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Esther Matolycz
Bildung, die nachhaltig ist - eine Spurensuche

Was hat es mit der Nachhaltigkeit auf sich? Schon vor 15 Jahren stellt Peter Heintel diese Frage, und zwar im vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur herausgegebenen Sammelband „Bildung für Nachhaltige Entwicklung: Ansichten und Einsichten[1].“ Heintel kommt zum Schluss, dass Nachhaltigkeit nach Widerspruchsmanagement verlangt.

Seit Erscheinen des Artikels hat sich daran nichts geändert, im Gegenteil wird die Sache wohl zunehmend bedeutsamer. Das liegt auf der Hand, weil Nachhaltigkeit derzeit Hochkonjunktur hat. Allerdings hat auch das Hochkonjunktur, was sie verhindert.

 

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Nachhaltigkeit richtet sich, wie Heintel ausführt, gegen das Kurzfristige, gegen die Verschwendung und gegen Raubbau (Heintel 2007, S.9).

„Nachhaltigkeit“, so der Autor, „ist nicht so ohne weiteres an unsere gegenwärtige Welt anschlussfähig, weil sie sich gegen Defizite wendet, die diese sozusagen am laufenden

Band produziert.“

Was kann, ans Heute gedacht, damit gemeint sein?

Man wünscht sich Nachhaltigkeit, also etwas, das bleibt. Einheitliche Definition gibt es keine, und in anderen Fassungen ist in der Nachhaltigkeit auch schonende Nutzung von Ressourcen gesehen; insgesamt wird dann mit den Zielen Suffizienz, Konsistenz und Effizienz operiert. Effizienz meint dabei Ergiebigkeit, Konsistenz steht für umweltschonende Ressourcennutzung und Suffizienz zielt auf geringeren Verbrauch von Ressourcen, was wiederum auf verringerter Nachfrage beruhen möchte[1] – es sollen also weniger Güter gewünscht werden.

Nachhaltig ist nun aber auch – so Heintel – wenn ein System (und damit auch ein Denken) zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Er spricht diese Nachhaltigkeit der Wirtschaft zu, ebenfalls der Technologie (konkret nennt der Autor hier die elektronische Kommunikation, wenngleich die 2007 noch nicht im Ansatz so weit fortgeschritten war, wie sie es heute ist).

Wirtschaft, und damit auch das Denken in ökonomischer Logik erfordert Tempo, Zeit- und Kosteneffizienz und selbstverständlich auch Kurzlebigkeit zum Beispiel von Waren, wenn Gewinne erzielt werden wollen.

Auch Bildung ist – wie hier schon mehrfach angesprochen – zur Ware geworden[2], was zusammen mit dem Ruf nach lebenslangem Lernen auch dazu führt, dass immer neue Bildungsangebote auf den Markt drängen. Zugleich sind sie gefragt. Auch weil, wie Heintel ebenfalls ausführt, wir mit so vielen Veränderungen (um nur ein aktuelles Beispiel zu nennen: digitalisiertes Unterrichten will gelernt sein) konfrontiert sind, dass immer neue Anpassungsleistungen notwendig werden, sofern man im (beruflichen) Alltag Schritt halten will. Immer Neues, stets Veränderung, und das in einem Tempo, wie man es zu keiner Zeit vor unserer erlebt hat.

Neben ständiger Beschleunigung ist das Diktat der zeitlichen Taktung und des Multi-Tasking (beides wird mit Effizienz und letztlich auch Ökonomie verbunden, insofern die Sache sich rechnen soll) überall ganz selbstverständlich präsent: So sehr man sich Nachhaltigkeit wünscht, so nachhaltig (!) sind in Denk- und Lebensformen nämlich Gegebenheiten verankert, die sie verhindern. Denn „wirtschaftlich-technologisches Denken“, so Heintel schließlich, dominiert Gesellschaft und Kunst, ebenso aber Gesundheit und Bildung (Heintel 2007, S. 12).

Wenn nun der Wunsch nach Nachhaltigkeit sich gegen letztlich vorherrschende Denkmuster richtet, „kann davon ausgegangen werden, dass nachhaltige Entwicklung in der näheren Zukunft sich eher als ‚Widerspruchsmanagement‘ wird etablieren müssen, denn als lineare Fortsetzung gegenwärtiger Zustände behübscht mit sanften Korrekturen“ (Heintel 2007, S. 11).

Das würde zunächst bedeuten, sich Widersprüchlichkeiten bewusst zu machen; in Zusammenhang mit Bildung wird man dort auf sie stoßen, wo man darüber nachdenkt, was nachhaltige Bildung sein könnte.

Aktuell ist die Vorstellung von Bildung eng mit Qualifizierung verbunden, die wiederum nach immer stärkerer Ausdifferenzierung (im Sinn der Spezialisierung) verlangt.

Das ist einerseits gut, umgekehrt gibt es auch Vorstellungen von Bildung, in denen vorrangig bestimmte Praktiken des Folgerns, Fragens, systematischen Betrachtens und Untersuchens vermittelt werden sollen, allerdings zunächst unabhängig von einem bestimmten Umsetzungsziel. Die Fähigkeit selbst ist es, um die es dabei geht; allfällige Praxisanwendungen können folgen.

Werden Lernende und Studierende letztlich in die Lage versetzt, Formen der Reflexion und des kritischen Hinterfragens (und zwar bestimmten Logiken folgend, die bloße Infragestellung einer Sache oder eines Umstands ist da zu wenig) leisten zu können, und wirkt sich diese Fähigkeit in unterschiedlichen Situationen und bezogen auf unterschiedliche Inhalte aus, könnte man vielleicht von Nachhaltigkeit sprechen.

Sie wäre dann gegeben, wenn Menschen nicht allein auf Einzelsituationen hin „trainiert“ werden, sondern die Fähigkeit erlangen, anhand eines ihnen eigen gewordenen Instrumentariums immer neue Handlungsungewissheiten zu bewältigen.

Der Kompetenzbegriff eignet sich dabei nur bedingt, da Kompetenzen grundsätzlich auf Anwendbarkeit zielen. Anwendbarkeit wiederum ist freilich zu begrüßen (denn letztlich geht es ja immer darum), birgt allerdings die Gefahr der möglicherweise verkürzenden, weil auf Passgenauigkeit achtenden Vermittlung in Unterricht und Lehre.

Bildung folgt aktuell auch dem Prinzip der Modularität, die freilich dort Vorteile hat, wo flexible (Aus)Bildungsprogramme möglich werden sollen: das Absolvieren einzelner Module erlaubt die anschließende, auch aufgeschobene Fortsetzung; Wiederholungen sind, wie auch inhaltliche Anpassungen, verhältnismäßig einfach. Umgekehrt birgt Modularisierung die Gefahr des Häppchen-Denkens, wenn nämlich Stück für Stück zu erledigen (ungefähr das Gegenteil von Bildungsprozessen, die zu Einsicht oder Verstehen führen sollen) ist und mit abgeschlossener Prüfung auch wieder vergessen werden kann. Theoretisch ist das selbstverständlich nicht so, praktisch hingegen durchaus.

Wenn dem nun wirklich so sein sollte, kann man nicht von Nachhaltigkeit sprechen. Und wünscht man sie, müssten Lehrinhalte wesentlich breiter aufgestellt sein, müssten Qualifizierung und unmittelbare Anwendbarkeit zumindest zeitweilig hintanstehen, müsste man aufbauender lehren und den dauernden Rückgriff auf bestimmte Grundlagen sicherstellen können. Kurz: die Sache würde (zunächst!) praxisferner und komplexer.

Die Studienarchitektur, die im Gefolge des Bologna-Prozesses etabliert ist, versteht auch tertiäre Bildung grundsätzlich als Qualifizierung und zielt auf Employability, Absolvent*innen sollen also fit for the job sein und zwar für jenen Job, der am Markt gefragt ist.

Das Studium vor Bologna war anders aufgestellt; man wirft ihm heute vor, langatmig, bedingt anwendbar, ein Massenstudium und wenig service-orientiert gewesen zu sein (Studierende mussten sich die Abfolge der Lehrveranstaltungen in der Regel selbst zusammenstellen, Fragen, allen voran: „und was wirst du nach dem Studium?“, konnten nicht so klar beantwortet werden). Gefragt war dabei nicht das Erlernen einer bestimmten Praxis, sondern das Nachdenken aus gewisser Distanz.

Das soll nicht glorifiziert werden, und man kann nicht behaupten, dass diese Art Studium grundsätzlich nachhaltiger ist. Eines aber schon: die Möglichkeit nachhaltiger Bildung ist darin zumindest gegeben.

Das Anliegen nachhaltiger Bildung unter Anerkennung von Widersprüchlichkeiten eröffnet ein spannendes Feld.

Hybrid ist zeitgemäß; warum nicht eines, das Kompetenzorientierung und etwas wie nachhaltige Bildung gleichermaßen berücksichtigt? Klingt banal, klingt irgendwie selbstverständlich – ist es aber nicht.

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Fußnoten

Literatur

Heintel P (2007) Über Nachhaltigkeit. – In: Linder W (2007) Bildung für Nachhaltige Entwicklung Ansichten und Einsichten. –  Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, Wien, S. 9-15; https://www.bmbwf.gv.at/dam/jcr:fb4de0e3-dea9-4996-8a08-f0c86795f065/bine_linder_18309.pdf  [Zugriff: 04.10.2022]

Minge B (2018) Suffizienz, Konsistenz und Effizienz – Drei Wege zu mehr Nachhaltigkeit

Artikel auf relaio.de; https://www.relaio.de/wissen/suffizienz-konsistenz-und-effizienz-drei-wege-zu-mehr-nachhaltigkeit/  [Zugriff: 04.10.2022]

Volcich A (2011) Bildung ist eine Ware

Artikel auf oeh.univie.ac.at; https://oeh.univie.ac.at/zeitgenossin/bildung-ist-eine-ware [Zugriff: 04.10.2022]

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