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Barbara Mayer, Inge Köberl-Hiebler
Rehabilitationspflege – Begleitung zu Autonomie und Lebensqualität

Die Rehabilitationspflege ist ein unverzichtbarer Teil des multidisziplinären Teams. Sie sollte, neben der Erbringung diverser Pflegeleistungen zur Erreichung von Rehabilitationszielen, die auf die Funktionsfähigkeit der Betroffenen abzielen, eine aktivere Rolle einnehmen, die die Autonomie und Würde der Patient*innen im Fokus hat. Die Fokussierung auf einen patient*innenzentrierten Entscheidungsfindungsprozess, auf Basis einer entsprechenden Ausbildung, stellt die Voraussetzung dafür dar.

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Eine allgemeingültige Definition des Rehabilitationsbegriffes ist insofern schwierig, als sie stark von der Perspektive des*der Definierenden abhängt. Sie fokussiert aber grundsätzlich immer die Wiedererlangung, Verbesserung bzw. Erhaltung des bestmöglichen Gesundheitszustandes und der höchstmöglichen Lebensqualität.

Rehabilitative Angebote finden in ambulanten und stationären Settings und mittlerweile auch im digitalen Raum als Tele-Reha statt. Sie werden aus unterschiedlichen Quellen finanziert, etwa privat oder als Versicherungsleistung und erfordern das Zusammenwirken unterschiedlichster Professionen und Stakeholder. Sie richten sich an Betroffene mit unterschiedlichsten Erkrankungen und Einschränkungen. Da die Gesundheit nicht immer vollständig wiederhergestellt und das gewohnte Leben aus der Zeit vor dem Unfall oder der Erkrankung nicht uneingeschränkt fortgesetzt werden können, werden verschiedenste Rehabilitationsziele verfolgt.

In diesem Spannungsfeld hat die Gesundheits- und Krankenpflege ihre Aufgabe zu erfüllen, wobei die Rehabilitationspflege eine fachliche Spezialisierung (wenn  auch nicht in der Ausbildungslandschaft eigenständig abgebildet) mit eigenem theoretischen Bezugsrahmen darstellt (Vaughn et al., 2015). Grundlage pflegerischen Handelns ist dabei nicht die Rehabilitation des*der Patient*in, im Sinne der Befriedigung grundlegender Pflegebedürfnisse durch die Erbringung diverser Pflegehandlungen, sondern das Verständnis einer Rehabilitation mit dem*der Patient*in, indem der komplexen Lebenssituation durch unterschiedliche Zugänge Rechnung getragen wird (Gutenbrunner et al., 2022).

Pflegekräfte sind unverzichtbare Mitglieder im multidisziplinären Rehabilitationsteam, deren Rolle dennoch oft nicht klar umrissen ist. Dies kann anhand des Zielformulierungsprozesses aufgezeigt werden. In der Vergangenheit fiel die Entscheidung hinsichtlich der Formulierung von Rehabilitationszielen entlang hierarchischer Strukturen und war weitgehend von Ärzt*innen und Therapeut*innen bestimmt. Sie bezogen sich meist auf die Funktionsfähigkeit, um das tägliche Leben möglichst selbständig zu bewältigen (Bühler et al., 2005). Die Gesundheits- und Krankenpflege arbeitete an der Zielerreichung mit, war an der vorangehenden Diskussion aber nur am Rande beteiligt. Auch der Einfluss der Patient*innen selbst beschränkte sich überwiegend auf Wünsche und Bedürfnisse im Alltagskontext.

Diese defizitorientierte Sichtweise wurde durch die Integration neuer Inhalte, etwa einer sozialen Perspektive, weiterentwickelt (Suter-Rieder et al., 2012). Dabei trat das übergeordente Ziel der größtmöglichen Unabhängigkeit in verschiedenen Dimensionen ins Zentrum.

Doch auch hier stellt sich die Frage, ob dies weit genug gefasst ist, oder ob Unabhängigkeit nicht nur im Zusammenhang mit weiteren Zielen auf dem Weg zu größtmöglicher Lebensqualität zu denken ist (McClure & Leah, 2021). Dies auch vor dem Hintergrund, dass Unabhängigkeit aufgrund der Schwere der Verletzung oder Erkrankung nicht immer vollumfänglich erreichbar ist, was bei den Betroffenen und deren Angehörigen zu Hilflosigkeit und Überforderung führen kann. Cardol et al. (2002) plädieren an dieser Stelle dafür, das Konzept der Autonomie heranzuziehen. Auch wenn der Unterschied zwischen den beiden Begriffen gering erscheinen mag, hat er doch zentrale Bedeutung. Unabhängigkeit zielt darauf, Bedürfnisse ohne fremde Hilfe befriedigen zu können. Autonomie fokussierte darauf, die Kontrolle über die eigene Lebenssituation und eigene Ziele zu haben, auch wenn Hilfe von außen angenommen wird (Kreutzer et al., 2009). Dies versetzt die Betroffenen in die Lage, auch wenn Pflege und externe Unterstützung angenommen werden, zentrale Lebensziele aus eigener Kraft zu erreichen – und somit auch die Aufrechterhaltung von Beziehungen, Würde und Respekt.

Was bedeutet dies nun für die Rolle der Gesundheits- und Krankenpflege in diesem Kontext? Grundsätzlich erfordert es eine Verschiebung des Selbstverständnisses von einem Erbringer einzelner Pflegehandlungen in Richtung eines proaktiven Zugangs.

Patient*innen müssen darauf vorbereitet sein, an der Definition ihrer individuellen Rehabilitationsziele mitzuarbeiten. Dafür müssen sie den dahinterliegenden Prozess verstehen können und die Rollen der Mitwirkenden kennen. Hierbei kann die Gesundheits- und Krankenpflege durch ihre Nähe zu den Betroffenen und deren Angehörigen mit Auf- und Erklärung Unterstützung geben, Informationsbedürfnisse erkennen und erfüllen, Wissensdefizite ausgleichen und gleichzeitig Überforderung verhindern. Es ist Aufgabe der Pflege die Betroffenen und deren Autonomie wie oben beschrieben ins Zentrum aller Handlungen und Entscheidungen zu rücken. Wünsche, Bedürfnisse und Präferenzen sind derart im multidisziplinären Team zu kommunizieren, dass sie gehört und berücksichtigt werden können (Vaalburg et al., 2021). Auch gilt es jede Form von paternalistischer Haltung – und sei sie noch so sehr im Sinne des*der Patient*in gedacht – zu hinterfragen, und sicherzustellen, dass die Betroffenen informierte Entscheidungen in ihrer und für ihre Situation treffen bzw. Priorisierungen ihrer Ziele vornehmen können.

Um diesen Aufgaben gerecht werden zu können, erfordert es die Stärkung der Rolle der Gesundheits- und Krankenpflege im multidisziplinären Rehabilitationsteam. Auch ein gut abgestimmter Skill- und Grade-Mix innerhalb des Pflegeteams mit einer ausreichenden Anzahl an tertiär ausgebildeten Pflegpersonen, welche in der Lage sind Entscheidungsfindungsprozesse von Patient*innen in komplexen Lebenssituationen zu begleiten und evidenzbasierte Pflegelösungen anzubieten, können einen zentralen Faktor zur Erreichung optimaler Versorgungsqualität in der Rehabilitation darstellen.

Rehabilitationspflege bedeutet, die Betroffenen bei ihrer Neuorientierung und Erhaltung größtmöglicher Autonomie zu begleiten und zu unterstützen, dabei stets ihre Würde im Auge zu haben und als letzte Instanz anzuerkennen.

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Literatur

Bühler, S., Grötzbach, H. & Frömmelt, P. (2005). ICF-basierte Zieldefinition in der Neurorehabilitation. Neurologie & Rehabilitation, 11(4), 204-211.

Cardol, M., De Jong, B.A. & Ward, C.D. (2002). On autonomy and participation in rehabilitation. Diasability and Rehabilitation, 24(18), 970-974.

Gutenbrunner, C., Stievano, A., Nugraha, B., Stewert, D. & Catton, H. (2022). Nursing – a core element of rehabilitation. International Nursing Review, 69(1), 13-19.

Kreutzer, J.S., Rapport, L.J., Marwitz, J.H., Harrison-Felix, C., Hart, T., Glenn, M. & Hammond, F. (2009). Archives of Physical Medicine and Rehabilitation. 90(6), 939-946.

McClure, J. & Leah, C. (2021). Is independence enough? Rehabilitation should include autonomy and social engagement to achieve quality of life. Clinical Rehabilitation, 35(I), 3-12.

Suter-Rieder, S., Imhof, L., Gabriel, C. & Mahrer Imhof, R. (2012). Modell evidenzbasierter Rehabilitationspflege. Pflegewissenschaft, 12(12), 667-678.

Vaalburg, A.M., Wattel, E., Boersma, P., Hertogh, C. & Gobbens, R. (2021). Goal-setting in geriatric rehabilitation: Can the nursing profession meet patients´ needs? A narrative review. Nursing Forum, 56(3), 648-659.

Vaughn, S., Mauk, K.L., Jacelon, C.S., Larsen, P.D., Wintersgill, W., Cave, C.E. & Dufresne, D. (2015). The Competency Model for Professional Rehabilitation Nursing. Rehabilitation Nursing, 41(1), 33-44.

Zur Person

Barbara Mayer BSc MSc

Pflegewissenschafterin

Kontakt: mayer.barbara.m@gmail.com

Mag.a Inge Köberl-Hiebler

Gesundheitswissenschafterin

Kontakt: ikoeberl@a1.net

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