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Fatima Spahic, Doris Eglseer, Wolfgang Strobl, Daniela Schoberer, Manuela Hödl, Eva Pock
Living Lab
Eine Form der innovativen Zusammenarbeit im Pflegeheim zwischen Praxis und Forschung zum Thema Schmerz und Lebensqualität

Die Entwicklung eines Living Labs in einem österreichischen Pflegeheim ermöglicht es, durch die Zusammenarbeit zwischen Pflegepraxis und -wissenschaft, relevante Praxisprobleme zu identifizieren und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Im Rahmen eines ersten Schrittes wird eine Forschungsstudie zu den Themen Lebensqualität, Schmerz und schmerzbezogene Lebensqualität bei Pflegeheimbewohner*innen durchgeführt. Erste Ergebnisse sind im Spätsommer 2023 zu erwarten.

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Einleitung

Eine evidenzbasierte Versorgung kann nachweislich zur Verbesserung von Behandlungsergebnissen, Reduktion von Mortalität und Morbidität sowie zum Anstieg der Lebensqualität von Patient*innen bzw. Pflegeheimbewohner*innen führen (Spasova et al., 2018, Spooner et al., 2018). Trotz der zahlreichen Vorteile gibt es weiterhin häufig Schwierigkeiten bei der Implementierung von evidenzbasierten Interventionen in Pflegeheimen, z. B. aufgrund von fehlenden zeitlichen und personellen Ressourcen, oder mangelnder organisatorischer Unterstützung (Abbott et al., 2022). Ein Living Lab bietet ein Umfeld für die Praxis und Forschung, in dem Praxisprobleme gemeinsam diskutiert und relevante Lösungen erarbeitet werden (Bergvall-Kareborn & Stahlbrost, 2009, Verbeek et al., 2020). Das Projekt zur Entwicklung des ersten Living Labs in einem österreichischen Pflegeheim hat offiziell im Juni 2022 begonnen. Dabei arbeiten Pflegepersonen und Forscher*innen einmal wöchentlich zusammen im Pflegeheim. Innerhalb der fünfjährigen Projektlaufzeit sollen praxisrelevante Themen im Rahmen von Forschungsstudien untersucht und Lösungen erarbeitet werden.

Lebensqualität und Schmerz in der Langzeitpflege

Es gibt verschiedene Definitionen für Lebensqualität in der Literatur, um jedoch eine adäquate Bedeutung für dieses Setting sicherzustellen, leitet sich unsere Definition aus dem Modell von Kelley-Gillespie (2009) ab. Die Autorin formulierte sechs Domänen, welche sich auf die Wahrnehmung der Lebensqualität älterer Menschen auswirken können. Dazu zählen soziales, körperliches, psychologisches, spirituelles, kognitives und ökologisches Wohlbefinden. Personen im eigenen Zuhause weisen häufig eine höhere Lebensqualität auf als Pflegeheimbewohner*innen, z. B.  aufgrund von vorhandener familiärer Unterstützung im häuslichen Umfeld (Doosti-Irani et al., 2018, Hedayati et al., 2014, Olsen et al., 2016). Mehrere medizinische Diagnosen sowie depressive Symptome oder Schmerzen wirken sich negativ auf die Lebensqualität aus (Brandauer et al., 2020). Schmerz wird als eine unangenehme sensorische, emotionale und persönliche Erfahrung definiert, die von verschiedenen biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren beeinflusst wird (IASP, 2020). Das Vorhandensein von Schmerzen und das Schmerzmanagement sind zentrale Aspekte der pflegerischen Versorgung von Bewohner*innen. Eine in österreichischen Pflegeheimen durchgeführte Umfrage ergab, dass 40,4 % der teilnehmenden Bewohner*innen (N=1239) innerhalb von sieben Tagen vor und/oder zum Zeitpunkt der Erhebung Schmerzen hatten. Von diesen Bewohner*innen litten 85,9 % an chronischen Schmerzen (Osmancevic & Bauer, 2022). Eine hohe Schmerzprävalenz bei Bewohner*innen wurde auch in internationalen Studien festgestellt (Sjölund et al., 2021, Stompór et al., 2019). Des Weiteren besteht Verbesserungspotenzial hinsichtlich des Schmerzmanagements(Herr et al., 2019). Das Vorhandensein von Schmerzen bei Bewohner*innen hängt nachweislich mit einer gesteigerten Pflegeabhängigkeit (Steenbeek et al., 2021) und einer abnehmenden Lebensqualität zusammen (Helvik et al., 2022).

Im Rahmen der Entwicklung dieses Living Labs arbeitet ein interprofessionelles Team bestehend aus Pflegepersonen, dem Management, Forscher*innen und Bewohner*innen zusammen. Die Themen Schmerz und Lebensqualität wurden in diesem Pflegeheim als zentrales Thema für die tägliche pflegerische Praxis identifiziert. Ziel ist es die Themen Schmerz, Lebensqualität und schmerzbezogene Lebensqualität der Bewohner*innen dieses Pflegeheims, auf der Grundlage des konzeptionellen Modells der Lebensqualität für ältere Menschen von Kelley-Gillespie (2009), als ersten Schritt, zu untersuchen.

Methode

Design, Setting, Stichprobe

Es wird ein Mixed-Methods-Ansatz, bei dem sowohl quantitative (Fragebögen) als auch qualitative Daten (Interviews) erhoben und analysiert werden, verfolgt. Darüber hinaus wird eine Prozessevaluierung zur Qualitätssicherung des Living Labs durchgeführt. Die Studie wird in einem österreichischen Pflegeheim, mit ca. 120 Bewohner*innen in drei Wohnbereichen sowie 100 Mitarbeiter*innen, durchgeführt. Die Daten wurden nach Einholung der Einverständniserklärung zwischen Februar und März 2023 erhoben.

Ethische Aspekte

Die Grundsätze der Deklaration von Helsinki werden eingehalten. Es liegt ein positives Votum der Ethikkommission der Medizinischen Universität Graz (35093 ex 22/23) vor. Alle Teilnehmer*innen oder deren gesetzliche Vertretung müssen vorab schriftlich ihre informierte Zustimmung geben. Personenbezogene Daten werden pseudo-anonymisiert mittels eines CODEs verarbeitet.

Datenerhebung

Quantitativ (Fragebogen)

Die quantitative Datenerhebung wird von zwei Forscherinnen und einer Pflegeperson durchgeführt. Zu Beginn wird der Grad der kognitiven Einschränkung der Bewohner*innen mittels Mini-Mental-Status-Test (MMST) (Folstein et al., 1975) gemessen. Anschließend wählen diese, basierend auf der erreichten MMST-Punkteanzahl, zwischen dem Pain Assessment in Impaired Cognition (PAIC; MMST < 18) oder der Numerischen Rating-Skala (NRS; MMST 18-30) aus. Beide Skalen sind psychometrisch überprüft und werden international zur Erhebung der Schmerzintensität empfohlen (Breivik et al., 2008, Corbett et al., 2014).

Die Lebensqualität der Bewohner*innen wird anhand der Older People Quality of Life (OPQOL-brief) erhoben (Bowling et al., 2013). Dieser Fragebogen ist psychometrisch getestet und wird international verwendet. Eine deutsche Version wurde mithilfe der Empfehlung der International Society for Pharmacoeconomics and Outcomes Research (ISPOR) entwickelt (Wild et al., 2005). Bei Personen mit einem MMST-Score <18 wird dieser Fragebogen durch eine Person ausgefüllt, die sehr vertraut mit dem bzw.der Bewohner*in ist (z. B. durch eine Pflegeperson oder Angehörige).

Schmerzprävalenz und -management werden mit dem standardisierten, überprüften Fragebogen aus der Pflegequalitätserhebung (PQE) erhoben (Lohrmann, 2022).

Qualitativ (Interviews)

Die Interviews mit Bewohner*innen zur schmerzbezogenen Lebensqualität führen zwei trainierte Pflegewissenschafterinnen und eine studentische Assistentin. Dazu wurde ein eigens erstellter semistrukturierter Interviewleitfaden, dessen Fragen auf den sechs Domänen von Kelley-Gillespie (2009) basieren, genutzt.

Prozessevaluierung

Abschließend wird eine Prozessevaluierung durchgeführt, um die Erfahrungen der Bewohner*innen und Pflegepersonen hinsichtlich Teilnahme und Datenerhebung zu evaluieren. Dazu wird der Research Participant Perception Survey (Kost & de Rosa, 2018) genutzt, welcher nach den ISPOR-Kriterien auf Deutsch übersetzt wurde (Wild et al., 2005). Die Ergebnisse sollen anschließend dazu genutzt werden, zukünftige Forschungsstudien zu optimieren.

Datenanalyse

Die quantitativen Daten werden mithilfe von IBM SPSS Statistics V27 (Corp., 2020) analysiert. Deskriptive Statistik wird zur Beschreibung der Stichprobe, der Bewertung der MMST-Gesamtpunktezahl, der Schmerzprävalenz und -intensität, des Schmerzmanagements sowie für die Ergebnisse des OPQOL-Fragebogens durchgeführt. Ein p-Wert von <0,05 wird als statistisch signifikant angesehen. Die qualitativen Daten werden mithilfe der von MAXQDA 2022 (VERBI Software, 2021) anhand der Inhaltsanalyse nach Schreier (2012) analysiert.

Fazit

Bislang konnten mehr als 25 Bewohner*innen mittels Fragebögen und Interviews befragt werden. Bis Ende März fand die Datenerhebung statt um anschließend mit der Datenanalyse zu beginnen. Erste konkrete und detaillierte Ergebnisse sind im Spätsommer 2023 zu erwarten.

 

 

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Zur Person

Fatima Spahic ist als studentische Mitarbeiterin beim Living Lab-Projekt tätig und untersucht die Themen Langzeitpflege, Demenz und Schmerz. Zudem ist sie DGKP am LKH-Univ. Klinikum Graz und derzeit im Masterstudium Pflegewissenschaft an der Med Uni Graz.

Doris Eglseer ist promovierte Pflegewissenschafterin und Diätologin am Institut für Pflegewissenschaft der Medizinischen Universität Graz. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf Mangelernährung bei unterschiedlichen Personengruppen (z. B. in der Geriatrie), Sarkopenie und in diesem Projekt auf dem Kontext der Langzeitpflege.

Wolfgang Strobl ist Diplomsozialbetreuer (Schwerpunkt Altenarbeit) und seit 2014 im Caritas Pflegewohnhaus Graz St. Peter als Wohnbereichsleitung beschäftigt. Er arbeitet einmal wöchentlich gemeinsam mit den Wissenschafter*innen am Projekt.

Daniela Schoberer ist promovierte Pflegewissenschafterin am Institut für Pflegewissenschaft der Med Uni Graz. Ihr derzeitiger Forschungsschwerpunkt liegt auf dem Gebiet Sturzprävention sowie auf der evidenzbasierten Versorgung von Pflegeheimbewohner*innen.

Manuela Hödl ist promovierte Pflegewissenschaftlerin und am Institut für Pflegewissenschaft der Med Uni Graz tätig. Ihre Schwerpunkte liegen im Bereich COVID-19, Inkontinenz, und chronische Wunden bei Menschen in der Langzeitpflege. Sie ist Leiterin dieses FWF-geförderten Fünf-Jahres-Projekts.

Eva Pock ist Doktorandin am Institut für Pflegewissenschaft an der Med Uni Graz und als Mitarbeiterin für dieses Projekt angestellt. Als „Scientific Linking Pin“ arbeitet sie im Projekt hauptsächlich am Thema Schmerz, welches auch der Schwerpunkt ihrer Doktorarbeit ist.

Kontaktperson

Fatima Spahic1, BScN

Projektmitarbeiterin

1Institut für Pflegewissenschaft, Medizinische Universität Graz, Neue Stiftingtalstraße 6/P06 WEST, 8010 Graz, Austria.

Telefon: 0043 316 385 72151

Email: fatima.spahic@medunigraz.at

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