Krankenhausserien (KHS) beeinflussen die Vorstellung von Mediennutzenden über die dort dargestellten Berufe und Berufsangehörigen. In KHS wird der Pflegeberuf als Frauenberuf und Pflegefachfrauen werden stereotypisch als Engel, Dienstmädchen, Drachen oder Sexobjekte dargestellt und ein Image der ‘unsichtbaren Pflege’ vermittelt. Die Macht solcher Images wird als ‘CSI-Effekt’ bezeichnet und beinhaltet sowohl problematische Anteile als auch Chancen für Berufswahlinteressierte, Berufsangehörige und Politik.
Im TV ausgestrahlte Serien beeinflussen die Vorstellung von Mediennutzenden (1) (MN) (Gerbner & Gross, 1976), was im Kontext der Krimiserie Crime Scene Investigation den Begriff ‘CSI-Effekt’ prägte. Weil das fiktive Team mittels DNA-Untersuchung jedes Verbrechen aufklären kann, verlangen „medienexterne“ Geschworene in Gerichtsverhandlungen DNA-Beweise und vernachlässigen Augenzeugenberichte (Bartl, 2016). Es ist anzunehmen, dass auch bei Krankenhausserien (KHS) von einem CSI-Effekt ausgegangen werden kann und MN in ihrer Vorstellung über die dargestellten Berufe und Berufsangehörige beeinflusst werden. KHS ziehen weltweit Milliarden von Menschen in ihren Bann, davon auch 80% der Studierenden von Pflege und Medizin (Bednarek, 2015; Czarny et al., 2008).
Durch die scheinbar realistischen Serien erhalten MN Einblicke in die Arbeitswelt einer Klinik und Orte (z.B. OP-Saal), wo man normalerweise nicht hinsehen kann. Dieser voyeuristische Ansatz sowie die gezeigte Hektik ermöglichen es MN, den eigenen Stress abzubauen und in die Rolle eines todkranken Menschen zu schlüpfen und so Krankheit und Tod aus sicherer Entfernung zu erleben (Hurth, 2008; Turow, 2012). Und das fiktive Krankenhauspersonal wird idealisiert dargestellt: als «verständnisvolle Ärzte und aufmerksame Schwestern» (Hurth, 2008, S. 16).
Wie Pflegefachpersonen in KHS dargestellt werden, kann dazu führen, dass der Pflegeberuf weiterhin als Frauenberuf und als weniger spannend als der Arztberuf wahrgenommen wird (Cabaniss, 2011; Kalisch & Kalisch, 1987; Turow, 2012). Insbesondere das vermittelte Image der ‘Unsichtbarkeit von Pflegefachpersonen’ kann dazu führen, dass andere Berufe gewählt werden und der Personalmangel verstärkt wird (Lyckhage & Pilhammar, 2008; Rezaei-Adaryani et al., 2012).
Während Stereotype vereinfachende Annahmen über komplexe Konstellationen sind, die im Verlauf der Sozialisation erworben werden, bedeutet der Begriff Image ein (idealisiertes) Bild, eine emotional bewertete Vorstellung, die eine Person oder eine Gruppe von einer Person, Gruppe oder Sache hat (Alfermann, 1996; Bentele, 2013; Duden, 2017a, 2017b). Stereotype sind somit eine verkürzte Darstellung von Images.
Pflegefachfrauen werden in KHS stereotyp als Engel, Drachen, Sexobjekt, Dienstmädchen, aber auch als Süchtige, Mörderinnen und Unsichtbare dargestellt. Pflegefachmänner sind nur spärlich vertreten und werden als homosexuell, Mörder oder inkompetent dargestellt (Bridges, 1990; Kalisch & Kalisch, 1987; Leuenberger et al., 2021 – ahead of publication; Stanley, 2008, 2012).
Im Umgang mit KHS gibt es ganz unterschiedliche Strategien. So fordern Turow (2012) sowie Kalisch und Kalisch (1987), Pflegefachpersonen bzw. deren Berufsverbände auf, sich reaktiv bei negativen Darstellungen des Pflegeberufes an die verantwortlichen Medien zu wenden. Dies setzt die Organisation von Summers (2008-2020) um, indem sie Awards für die Darstellung von Pflegefachpersonen in KHS vergibt und Petitionen gegen negative Darstellungen bei TV-Sendern einreicht (vgl. American Horrorstory ‘Ratched’).
Eine andere Strategie stellt die Nutzung von KHS im Unterricht dar. So werden Sequenzen aus KHS oder gar ganze Episoden für Themen wie Kommunikation, Ethik, Fachwissen und Professionalität verwendet (Hoffman et al., 2018). Die Vorteile von KHS gegenüber Fallstudien in Textform liegen darin, dass die Serienfiguren mit Mimik, Gestik und Sprechtext ihre Sicht auf die medizinische Situation darlegen und dadurch MN und Studierende emotional mehr ansprechen. Studierende können so Situationen aus Patient*innensicht oder aus Sicht der fiktiven Berufsangehörigen (mit)erleben, was mit Simulationspatient’innen aufwändiger realisierbar wäre. Aus der sicheren Distanz der Schulbank können die in den fiktiven Situationen dargestellten Krankheitsbilder, Interventionen und ethische Dilemmata anhand von Leitlinien und ethischen Prinzipien diskutiert, reflektiert und alternative Handlungsweisen besprochen werden. Da KHS bzw. TV-Serien Bestandteil der Lebenswelt von Studierenden sind, können sie als Türöffner für Vorlesungen und als Konkurrenz zu online-Portalen verwendet werden (Jerrentrup et al., 2019).
Obwohl DVD’s von KHS einfach verfügbar sind, muss berücksichtigt werden, dass KHS primär der Unterhaltung dienen und kein Lehrvideo per se sind. Für den Unterricht müssen geeignete Sequenzen ausgewählt, didaktisch aufbereitet und deren Diskussion moderiert werden (Jerrentrup et al., 2018). Die Notwendigkeit der didaktischen Aufbereitung zeigt die Studie von Terry und Peck (2020) auf. Sie stellten fest, dass die beliebteste KHS der Studierenden Pflege Grey’s Anatomy ist, in welcher Pflegefachpersonen stereotyp mit dem Image der Unsichtbarkeit dargestellt werden. Den befragten Studierenden war dieser heimliche Lehrplan nicht bewusst.
Dieses Studienergebnis zeigt auf, dass in der didaktischen Aufbereitung nicht nur die audio-visuelle Ebenen einer KHS (z.B. Kommunikation, Ethik, Fachwissen, Professionalität) mit fachlich korrekter Umsetzung bzw. fehlerhaften Darstellung berücksichtig werden müssen, sondern auch die unsichtbaren Botschaften bzw. den heimlichen Lehrplan einer KHS (z.B. stereotype Images).
Ungeachtet der Limitationen von KHS (stereotype, negative oder fehlerhafte Darstellungen von Berufspersonen und Tätigkeiten) verstehen Hoffman et al. (2018) KHS als ‘unberührte Ressource’ für den Unterricht. Terry und Peck (2020) greifen diese Idee auf und plädieren dafür, KHS auch für die Rekrutierung zu nutzen.
Den Gedankem, dass KHS zur Steuerung der Personal- und Ausbildungssituation genutzt werden und somit einen heimlichen Lehrplan beinhalten, vertraten 1987 schon Kalisch und Kalisch. Ihrer Ansicht nach erfolgt die stereotype Darstellung von Pflegefachpersonen in Abhängigkeit von den Bedürfnissen des Arztdienstes, z.B. als Dienstmädchen (vgl.Kalisch & Kalisch, 1987, S. 182). Die Tätigkeiten fiktiver Pflegepersonen werden auf Bettpfannen leeren oder «Ja, Herr Doktor» reduziert. Der fiktive Arztdienst führt dabei häufig die Tätigkeiten des Pflegedienstes (z.B. Blutentnahme, Sitzwache) und anderer Berufsgruppen (z.B. Radiologie) durch. Diese zentrale Rolle des Arztdienstes in KHS führt Turow (2012) darauf zurück, dass ärztliche Berufsverbände in der Beratung von Filmschaffenden für KHS federführend sind. Während in den USA Filmschaffenden kostenlos die Beratung von Fachpersonen durch staatlich finanzierte Organisationen zur Verfügung steht, existiert diese Unterstützung in Europa nicht. Dies ist sehr schade, da die beratenden Fachorganisationen bei US-amerikanischen Produktionen im Abspann ihre Werbung (z.B. Homepage) platzieren dürfen (Jerrentrup et al., 2019; Turow, 2012).
Würden sich pflegerische Berufsverbände und Ausbildungsinstitutionen für Pflegeberufe proaktiv an der fachlichen Beratung europäischer KHS beteiligen, könnten sie dazu beitragen, dass der Pflegeberuf realistischer in KHS dargestellt wird. Ausgehend von der Popularität von KHS (Bednarek, 2015; Czarny et al., 2008), könnten mit einer realistischeren KHS oder gar eigenen KHS-Produktion sehr viele Berufswahlinteressierte junge Menschen erreicht werden. Warum sich also nicht proaktiv den heimlichen Lehrplan bzw. den positiven CSI-Effekt solcher KHS zu Nutze machen? Auch auf berufspolitischer Ebene könnte eine solche KHS die kritische Frage nach der Notwendigkeit eines Pflegestudiums abschwächen, wenn fiktive Pflegepersonen mit Fachwissen und Autonomie gezeigt werden.
Reichen die finanziellen Ressourcen nicht für eine eigenen KHS-Produktion, könnte die Verwendung ausgewählter Videoclips populärer KHS eine Möglichkeit zur Rekrutierung an Ausbildungsinstitutionen darstellen. Denkbar wäre z.B. die Sequenz aus Betty’s Diagnose, in der Betty stolz den Pflegeberuf gegenüber ihrer Pflegeschülerin Talula verteidigt: «F. ist Polizistin. Du wirst Krankenschwester. Wo ist da das Problem?» (Episode 2, 8:41). Die KHS könnte wiederum als ein Türöffner für moderierte Gespräche mit realen Pflegefachpersonen im Berufskundeunterricht fungieren.
Weltweit ziehen KHS Menschen in ihren Bann und stellen ein faszinierendes Medium für Dozierende und Forschende dar (Bednarek, 2015; Hoffman et al., 2018; Kalisch & Kalisch, 1987; Terry & Peck, 2020). Zu Recht bezeichnen Hoffman et al. (2018) KHS als unberührte Ressource, da deren heimlicher Lehrplan und CSI-Wirkung auf MN, im Unterricht und zu Rekrutierungszwecken noch wenig erforscht wurde (Czarny et al., 2008; Hoffman et al., 2018; Terry & Peck, 2020). Es stellt sich die Frage, inwieweit Pflegefachpersonen und Berufsverbände weiterhin passiv KHS konsumieren oder anfangen, die unberührte Ressource KHS proaktiv für Berufswahlinteressierte, Pflegestudierende, Berufsangehörige und in Pflegeverbänden zu nutzen.
1) Es werden immer beide Geschlechter genannt bzw. eine geschlechtsneutrale Form verwendet. Wird jedoch explizit nur eine Bezeichnung verwendet, z.B. Pflegefachfrauen, dann ist nur das jeweils angeführte Geschlecht gemeint.
Alfermann, D. (1996). Geschlechterrollen und geschlechtstypisches Verhalten. Kohlhammer.
Bartl, L.‑M. (2016). Der „CSI-Effekt“ – Der Beeinflussung auf der Spur. In H. Brettel, M. Rau & J. Rienhoff (Hg.), Research. Strafrecht in Film und Fernsehen (S. 85–114). Springer VS.
Bednarek, M. (2015). “Wicked” women in contemporary pop culture: “bad” language and gender in Weeds, Nurse Jackie, and Saving Grace. Text & Talk, 35(4), 431–451.
Bentele, G. (2013). Image. In G. Bentele, H.-B. Brosius & O. Jarren (Hg.), Studienbücher zur Kommunikations- und Medienwissenschaft. Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft (2. Aufl., S. 120). Springer VS.
Bridges, J. M. (1990). Literature review on the images of the nurse and nursing in the media. Journal of advanced nursing, 15(7), 850–854. https://doi.org/10.1111/j.1365-2648.1990.tb01917.x
Cabaniss, R. (2011). Educating nurses to impact change in nursing’s image. Teaching and Learning in Nursing, 6(3), 112–118. https://doi.org/10.1016/j.teln.2011.01.003
Czarny, M. J., Faden, R. R., Nolan, M. T., Bodensiek, E. & Sugarman, J. (2008). Medical and Nursing Students‘ Television Viewing Habits: Potential Implications for Bioethics. The American Journal of Bioethics, 8(12), 1–8. https://doi.org/10.1080/15265160802559153
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Hurth, E. (2008). Mythos Arzt? (2. Aufl.). Zoon politikon. Driesen.
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Kalisch, P. A. & Kalisch, B. J. (1987). The changing image of the nurse. Addison-Wesley.
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Turow, J. (2012). Nurses and doctors in prime time series: the dynamics of depicting professional power. Nursing outlook, 60(5 Suppl), S4-11. https://doi.org/10.1016/j.outlook.2012.06.006
Young Nurse Ratched. https://blog.truthaboutnursing.org/2017/09/american-horror-story-ratched/
Erika Leuenberger, MScN, Berufsschullehrerin Pflege,
Erika Leuenberger ist diplomierte Pflegefachfrau HF und war über 12 Jahre als Berufsschullehrerin Pflege tätig. Danach Teilprojektleitung Pflege zur Einführung eines Klinischen Informationssystem im Kantonsspital Aarau. 2018 Abschluss des berufsbegleitenden Masterstudiengangs Pflege an der Berner Fachhochschule (BFH). Arbeitet zurzeit in der Medizinischen Notrufzentrale (MNZ) in Basel als Telefon Triage Nurse und als externe Lehrperson im Bachelorstudiengang Pflege der BFH.
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