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Sabine Ruppert, Patrik Heindl
Die Rolle von Pflegepersonen bei assistiertem Suizid im internationalen Vergleich

In den letzten beiden Beiträgen haben wir die Herausforderungen des assistierten Suizids in der Pflegepraxis skizziert. Nun möchten wir in diesem Artikel beleuchten, welche Rolle Pflegepersonen in anderen Ländern bei assistiertem Suizid spielen. Die Rolle der Pflegepersonen wird nur in einigen Ländern wissenschaftlich untersucht. Möglicherweise liegt der Grund darin, dass in Diskussionen über assistierten Suizid und Euthanasie von vielen Beteiligten und sogar Expert*innen die Meinung vertreten wird, dass Pflegepersonen in diesen Prozessen keine Rolle spielen. Assistierter Suizid wird als Ereignis gesehen, dass entweder nur die ausführende Person und die Menschen, die sie als Unterstützter*innen wählt, betrifft oder – je nach nationaler Regelung – die bzw. den durchführende*n Ärztin bzw. Arzt und den bzw. die  Patient*in und meist zu Hause oder wie beispielsweise in der Schweiz in einem angemieteten Zimmer stattfindet.

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Es gibt weltweit einige Länder, in denen assistierter Suizid erlaubt bzw. straffrei gestellt wird, in manchen Ländern auch noch Euthanasie. Recherchen auf diversen Plattformen (u. a. Deutsche Stiftung Patientenschutz, Dignitas, Lebensschutz in Rheinland-Pfalz) ergaben, dass assistierter Suizid in Europa in der Schweiz, in Deutschland, Österreich, Schweden, Estland, Finnland und England straffrei ist, in Spanien, Niederlande, Belgien und Luxemburg sowohl assistierter Suizid als auch Euthanasie. Eine Gesetzesänderung ist in Portugal geplant. International ist in einigen Bundesstaaten in den USA und Australien assistierter Suizid straffrei, ebenso in Neuseeland. In Kanada ist sowohl assistierter Suizid als auch Euthanasie möglich, wobei dort auch eine Advanced Practice Nurse darüber entscheiden kann.

In diesem Artikel liegt der Schwerpunkt auf assistiertem Suizid, aber wie oben ersichtlich ist, sind oftmals Euthanasie und assistierter Suizid in einem Land straffrei. Es gelten dann die gleichen gesetzliche Regelungen für beide, obwohl grundsätzlich aus ethischer, rechtlicher und moraltheologischer Sicht ein deutlicher Unterschied zwischen Euthanasie und assistiertem Suizid besteht, da bei Euthanasie die Tötung durch eine andere Person erfolgt. Aus den Niederlanden ist aber bekannt, dass die hohe Zahl an durchgeführten Euthanasien im Vergleich zur geringen Zahl an assistierten Suiziden (Jahresbericht Euthanasiekommission 2021: 7459 Meldungen von Euthanasie, 189 Fälle von assistiertem Suizid, 18 Fälle einer Kombination von beidem) auf praktischen ärztlichen Erwägungen beruht. Viele Ärzt*innen wählen die intravenöse Verabreichung, da dies besser zu dosieren und handzuhaben ist und Komplikationen aufgrund zu geringer Absorption per os oder Erbrechen reduziert werden. Es spielt daher die ethische Begründung keine Rolle, d. h. ob durch einen assistierten Suizid die Autonomie des Betroffenen mehr hervorgehoben bzw. betont wird als durch die Euthanasie. Für die Rolle der niederländischen Pflegepersonen bedeutet dies, dass bei Euthanasie in den meisten Fällen Pflegepersonen hinzugezogen werden, da der –intravenöse Zugang von diesen gelegt wird. Beim assistierten Suizid ist aufgrund der Verabreichungsart das Hinzuziehen von Pflegepersonen nicht in demselben Ausmaß nötig.

Bei Gesetzesentwürfen werden Pflegepersonen bzw. die Berufsverbände kaum oder gar nicht miteinbezogen. Als Beispiel soll hier die Niederlande angeführt werden. Van Bruchem et al. (2004) beschreiben zu Beginn ihres Studienberichtes die Rolle der Pflege in der Entwicklung der Euthanasiepraxis. Zu Beginn der Diskussion wurden vor allem die medizinischen Aspekte betrachtet. In der politischen, gesellschaftlichen und professionellen Diskussion über Euthanasie und assistierten Suizid kam die Rolle der Pflege nur marginal zur Sprache. Die Staatskommission Euthanasie erkannte zwar bereits 1985 die Rolle der Pflegepersonen an, hielt aber eine gesetzliche Verankerung für nicht nötig. Proteste der damaligen Interessenvertretung der Pflege mündete bereits 1987 in einer gemeinsamen Richtlinie mit der niederländischen Ärztekammer betreffend der Zusammenarbeit und Aufgabenteilung zwischen Pflegepersonen und Ärzt*innen bei der Vorbereitung und Durchführung der Euthanasie. Diese wurde immer wieder aktualisiert, zuletzt 2006. In der weiteren Entwicklung des niederländischen Euthanasiegesetzes, das auch den assistierten Suizid regelt, wurde zwar immer wieder über die Rolle der Pflege diskutiert, aber letztendlich nie explizit angeführt – mit dem „üblichen“ Argument, dass dies eine rein ärztliche Tätigkeit sei. Das Gesundheitsministerium hat zumindest eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die die Rolle der Pflegepersonen bei medizinischen Entscheidungen am Lebensende untersuchten sollte (Van Bruchem et al., 2004).

Grundsätzlich ist die Rolle der Pflege bei assistiertem Suizid in den verschiedenen Ländern schwierig zu vergleichen, da Gesundheitssysteme und die Verankerung der Pflege in diesen sowie die Gesetze und Regelungen zu assistiertem Suizid unterschiedlich sind. So werden assistierte Suizide in der Schweiz und in Deutschland durch Sterbehilfevereine durchgeführt. Die betroffenen Menschen müssen zuerst Mitglieder in diesen werden, dies kann jedoch schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt und auch schon vor Eintritt einer lebenslimittierenden Erkankung geschehen. In den Benelux-Staaten ist die Durchführung des assistierten Suizides (und der Euthanasie) im Regelgesundheitssystem verankert, d. h. die betroffenen Menschen müssen ihre*ihren behandelnde*n Ärztin bzw. Arzt darum bitten und diese*dieser entscheidet unter Hinzuziehen einer zweiten unabhängigen Ärztin bzw. eines zweiten unabhängigen Arztes individuell und kann letztendlich diesen Wunsch auch ablehnen. In Österreich findet kein derartiger Entscheidungsprozess statt, lediglich eine Beratung durch eine Ärztin bzw. einen Arzt und eine Palliativmedizinerin bzw. einen Palliativmediziner und eine Bestätigung der gesetzlichen Grundlagen (Freiwilligkeit, kognitive Fähigkeit, lebenslimitierende oder chronische Erkrankung) sowie danach die Errichtung einer Sterbeverfügung bei einer Notarin bzw. einem Notar. In Kanada werden Menschen mit dem Wunsch nach assistiertem Suizid durch ein Team bestehend aus Ärzt*innen, Pflegepersonen und Sozialarbeiter*inen mit der Beratung und Begleitung betreut. In den Benelux-Staaten ist genau geregelt, dass nur Ärzt*innen den assistierten Suizid durchführen bzw. begleiten dürfen, welche Medikamente sie verwenden dürfen, und wie die Dokumentation und Überprüfung danach zu erfolgen hat. In Österreich ist mit der Abgabe der Medikamente jegliche gesetzliche Regelung zu Ende und die Einnahme und Begleitung während des assistierten Suizids ist jeder betroffenen Person selbst überlassen.

Ist es nun aber tatsächlich so, dass Pflegepersonen bei assistiertem Suizid keine Rolle spielen? Dieser Ansicht kann grundsätzlich widersprochen werden, da in allen oben angeführten Ländern assistierter Suizid nur bei Menschen mit lebenslimitierender Erkrankung und eingeschränkter Lebenserwartung erlaubt ist. Dies bedeutet in der Praxis, dass Menschen, die den assistierten Suizid als letzten Ausweg für sich wählen, schon in Kontakt mit professioneller Pflege gekommen sind, wodurch Pflegebeziehungen entstehen. Aufgrund dessen kennen Pflegepersonen diese Menschen sehr gut, sie wissen über die Werte, Normen, Bedürfnisse, Wünsche und auch familiäre Beziehungen Bescheid. Aufgrund des engen Beziehungsverhältnisses zu den Patient*innen und ihres spezifischen Wissens sollen Pflegepersonen an Entscheidungsprozessen über assistierte Suizide einbezogen werden. Dies wird u. a. in Belgien und Kanada berücksichtigt.

Aber schon einen Schritt davor spielen Pflegepersonen eine wichtige Rolle. In vielen Fällen äußern Menschen den Wunsch nach assistiertem Suizid zuerst gegenüber Pflegepersonen. Es hängt vielleicht auch von der Reaktion und Beratung der Pflegepersonen ab, welchen Weg die betroffene Person weiter einschlägt. Dieser Aspekt wird in keinem der Länder direkt berücksichtigt.

Bei der Durchführung des assistierten Suizides können Pflegepersonen involviert sein, abhängig von den gesetzlichen Bestimmungen, aber auch den Kontexten, in denen die Pflegepersonen tätig sind. So zeigte sich in niederländischen Untersuchungen, dass es Unterschiede in Bezug auf die Rolle der Pflegepersonen gibt in Abhängigkeit ihrer Tätigkeit bzw. der Einrichtung, in der sie tätig sind. Die Information von Pflegepersonen, die in der Hauskrankenpflege tätig sind, ist oft unzureichend bzw. sogar fehlend. Diese Pflegepersonen sind auch seltener anwesend bei der Durchführung und es treten mehr Konflikte mit den Ärzt*innen auf  (Ruppert, 2006). Aus den Daten der schweizerischen und deutschen Sterbehilfevereine ist nicht ersichtlich, welcher Berufsgruppe die Freiwilligen angehören, die bei den assistierten Suiziden anwesend und unterstützend tätig sind. Pflegepersonen können unterstützen in der Vorbereitung der Medikamente, aber auch beim Setzen des Zugangs, wenn assistierter Suizid mittels intravenöser Infusion durchgeführt wird, die die sterbewillige Person dann selbst startet. Aus den Zahlen der Plattform ASCIRS (Berichts- und Lernsystem der Österreichischen Palliativgesellschaft), die im Jänner 2023 veröffentlicht wurden, ist in drei von 23 gemeldeten Fällen eine Pflegeperson beim assistierten Suizid anwesend gewesen. Welche Tätigkeiten diese Pflegepersonen dabei durchführten, wird nicht angegeben. Aus Studien in den Niederlanden ist bekannt, dass Pflegepersonen sowohl in der Vorbereitung als auch in der Durchführung involviert sind. Bei der Durchführung sind die Hauptaufgaben der Pflegepersonen die Begleitung der Patient*innen und deren Angehörigen sowie die Unterstützung der Ärztin bzw. des Arztes.

Einen wichtigen Part übernehmen Pflegepersonen auch in der Betreuung von Angehörigen nach dem assistierten Suizid. Dies ist natürlich abhängig vom Kontext, in dem die Pflegepersonen tätig sind als auch vom Gesundheitssystem, in dem möglicherweise eine Trauerbegleitung von Angehörigen grundsätzlich vorgesehen ist.

Abschließend soll noch darauf eingegangen werden, welche Auswirkungen die Mitwirkung der Pflegepersonen auf diese hat. Diesbezüglich weisen Studien aus Belgien, Niederlande und Kanada darauf hin, dass die Begleitung von Personen bei assistiertem Suizid für die betreuenden Pflegepersonen emotional sehr belastend ist, obwohl sie es freiwillig tun und auch als ihre Aufgabe sehen. Assistierter Suizid ist nämlich in allen Ländern, die ihn straffrei stellen, eine Handlung, die Gesundheitsberufe auch ablehnen können, sofern deren Mitbeteiligung im Gesetz vorgesehen ist. Ein Aspekt des assistierten Suizides – nämlich die Planung des Todes und die definitive Bestimmtheit des Todeszeitpunktes – ist ebenso belastend für die Pflegepersonen, da dies nicht der üblichen Sterbebegleitung entspricht.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass aufgrund der Erfahrungen in Ländern, in denen assistierter Suizid möglich ist, Pflegepersonen in allen Phasen des assistierten Suizids (Anfrage, Entscheidungsprozesse, Durchführung, Nachsorge) eine Rolle spielen. Aufgrund der Zeit, die sie mit den ihnen anvertrauten Menschen verbringen und des daraus resultierenden Wissens, sollten Pflegepersonen offen und transparent in den Prozess des assistierten Suizids miteinbezogen werden, da sonst ihr Wissen über die Nöte und Sorgen des Betroffenen und ihre Kenntnisse über den Prozess, der zur Entwicklung eines Sterbewunsches geführt hat, verloren geht. Bei der Durchführung des assistierten Suizids können durch den Einbezug von Pflegepersonen die durchführende Person und vor allem mögliche anwesende Angehörige professionell begleitet werden. Dieser Einbezug muss aber freiwillig von Seiten der Pflegepersonen erfolgen und deren fachliche Kompetenzen betreffend ethischer Entscheidungen am Lebensende müssen vorhanden bzw. gefördert werden. Rechtliche Grundlagen für das Handeln der Pflegepersonen und eine Unterstützung bei der Verarbeitung der Emotionen müssen vorhanden sein.

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Zur Person

Mag.a Sabine Ruppert, DGKP

Pflegewissenschafterin, diplomierte Erwachsenenbildnerin, Ethikberaterin im Gesundheitswesen (AEM)

Externe Lektorin und Vortragende an vers. Bildungseinrichtungen

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