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Martin Herberg
Humor in der Betreuung von Menschen mit Demenz
Teil 2: Was man mit Humor bewirken kann

Humor ist einer der wichtigsten Verbündeten der Betreuungskräfte. Seine Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig. Fünf Funktionen von Humor sollen im Folgenden erörtert werden. In der Betreuung demenziell veränderter Menschen dient Humor als Mittel der Motivation, als Puffer gegen Scham, als heiterer Kreativitätsförderer, als Ventil für negative Emotionen und als Mittel, aufgeladene Situationen spielerisch aufzulösen. Erfahrene Betreuungskräfte beherrschen die Kunst, das therapeutische Potential von Humor in einer flexiblen, personenzentrierten und situationsadäquaten Weise zum Einsatz zu bringen.

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Die Demenzversorgung hat ihr Gesicht verändert. Während Menschen mit Demenz in der Vergangenheit oft vernachlässigt wurden, gibt es heute in vielen Einrichtungen spezielle Betreuungskräfte, die sich um die Betroffenen kümmern und mit ihnen Aktivierungen durchführen (z.B. Gymnastik, Basteln, Gedächtnistraining, Musizieren). Ein wichtiger Erfolgsfaktor hierbei ist Humor. Im ersten Teil meiner Ausführungen bin ich darauf eingegangen, wie der Humor demenziell erkrankter Menschen sich verändert. Er wird kindlicher, teilweise auch gröber und manchmal verletzend. Dennoch bleibt der Humor eine wichtige salutogenetische Ressource. Zur Professionalität der Betreuungskräfte gehört es, sich auf die krankheitsbedingten Veränderungen einzustellen und die Ressource Humor optimal zum Einsatz zu bringen.
Im Folgenden werde ich fünf wichtige therapeutische Funktionen von Humor erörtern und diese anhand von ausgewählten Beispielen veranschaulichen:

  1. Humor als Motivationsquelle. Erfahrene Betreuungskräfte achten darauf, dass bei den Aktivierungen keine angespannte oder verkrampfte Atmosphäre herrscht. Um die Gruppenmitglieder zum Mitmachen zu motivieren und sie bei Laune zu halten, bemühen sie sich um eine lustige und mitreißende Stimmung. Das Spektrum der Humor-Techniken, die hierbei zum Einsatz kommen, ist breit. Bewährt haben sich lustige Requisiten, etwa Gegenstände zur Erzeugung alberner Geräusche, lustige Hüte und niedliche Handpuppen. Engagierte Betreuungskräfte erfinden heitere und fantasievolle Bewegungsgeschichten für die Gymnastikstunden. Sie verwenden verballhornte Redewendungen für die kognitive Aktivierung, und sie animieren die Teilnehmenden, Grimassen zu schneiden und Tierstimmen zu imitieren (Hänni 2008). Das gemeinsame Lachen wirkt entkrampfend, und es erzeugt eine positive Gruppendynamik.
  2. Humor als Puffer gegen Scham. Damit die Aktivierungen für die Teilnehmenden machbar sind, muss man sie sehr einfach gestalten. Dies ist mit der Gefahr verbunden, dass die Betroffenen sich gedemütigt fühlen. Humor kann helfen, der Entstehung peinlicher Situationen vorzubeugen. Ich möchte dies kurz anhand von zwei Beispielen veranschaulichen. Fall 1: Eine Praktikantin führt eine Übung durch, bei der Wollknäuel nach Farbe und Größe geordnet werden sollen. Ein älterer Herr ruft empört: „Wir sind doch keine Idioten!“ – Und als Kontrast dazu Fall 2: Die Betreuerin macht mit den Leuten eine Übung, bei der echte Lebensmittel von Lebensmittelattrappen unterschieden werden sollen. Die mitgebrachten Attrappen – Obst und Gemüse aus Plastik, eine Torte aus Pappmaché, ein japanisches Nudelgericht aus Wachs – sind so kurios, dass schnell eine fröhliche Stimmung entsteht. Die Aktivität wird nicht als peinlich empfunden, sondern als erfrischend und unterhaltsam.
  3. Humor als heiterer Kreativitätsförderer. „Heiterkeit ist der Himmel, unter dem alles gedeiht“, sagte einst der Schriftsteller Jean Paul. Erfahrene Betreuungskräfte erzeugen eine Stimmung, in der die Betreuten zu eigenen lustigen Ideen animiert werden. Dies führt zu fröhlichen Momenten erlebter Selbstkompetenz. Beispiel: Die Betreuungskraft stellt Fragen aus dem Kinderspiel „Haste Worte“. Sie stellt die Fragen mit einem schelmischen Lächeln und animiert die Teilnehmenden zu scherzhaften Antworten. Auf die Frage: „Was kann schmelzen?“ antwortet jemand: „Ich, als ich meinen Mann kennengelernt habe“. Und auf die Frage: „Ein anderes Wort für Streit?“ kommt von einer anderen Bewohnerin die Antwort: „Ehe“. Alle haben viel Spaß.
  4. Humor als Ventil. Menschen mit Demenz haben viele Probleme. Ihre Humor-Äußerungen sind nicht immer ‘lieb‘. Oft kommt es zu sarkastischem und grobem Humor. Erfahrene Betreuungskräfte sind den Betroffenen deswegen nicht böse. Sie betrachten sarkastische Äußerungen der Bewohner*innen als Ausdruck humorvoller Selbstbehauptung. Der Demenzforscher Inger Moos erwähnt das Beispiel eines älteren Herrn, der den Schwestern Grimassen schnitt und ihre Stimmen nachmachte. Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, dass er dies immer dann tat, wenn die Schwestern in einem bevormundenden Tonfall mit ihm sprachen oder ihn zu etwas zu überreden versuchten (Moos 2011). Wie das Beispiel zeigt, ist vieles, was auf den ersten Blick unangemessen erscheint, bei näherer Betrachtung doch verständlich. Grober Humor ist ein Ventil, mit dem die Betreuten ihrem Ärger Luft machen. Oft dient er als Form des Protests gegen eine als bevormundend empfundene Behandlung.
  5. Humor bei herausforderndem Verhalten. Aggressive, enthemmte und agitierte Verhaltensweisen sind auf einer Demenzstation keine Seltenheit. Auch damit müssen die Betreuungskräfte zurecht kommen. Humor kann ein Mittel sein, das problematische Verhalten zu entschärfen. Beispiel: Der Betreuer liest Gedichte von Ringelnatz vor. Eine der Bewohnerinnen ist in ihrem ganz eigenen ‘Film‘. Sie klopft einen Rhythmus auf den Tisch und ruft dazu „jippie, jippie“. Alle sind genervt. Der Betreuer nimmt die Hand der Bewohnerin. Er bewegt sie im Takt der Gedichte. Die Bewohnerin lässt dies zu und lacht. Durch die Intervention ist es gelungen, den Bewegungsdrang der Bewohnerin in das Gruppengeschehen einzubinden. Scheinbar beiläufige Gesten wie diese, denen etwas Spielerisches und Leichtes anhaftet, wirken bei agitiertem Verhalten oft Wunder. In der Regel sind sie wirksamer als alle Versuche, das Verhalten durch energisches Zureden oder vernünftige Argumente zu beeinflussen.

Soweit ein Überblick über die wichtigsten Humor-Funktionen, bezogen auf die Praxis der Demenzbegleitung. Der Humor, der hier zum Einsatz kommt, ist sowohl geplant, als auch spontan. Bei der Vorbereitung der Aktivierungen wählen die Betreuungskräfte Material aus, von dem sie denken, dass es den Gruppenmitgliedern Spaß macht. Dies erfordert viel Engagement und Liebe zum Detail. Gleichzeitig sind erfahrene Praktiker*innen in der Lage, auf problematische Situationen spontan zu reagieren und etwas Humorvolles zu tun, das hilft, die Situation aufzulösen.

In der Literatur über therapeutischen Humor wird noch eine weitere Funktion von Humor diskutiert, nämlich die Möglichkeit, jemandem durch Humor einen Spiegel vorzuhalten und Einsichten zu vermitteln (Hirsch 2019). Ich halte es für wichtig, dass man sich in der Arbeit mit demenziell veränderten Menschen von dieser Vorstellung völlig frei macht. Menschen mit Demenz sind nicht zur Selbsterkenntnis fähig. Je radikaler man den Gedanken aufgibt, man könnte sie belehren oder ‘bessern‘, desto besser gelingt die Arbeit mit ihnen. Der Humor, auf den erfahrene Betreuungskräfte in ihrer Tätigkeit zurückgreifen, hat viele Eigenschaften: Er ist versöhnlich, neckisch und albern. Er ist de-eskalierend, er ist motivierend, mitreißend, verspielt und geistig anregend. Aber eines ist er nicht – nämlich belehrend.

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Literatur

Hänni, B. (2008). Humor mit betagten Menschen – ein Praxisbeispiel. In: B. Wild (Hrsg.), Humor in Psychiatrie und Psychotherapie. Schattauer, Stuttgart, S. 91-98.

Hirsch, R. D. (2019). Das Humor-Buch. Die Kunst des Perspektivwechsels in Theorie und Praxis. Schattauer, Stuttgart.

Moos, I. (2011). Humour, irony and sarcasm in severe Alzheimer’s dementia – a corrective to retrogenesis? Ageing and Society, 31(2), 328-346. doi:10.1017/S0144686X10001054

Zur Person

Dr. Martin Herberg, Dipl.-Soz.
Soziologe und Pflegewissenschaftler. Neben
seiner Tätigkeit als Demenzbegleiter nach § 43 b SGB arbeitet er
als Dozent am AWO Bildungscampus Lauenburg, Schleswig-Holstein, Deutschland.

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