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Melitta Horak
Familienzentriertes Case Management
Erfolgreiche Durchführung eines pflegerelevanten Praxisforschungsprojekts

Der Umgang mit den An- und Zugehörigen von Pflegebedürftigen stellt Pflegepersonen in ihrer täglichen Arbeit in der mobilen Pflege und Betreuung häufig vor große Herausforderungen. Durch Interventionen der familienzentrierten Pflege kann ein bedeutender Beitrag geleistet werden, um den Umgang mit den Familienmitgliedern zu optimieren und Belastungen aufgrund von Herausforderungen zu minimieren. Dies zeigte sich im Praxisforschungsprojekt, welches gemeinsam mit den Wiener Sozialdiensten Alten- und Pflege GmbH und der Fachhochschule Kärnten durchgeführt wurde.

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Von Seiten der Wiener Sozialdienste Alten und Pflegedienste GmbH ermöglichte die Pflegedienstleitung Anastasia Knoll die Umsetzung dieses, in Österreich erstmalig durchgeführten, Projekts. Mit größtmöglicher Unterstützung und bestmöglicher Zusammenarbeit mit Teamleitung Barbara Kumpan und Qualitätssicherungsbeauftrager Nathalie Hysek-Novotny konnte das Projekt, auch während der vielfältigen Herausforderungen im Zeitraum der Pandemie, gemeinsam mit 14 Case Manager*innen durchgeführt werden. Das Projekt wurde seitens der FH Kärnten von Melitta Horak geleitet, Hochschullehrende im Studiengang Gesundheits- und Krankenpflege. Mit ihr wirkte die wissenschaftliche Mitarbeiterin Marion Ruppnig.

Ziel dieses Praxisforschungsprojektes, welches im April 2022 startete, war die Implementierung des 15 Minute Family Interviews im Rahmen des Calgary Familien Assessment- und Interventionsmodell. Dieses professionelle Familiengespräch beinhaltet einen systematisch aufgebauten, forschungsbasierten Interviewleitfaden für eine konzeptgeleitete Gesprächsführung im Umgang mit Familien in Pflege- und Betreuungssituationen. Der Ablauf des Familiengesprächs umfasst die wichtigsten Grundelemente des Calgary Familien Assessment und -Interventionsmodells, welches bereits jahrzehntelang international erprobt und weiterentwickelt wurde. Internationale Studienergebnisse (Wright et al., 2021) zeigen, dass durch die Implementierung des 15 Minute Family Interviews ein Beitrag zur Optimierung des Umgangs von Pflegepersonen mit Familien in Pflege- und Betreuungssituationen und eine Reduktion von Belastungen und Herausforderungen erreicht werden kann.

Durch Fokusgruppeninterviews konnte in der Erhebungsphase bestätigt werden, dass die Case Manager*innen, 13 diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen und eine Sozialarbeiterin, in ihrer täglichen Arbeit immer wieder große Herausforderungen im Umgang mit den Pflegebedürftigen und deren Familienmitgliedern erleben. In der nachfolgenden Schulungsphase erlernten die Case Manager*innen die theoretische Fundierung und den Ablauf des 15 Minute Family Interviews, um es in der Implementierungsphase bei Aufnahmegesprächen, Pflegevisiten und in Konfliktsituationen mit Familien in Pflege- und Betreuungssituationen einzusetzen. Mittels Einzelcoachings und Fallbesprechungen wurde die Umsetzung des 15 Minute Family Interviews mit den Case Manager*innen kontinuierlich reflektiert und weiter optimiert. Die Endevaluierung zeigte eindeutig eine Vergleichbarkeit mit internationalen Ergebnissen. Dabei wurden, die bei den Fokusgruppen abgeleiteten Themenkomplexe analysiert und evaluiert.

Es zeigte sich, dass durch das 15 Minute Family Interview bei der Mehrzahl der Teilnehmer*innen die Herausforderungen im Umgang mit Familienmitgliedern und den Pflegebedürftigen minimiert werden konnte. Die teilnehmenden Case Manager*innen entwickelten im Rahmen der Projektdauer ein erweitertes Familienverständnis, sofern diese Sicht auf das System Familie nicht bereits vorher bestanden hatte. Ebenfalls wurde das Bewusstsein über die Wichtigkeit und die Bedeutung der Familie und die eigene Rolle gestärkt und der Umgang mit den Familienmitgliedern davon ausgehend positiv verändert.

Durch die Vermittlung des familiensystemischen Zugangs im Rahmen des 15 Minute Family Interviews erhielten die Case Manger*innen ein „Werkzeug in die Hand“, welches die strukturierte Erhebung relevanter Informationen unter Berücksichtigung familiärer Ressourcen und Bedürfnisse ermöglichte und eine gemeinsame Lösungsfindung förderte. Es wurde eine verbesserte Kommunikation sowie die verbesserte Zusammenarbeit mit den betreuten Personen und deren Familien festgestellt.

Es zeigt sich bei der Endevaluierung auch eine Erweiterung des Verständnisses hinsichtlich der Rolle von Familien in einer Pflege- und Betreuungssituation, sowie eine Verbesserung im Umgang mit Familienmitgliedern, besonders in herausfordernden Situationen. Hier führte ein größeres Verständnis für Verhaltensweisen der Klient*innen und ihrer Familienmitglieder zu einer strukturierten, professionelleren Vorgehensweise seitens der Case Manager*in. Auch das bewusste Aussprechen von Anerkennung und Wertschätzung trug zu einer verbesserten Zusammenarbeit mit den Familien bei. Es wurde eine Änderung der Perspektive in Bezug auf die Rolle von Angehörigen beschrieben, die nun auch vorrangig als Expert*innen in ihrem Familiensystem wahrgenommen werden konnten. Die Case Manager*innen gaben an, durch die veränderte Sicht auf das Familiensystem ein neues Gefühl der Professionalität zu entwickeln. Sie berichteten von mehr Sicherheit im Umgang mit Emotionen von Angehörigen oder Klient*innen, welche mit einer verstärkten Fähigkeit zur Abgrenzung und einer professionellen, neutralen Haltung einherging. Hervorgehoben wurde in diesem Zusammenhang auch der wahrgenommene, professionellere Zugang zu Familien, der es ermöglichte, mit den Familien gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Auch durch das Geno/Ökogramm konnte von Anfang an, ein besserer Überblick über die gesamte Familiensituation und deren beeinflussenden Faktoren geschaffen werden.

 Das Geno- und Ökogramm als Teil der Dokumentation ermöglichte  allen Berufsgruppen sich rasch einen Überblick über die Situation in der betreffenden Familie zu verschaffen. Die händische Erstellung des Geno- und Ökogramms mit Stift und Papier wurde oft als Herausforderung angesehen. Im Verlauf des Projekts kam es zur Entwicklung der digitalen Darstellung des Geno- und Ökogramms, welche von den Case Manger*innen als sehr positiv bewertet wurde. Obwohl die Teilnehmer*innen die Anwendung des Tools als zeitaufwändig beschrieben, wurden andererseits die gewonnenen Informationen und die verbesserte Beziehung zu den Klient*innen und Familien als Ressourcen erkannt, die zu einer optimierten Betreuung und letztlich zu einer Zeitersparnis beitragen können.

Des Weiteren wurde auch ein positiver Einfluss auf die Berufszufriedenheit und Lebensqualität der Case Manager*innen durch mehr Sicherheit im Umgang mit Familien in emotional belastenden Situationen und das Gefühl eines professionelleren Handelns aufgezeigt. Hier führte das familiensystemische Verständnis zu Stressreduktion und die Fähigkeit zur Abgrenzung brachte eine Neubewertung der eigenen Rolle als Case Manger*in

Auch in der Zusammenarbeit mit „nachgereihten“ Mitarbeiter*innen wurde die Bedeutung erkannt und es als Aufgabe empfunden, das neue familiensystemische Verständnis an die anderen Berufsgruppen, wie Heimhelfer*innen und/oder Pflege(fach)assistent*innen weiterzugeben.

Aufgrund dieser vielfältigen positiven Ergebnisse, die mit Projektende im Juli 2022 gewonnen wurden,  begann im Januar 2023 die Implementierung des 15 Minute Family Interviews in der gesamten Pflege- und Betreuungsorganisation der Wiener Sozialdienste Alten- und Pflegedienste GmbH. Alle Case Manager*innen der Organisation (ca. 60 – 70 diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen und 3 – 4 Sozialarbeiter*innen) werden gemeinsam mit allen Team- und Einsatzleitungen sowie allen Pflegefachassistent*innen, Pflegeassistent*innen und Heimhilfen in abgestuften Schulungssequenzen geschult. Einzelcoachings und Fallbesprechungen begleiten den Prozess der Ausrollung über einen Zeitraum von ca. zwei Jahren.

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Literatur

Wright, L., Leahey, M., Shajani, Z., Snell, D. (2021). Familienzentrierte Pflege. Lehrbuch für Familien-Assessement und Interventionen. Hogrefe.

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