur, welche ein etabliertes Sozialunternehmen bieten kann, als unterstützend hervorgehoben.

Was waren Ihre größten Herausforderungen, Enttäuschungen, Hürden, Überraschungen im Projekt bisher?

Während einige Community Nurses die Neugier der Menschen als positive Überraschung erleben, ist es für andere in ihrem Setting ebenso überraschend wie gering das Inter­esse an ihnen und ihrer Tätigkeit etwa von Ärzt*innen sein kann, ebenso die zögerliche Inanspruchnahme der Angebote vonseiten der Bevölkerung. Eine Begründung für Letzteres sieht die Community Nurse aus Innsbruck darin, dass die Bevölkerung wöchentlich über neue Projekte oder neue Anlaufstellen seitens der Presse informiert werde bzw. während der letzten zwei Jahre ermüdet sei und dementsprechend zögerlich auf Neuerungen reagiere.

Die Community Nurses empfinden es als herausfordernd, dass Pflege in der Bevölkerung tabuisiert wird und es noch weit verbreitet ist, dass Hilfe anzunehmen schambehaftet sei. Auch das Angebot in der Zielgruppe sowie bei den Stakeholder*innen bekannt zu machen, stellte zu Beginn eine Hürde dar. Trägerseitig liegt die Challenge in der Komplexität des Gesamtprojekts, in welchem es viele unterschiedliche Arbeitspakete gibt. Aus Sicht der Gemeinde wäre eine Rücksichtnahme auf die länderspezifischen Unterschiede wünschenswert gewesen. Des Weiteren stellt sich die regelmäßig notwendige Erklärung des Aufgaben‐ und Tätigkeitsprofils und die allgemeine Bezeichnung Community Nurse als herausfordernd dar. Die Zeit, die die notwendige Vertrauensbildung bedarf, und die Zeit, welche für die Bewusstseinsbildung der Öffentlichkeit investiert werden muss, sind anderweitige Faktoren, welche Community Nurses derzeit als Herausforderung erleben können.

Als positiv überraschend sieht Reinhold Medicus‐Michetschläger das hohe Maß an Eigenverantwortung der Community Nurses: „Obwohl viele von ihnen aus Arbeitsbereichen kommen, die sehr stark reglementiert sind, ist es ihnen sofort gelungen, in einer projekthaften, sehr flexiblen Arbeitsumgebung wirksam zu werden und ihre Ideen einzubringen!“.

Überraschend war auch der hohe Dokumentationsaufwand im Projekt (Anmerkung: neben der berufsrechtlich verpflichtenden Dokumentation ergibt sich auch ein Dokumentationsaufwand zum Nachweis der Projektaktivitäten gegenüber der Europäischen Kommission und der Förderstelle). Inhaltlich wird in Hinblick auf das Projekt des Diakoniewerks der Fokus auf rechtliche und finanzielle Fragestellungen im Rahmen der Beratungstätigkeit der Community Nurse als unerwartet beschrieben.

Für Enttäuschung sorgt bei den agierenden Community Nurses, dass die Personalkosten bei der Einreichung der Pilotprojekte beim Fonds Gesundes Österreich nicht überall gleichermaßen ausgeschöpft wurden.

Was war/ist für Sie völlig neu und unerwartet?

Die Community Nurses nehmen den großen Gestaltungsspielraum und die hohe Eigenverantwortung im Projekt als unerwartet wahr, allerdings in einem positiven Sinn. Ebenso werden die Stimmen und der Zuspruch aus der eigenen Berufsgruppe als positiv empfunden. „Das macht sehr viel Freude, etwas von den ersten Sätzen auf einem Konzeptpapier bis in die Haushalte der Menschen zu bringen!“, so Reinhold Medicus‐Michetschläger. Neu sind, insbesondere für Pflegepersonen, Aufgaben im Projektmanagement, die Fülle an neuen Instrumenten (Assessments), die Koordination mit externen Dienstleister*innen des Sozial‐ und Gesundheitswesens und die Freiheit der persönlichen Tätigkeitsplanung. Unerwartete Situationen werden als Herausforderung wahrgenommen, welche das Suchen und das Finden kreativer Lösungen oder Lösungswege erfordert. Das Fehlen erprobter Wege in Community Nursing ermöglicht Flexibilität und Kreativität. Speziell die Beziehung zu den Klient*innen wird intensiver als in bisherigen Arbeitsfeldern erlebt. Die Community Nurse aus Dornbirn schildert das Neuartige ihres Tätigkeitsfelds auf folgende Weise: „Neu ist, dass ich mich nach einem Projektplan orientieren kann und nicht nach Standard arbeite wie im Krankenhaus. Völlig neu ist für mich die Freiheit, meine Arbeit selbst einzuteilen und dadurch kreativer sein zu können. Das ist toll“.

Gibt es Vorurteile seitens der Stakeholder*innen, der Bevölkerung etc.?

Alle Befragten gaben an, dass insbesondere zu Projektbeginn Vorurteile bestanden hätten. Diese richteten sich unter anderem gegen den englischen Begriff Community Nursing. Auch gab es Sorgen, dass es Überschneidungen mit bestehenden Strukturen geben könnte. Von mehreren Seiten war zu hören, dass es kritisch gesehen werde, dass dringend gebrauchtes Personal „vom Bett weggeholt wird“. Community Nurse Vanessa Baumgartner setzt dem folgende Gedanken entgegen: „Dazu möchte ich sagen, dass die präventive Herangehensweise des Projektes nachhaltig zu einer Entlastung des Gesundheitswesens sowie der Langzeitpflegeeinrichtungen führen kann. Durch Empowerment zur Erhöhung der Selbstpflegekompetenz sowie zur Stärkung der Resilienz kann Pflegebedürftigkeit verhindert bzw. hinausgezögert werden“.

Bisher ist es durchwegs gut gelungen, auf die relevanten Stakeholder*innen zuzugehen und bestehende Netzwerke zu nutzen. Wichtig ist hierbei gute Information über den Einsatzbereich der Community Nurses. Die Geschwindigkeit der Kontaktaufnahme mit regionalen Akteur*innen im Sozial‐ und Gesundheitswesen und jene der Anknüpfung an sie hängt von bereits etablierten Netzwerken ab, etwa durch ein Care‐Management. Einen positiven Beitrag leistet auch das gemeinsame Hauptinteresse der lokalen Akteur*innen, oder es melden sich sogar Kolleg*innen aus der Pflege, welche nebst positiven Rückmeldungen zum Pilotprojekt auch weiterführende Ideen einbringen. Als essenziell erachten die interviewten Community Nurses den Rückhalt in der eigenen Berufsgruppe.

Ausblick

Die Community Nurses wünschen sich einen erfolgreichen Abschluss des Pilotprojekts Community Nursing und dessen Ausbau in ganz Österreich. Die Bevölkerung soll spürbar vom Projekt profitieren, und die Bewohner*innen einer Gemeinde sollen dadurch mehr an Gesundheit und gesunden Lebensjahren erfahren. Die reibungslose und fächerübergreifende Zusammenarbeit unter den Anbieter*innen von Gesundheitsdienstene soll weiter ausgebaut werden. Das Verständnis und die Verantwortung der Bürger*innen für die individuelle Gesundheit und Prävention sollen gestärkt werden. Durch die Pilotprojekte wird erwartet, dass Rollen und Aufgaben der Community Nurse Anerkennung erfahren und Community Nursing als Bereicherung und wertvolle Ergänzung im Gesundheitswesen erkannt wird. Community Nursing soll ein fixer Bestandteil der gemeindenahen und regionalen Gesundheits‐ und Pflegeversorgung werden und nicht mehr wegzudenken sein. Jede Gemeinde und Stadt ist bemüht, Entscheidungen im Sinne von Prävention und Gesundheitsförderung zu treffen und berücksichtigt dabei die Empfehlungen der Community Nurses.

Die demografische Entwicklung, verbunden mit dem bereits bestehenden Personalmangel in den Gesundheitsberufen, verlangt veränderte, integrierte Versorgungsstrukturen. Durch die Einführung von Community Nurses kann sowohl die Gesundheit als auch die Betreuungs‐ und Versorgungsqualität der Bevölkerung, insbesondere der älteren Bürger*innen nach internationalen Beispielen sichtlich verbessert werden. Auch Problemlagen des Alters wie etwa Einsamkeit und soziale Isolation oder Verlust der Selbstständigkeit können somit reduziert werden. Durch Community Nurses werden die oft hervorgehobenen, jedoch selten realisierten Potenziale der Gesundheitsförderung und Prävention, des interprofessionellen Handelns und der Selbstständigkeit sowie die in diesem Sinne gesetzten Maßnahmen wie beispielsweise aufsuchende Beratung oder präventive Hausbesuche realisiert. Außerdem werden die Expertise und die Kernkompetenzen des gehobenen Dienstes für Gesundheits‐ und Krankenpflege für die Gesundheit der Bevölkerung in Gestalt der Community Nurse maximal genutzt. Ein weiterer Effekt von deren Einführung ist die Verringerung und Beseitigung von Versorgungslücken.

Damit die Community Nursing‐Pilotprojekte im österreichischen Kontext erfolgreich umgesetzt werden, sind aber vor allem die intersektorale und ‐professionelle Kooperation und Abstimmung von großer Bedeutung. Auch eine grundsätzliche Diskussion über die Zukunft der Gesundheitsberufe muss geführt werden, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Aus‐, Fort‐ und Weiterbildung, um die beruflichen Kompetenzen und Tätigkeitsfelder zu öffnen und entsprechend anzupassen. Letztlich tragen auch die Projekte die Verantwortung für das Gelingen der Etablierung von Community Nursing in Österreich, und sie werden schließlich zeigen, ob und unter welchen Rahmenbedingungen es hierzulande erfolgreich sein kann.

Abschließend noch drei Zitate zum „Mitnehmen“

„Für das Projekt wünsche ich mir, dass wir möglichst viele Menschen in den Gemeinden erreichen und diese durch unser Angebot profitieren. Wenn es gelingt, für die Menschen konkrete Verbesserungen in der Versorgungssituation zu erreichen, sollte das Projekt unbedingt in eine Regelfinanzierung übergehen. Für die Gemeinde wünsche ich mir, dass bestehende Versorgungslücken im Rahmen des Projektes nicht nur aufgedeckt werden, sondern dass diese Versorgungslücken auch gedeckt werden können. Dafür wird es den Zusammenschluss vieler benötigen. Für die Pflege in Österreich wünsche ich mir, dass sie und ihre Bedeutung für uns als Gesellschaft gesehen und gehört wird!“ (Community Nurse Vanessa Baumgartner)

„Für die Pflege in Österreich wünsche ich mir einen echten, tiefgreifenden Systemwandel. Das Denken in starren Silos wie stationär oder mobil wird schon in wenigen Jahren nicht mehr ausreichen, wir werden gemeinsam ganz neue Formen der Begleitung im Alter entwickeln müssen. Da haben wir noch viel zu tun, aber Community Nursing ist ein erster Schritt. Aus diesem Grund hoffe ich sehr, dass es nach der Pilotphase eine dauerhafte Ausrollung geben wird. Wir werden in den nächsten zweieinhalb Jahren jedenfalls mit voller Kraft dafür arbeiten!“ (Community Nurse Reinhold Medicus‐Michetschläger)

„Für die Gemeinde wünsche ich mir, dass unser Angebot nach der Pilotphase bestehen bleibt und finanziert werden kann. Ich denke, wir werden ein gutes Angebot schaffen und zum Lückenschluss in der wohnortnahen Versorgung beitragen. Für die Pflege in Österreich wünsche ich mir, dass endlich Taten folgen zu den jahrelangen Versprechungen, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Genügend Personal zu finden und dieses zu binden ist eine schwierige Aufgabe und kostet Geld. Aber das muss es der Gesellschaft wert sein. Die gerade verabschiedete Pflegereform ist vielleicht ein Tropfen auf den heißen Stein, aber alles andere als ein großer Wurf, der auch langfristig nichts ändern wird, vor allem wenn man das Ausbildungsniveau senkt und gleichzeitig mehr Kompetenzen vergeben will. Das kann in meinen Augen nicht funktionieren. Abschließend wünsche ich mir noch, dass es die Berufsgruppe besser schafft, gemeinsam aufzutreten, und sich nicht dauernd selbst infrage zu stellen“ (Community Nurse Felix Binder)

 

 

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Literatur

BMSGPK (2021). Sonderrichtlinie für den österreichischen Aufbau- und Resilienzplan – Maßnahme Community Nursing gem. VO 2021/241, Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, Wien

Bundeskanzleramt (2020). Aus Verantwortung für Österreich. Regierungsprogramm 2020-2024 [online]. Bundeskanzleramt Österreich, Wien

Rappold, E. et al. (2022). Community-Nursing-Pilotprojekt im Rahmen des österreichischen Aufbau- und Resilienzplans 2020-2026. In: Case Management 02/2022/:5

Rappold, E., Juraszovich, B., Weißenhofer, S., Edtmayer, A. (2021). Taskforce Pflege, Begleitung des Prozesses zur Erarbeitung von Zielsetzungen, Maßnahmen und Strukturen. Gesundheit Österreich, Wien

Schaffer, M.A., Strohschein, S. (2019). Public Health Interventions: Applications for Nursing Practice, 2nd Edition. (“The Wheel Manual”). Minnesota Department of Health

UN (2015). Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, Resolution der Generalversammlung, verabschiedet am 25.

September 2015

Zur Person

Weiterführende Informationen

Infobox: Allgemeine Projektinformationen auf einen Blick

Projektlaufzeit: 2022–2024

  • Gesamt 54,2 Mio. Euro stehen Österreich seitens der Europäischen Kommission für die Umsetzung von Community Nursing gemäß dem österreichischen Aufbau‐ und Resilienzplan (ARP) zur Verfügung
  • Insgesamt 145 Anträge aus allen Bundesländern wurden eingereicht
  • Ziel war es, mindestens 150 Community Nurses zu etablieren
  • 91 E‐Autos und 35 E‐Bikes können gefördert werden und helfen dabei, Community Nursing mit umweltfreundlicher Mobilität zu verbinden

Infobox GÖG: Die Gesundheit Österreich GmbH ist das nationale Forschungs‐ und Planungsinstitut für das Gesundheitswesen und die Kompetenz‐ und Förderstelle für Gesundheitsförderung in Österreich. Die Abteilung Langzeitpflege widmet sich intensiv den Themen Pflege und Betreuung. Im Mittelpunkt ihrer Arbeiten stehen die Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit Pflege‐ und Betreuungsbedarf, die dafür zu sichernden Strukturen, Kompetenzen und Ressourcen.

Infobox SDG: Die Sustainable Development Goals gelten weltweit und haben zum Beispiel das Ziel, Armut und Ungleichheit zu bekämpfen sowie zu gewährleisten, dass alle Menschen gut leben können. Bis 2030 sollen 17 Ziele umgesetzt werden (vgl. Take Action for the Sustainable Development Goals – United Nations Sustainable Development).

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