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Thomas Pree
Aus einer fundierten Haltung heraus gut für den konkreten Menschen da sein
Überlegungen zum Umgang mit Anfragen zu assistiertem Suizid in einer christlichen Gesundheitseinrichtung

Menschen in Gesundheitsberufen wollen heilend wirken. Eine Beziehung zweier Subjekte, z. B. der Pflegerin und des Bewohners, ist dafür grundlegend. Die Bitte um Suizidhilfe, begründet mit der Autonomie des einen Subjektes, fragt das Selbstverständnis des anderen Subjektes an. Fundamental in einer christlichen Einrichtung.

Suizidhilfe wird daher nicht als Aufgabe der Pflege verstanden. Die Organisation hat ihre Mitarbeiter*innen zu schützen und gleichzeitig so zu unterstützen, dass sie mit Respekt und aller möglichen Zuwendung für die Menschen da sind, die einen Suizid erwägen.

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Eine Anfrage um Hilfe für einen Suizid ist gleichzeitig eine radikale Anfrage an das Selbstverständnis von Pflegenden und insgesamt von Menschen in Gesundheitsberufen. Was ist meine Aufgabe? Mehr noch: Was ist der Sinn meiner beruflichen Tätigkeit? Für viele widerspricht eine solche Hilfeleistung der Motivation ihrer Arbeit.

Dieser Widerspruch wird umso stärker, wenn eine Anfrage um Suizidhilfe auf ein christlich ausgeprägtes Menschenbild trifft. Bei den einzelnen Angefragten genauso, wie bei christlichen Gesundheitseinrichtungen. Als solche versteht sich die Vinzenz Gruppe.

Wenn ich in Folge von wir schreibe, dann meine ich uns als die Vinzenz Gruppe und unsere Überlegungen und Schlussfolgerungen in dieser Themenstellung. Wir haben ein starkes Motiv für unser unternehmerisches Handeln als Gesundheitseinrichtungen. Wir verstehen jedes Leben als geliebtes Geschöpf Gottes. Die Menschen sind Schwestern und Brüder, Kinder Gottes. Jedes Leben hat daraus seine Würde, die nicht an Leistung oder Kriterien gebunden ist, die nicht verfügbar oder verhandelbar ist. Diese Würde, so ist unsere Erfahrung, ist jedoch verletzbar. So manche Situationen und Begegnungen können als entwürdigend erlebt werden. Auch im Sinne eines Autonomieverlustes. Für Menschen in solchen Erfahrungen da zu sein – aufrichtend, tröstend, belebend, heilsam – das ist unsere Grundmotivation, mit der wir uns mit Jesus Christus verbunden wissen.

Wir wollen das Leben derer, die sich uns anvertrauen, schützen und fördern. Gleichzeitig wissen wir und respektieren wir die Begrenztheit des Lebens und unseres Tuns. Wir vertrauen darauf, dass es als solches hineingenommen ist in den Lebenswillen Gottes und darin erfülltes Leben erfährt. Eine Hoffnung gründet darin, die Kraft gibt, jetzt dafür unser Möglichstes beizutragen.

Diese hier nur knapp skizzierten Grundwerte leiten uns. Sie erlauben es für uns nicht, dass wir als Institution oder durch unsere Mitarbeiter*innen eine Hilfe für einen Suizid leisten. Dem Argument, dass einer solchen Bitte von Menschen, die sich in einer sehr leidvollen Lebenssituation befinden, mit Barmherzigkeit zu begegnen sei, stimme ich zu. Barmherzigkeit realisiert sich in der herzlichen Zuwendung zweier Subjekte. Daher bitten wir unsere Mitarbeiter*innen bei solchen Anfragen um ihre herzliche, leidenschaftliche (compassion) Professionalität. Welche weiteren fachlichen und menschlichen Zuwendungen unsererseits könnten für diesen Menschen eine Hilfe zum Leben werden? Finden wir noch Möglichkeiten, die eine Alternative zu einem Suizid eröffnen könnten? Auch selbstkritisch gilt es zu fragen, ob wir mit einer eventuellen Über- bzw. Unterversorgung zu den Suizidüberlegungen mitbeitragen. Im Dialog mit den Betroffenen, in der Suche mit den Kolleg*innen und im Austausch mit anderen Professionen. Als Angebot unserseits und mit Hochachtung gegenüber dem Willen und dem Empfinden des*der um Hilfe Bittenden. Entscheidet sich diese Person dennoch für einen Suizid, achten und respektieren wir diese Entscheidung. Wir kommunizieren auch unsere Grenzen, dass wir dafür keine Unterstützung geben können und dass unsere Einrichtungen nicht die Orte dafür sind. Gleichzeitig bieten wir an, weiterhin mit menschlicher, pflegerischer und medizinischer Zuwendung für sie*ihn da zu sein.

Warum beschreibe ich hier unsere Position? Nicht als Rechtfertigung oder aus missionarischem Eifer. Das Gut des Lebens ist ein hoher Wert. Alle Anfragen dazu sind unweigerlich mit einem Wertebezug verbunden und können nicht wertfrei beantwortet werden. Die neue gesetzliche Regelung zur Straffreiheit von Suizidhilfe unter bestimmten Bedingungen verlangt daher eine klare Positionierung der jeweiligen Gesundheitseinrichtungen. Die Mitarbeiter*innen und auch die Bewohner*innen bzw. Patient*innen müssen wissen, wie in dieser Institution grundsätzlich mit dieser Thematik umgegangen wird. Diese Transparenz ist fair gegenüber den Bewohner*innen, Patient*innen und ihren Angehörigen. Sie sollen wissen, wem sie sich anvertrauen und worauf sie sich verlassen können. Gleichzeitig gibt sie den Mitarbeiter*innen eine Orientierung für ihr Handeln und für ihre Reflexionen. Eine klar formulierte Position ist auch ein Schutzraum und eine Entlastung für die einzelnen Mitarbeiter*innen und die Teams. Jede Ankündigung zu Suizidüberlegungen und jeder Suizid wirken auf die Angesprochenen und auf die Teams. Die damit verbundenen Fragen, Selbstzweifel und vielleicht sogar Schuldgefühle treffen wohl auf unterschiedliche persönliche Meinungen und Antwortversuche im Team. Eine maßgebliche Orientierung durch die Organisation kann gerade in strittigen Teamsituationen entlasten.

Diese klare Position wird jedoch kein Regelwerk darstellen können, das alle damit verbundenen Fragen löst. Was ist im konkreten Fall eine Unterstützung für einen Suizid und was ist menschliche Zuwendung? Wie sehr bin ich in meiner Pflegebeziehung menschlich so berührt, dass es mir schwerfällt, eine klare Trennlinie zu ziehen? Will eine Organisation trotz der grundsätzlichen Ablehnung einer Suizidhilfe ihre Bewohner*innen bzw. Patient*innen mit der bestmöglichen Zuwendung betreuen, dann braucht es zur Klarheit der Position auch das Vertrauen gegenüber den Mitarbeiter*innen. Sie werden in ihrer Gewissensverantwortung den Menschen in der jeweiligen Situation adäquat begegnen.

Mitarbeiter*innen dürfen dabei aber nicht alleine gelassen werden. Zum einen braucht es die Ermutigung und den Auftrag, dass niemand, der in die Überlegungen zu einem Suizid eingebunden wurde oder gar um Unterstützungsleistungen für einen Suizid angefragt wurde, das für sich allein ausmachen soll. Es darf kein Tabu sein, darüber mit Kolleg*innen und im Team und mit den Führungskräften zu sprechen. Im Gegenteil. Es soll dies der Regelfall sein. Zum anderen braucht es einen klaren organisationalen Rahmen, der einen Diskurs und die Bearbeitung von menschlichen und fachlichen Fragen sichert.

Dafür ist erstens in jeder Einrichtung eine kompetente Anlaufstelle zu definieren, die über rechtliche Belange und über die Umsetzungsrichtlinien der Organisation Auskunft geben kann. Für die interprofessionelle Beratung sowie für ethische Fallbesprechungen sollen Abläufe und Zuständigkeiten so geklärt sein, dass die Inanspruchnahme ohne zu großen Aufwand möglich wird.

Zweitens ist gerade für diese Thematik die Möglichkeit zur Supervision von hoher Bedeutung. Im Falle einer konkreten Anfrage und besonders dann, wenn in einer Abteilung ein Suizid ausgeführt wurde, sollen die betroffenen Mitarbeiter*innen eine psychologische und seelsorgerische Begleitung angeboten bekommen. Als Einzelpersonen und für das Team.

Durch die Neugestaltung der gesetzlichen Regelung der Suizidhilfe mit dem Sterbeverfügungsgesetz ist zudem in den kommenden Monaten ein Bildungs- und Bewusstseinsbildungsprozess nötig geworden. Die Unterscheidung eines assistierten Suizides von der Tötung auf Verlangen, die Bedeutung der Selbstbestimmungs- und Urteilsfähigkeit bei der Errichtung einer Sterbeverfügung, die Kriterien für die Errichtung einer Sterbeverfügung und noch so manch andere juristischen Regelungen sind in Kenntnis zu bringen. Fragen über die Umgangsweisen, wenn beispielsweise jemand zum Akt eines Suizids dazukommt oder wenn ein Suizid misslungen ist, verunsichern jetzt schon die Pflegekräfte und Mediziner*innen. Ein Grundwissen über die Pflichten, Aufgaben und Grenzen im Handeln der Gesundheitsberufe muss in diesem juristisch neu geregelten Bereich geschaffen werden. Eine Pflegekraft, die im Nachtdienst mit solchen Situationen konfrontiert wird, soll über ihre Verantwortung und die Handlungsmöglichkeiten Bescheid wissen.

Wir als Organisation und unsere Mitarbeiter*innen sind bei diesem Thema Lernende. Wollen wir aus einer fundierten Haltung heraus (nicht zu verwechseln mit fundamentalistisch) gut für die uns anvertrauten Menschen da sein, dann werden wir immer Lernende bleiben müssen. Der Dialog aller Beteiligten und Betroffenen ist dafür wesentlich.

 

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Zur Person

Mag. Thomas Pree

Leitung des Zentralbereichs Wertemanagement in der Vinzenz Gruppe

Theologe, langjähriger Seelsorger, Ausbildungen in systemischem Management und Aufstellungsarbeit

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