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Gabriela Hackl, Carina Brauneis
Assistierter Suizid - Begegnungen und Umgang in der Pflege der Caritas Wien

Der assistierte Suizid ist seit Jahresbeginn 2022 in Österreich legal. Schwer- und unheilbar kranke Menschen haben damit die Möglichkeit, ihr Leben durch die Einnahme eines Medikamentes selbstständig zu beenden. Die Aufgabe der Caritas Pflege ist es hinzuhören, Betroffene ernst zu nehmen, zu hinterfragen und zu beraten. Besonderes Augenmerk wird auch auf die Beratung und Unterstützung von Mitarbeiter*innen mit Hilfe neu entwickelter Prozesse und Begleitung durch das Caritas Pflege-Ethikteam gelegt.

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Gesetzesänderung

Aufgrund von Änderungen in der Gesetzgebung wurde mit 1. Jänner 2022 das Sterbeverfügungsgesetz in Österreich verabschiedet, welches die rechtlichen Bestimmungen und Voraussetzungen für den assistierten Suizid regelt. Im Fokus steht die Ermöglichung eines selbstbestimmten Sterbens von schwer- und unheilbar kranken Menschen. Des Weiteren soll das Sterbeverfügungsgesetz betroffenen Menschen sowie hilfeleistenden Personen Rechtssicherheit bieten und den notwendigen Schutz vor Missbrauch sicherstellen. Dazu wurde das Instrument der Sterbeverfügung entwickelt.

Instrument Sterbeverfügung

Die Sterbeverfügung dient als Nachweis, dass sich eine Person selbst und dauerhaft für den assistierten Suizid entschieden hat. Eine Sterbeverfügung kann von Personen errichtet werden, die schwerkrank oder unheilbar krank sind. Die Personen müssen volljährig und entscheidungsfähig sein. Die Errichtung der Sterbeverfügung ist nur persönlich und nicht in Vertretung durch andere Personen möglich. Um die freie und selbstbestimmte Entscheidung zu gewährleisten wurde ein mehrstufiger Prozess entwickelt. Dieser sieht folgende Schritte vor:

  • die Aufklärung durch zwei Ärzt*innen (z. B. Hausärzt*in und Ärzt*in mit palliativer Ausbildung)
  • die Bestätigung des Vorliegens einer zugrundeliegenden Krankheit sowie der Entscheidungsfähigkeit (ggf. nochmalige Einschätzung durch eine*n Psychiater*in oder Psycholog*in)
  • die Einhaltung einer 12-wöchigen Frist, um einen dauerhaften Entschluss zu gewährleisten und etwaige kurzfristige Krisenphasen auszuschließen. Diese Frist ist für Personen in der terminalen Phase stark verkürzt
  • die Sterbeverfügung kann nach Ablauf dieser Frist bei Notar*innen oder Patientenanwält*innen errichtet werden. Die Sterbeverfügung wird zur Dokumentation und Nachvollziehbarkeit in einem Register eingetragen und ist für ein Jahr gültig

Mit der Sterbeverfügung ist es möglich ein Medikament bei einer Apotheke abzuholen und durch die Einnahme das Leben selbstständig zu beenden. Es ist auch möglich, dass eine andere Person beauftragt wird das Medikament abzuholen, diese muss in der Sterbeverfügung genannt werden. Die Hilfeleistung ist freiwillig. Niemand ist verpflichtet, Hilfeleistung anzubieten, darf aber auch nicht benachteiligt werden, wenn er oder sie dies tut (Bundesministerium für Justiz, 2022).

Das Medikament kann peroral eingenommen oder über die PEG-Sonde oder intravenös appliziert werden. Bei der Einnahme des Medikaments ist zu beachten, dass die betroffene Person das Medikament selbst einnehmen muss bzw. die Verabreichung über die PEG-Sonde oder Infusion selbst durchführen und z. B. die Klemmen am Sondenschlauch öffnen muss.

Auswirkungen auf den Bereich Pflege der Caritas Wien

Vor diesem Hintergrund wurde im Bereich Pflege der Caritas Wien bereits bei Ankündigung der gesetzlichen Änderungen überlegt, wie dieser neuen Regelung im Kontext der Langzeitpflege begegnet werden kann und welche Unterstützung Mitarbeiter*innen in der Pflege benötigen.

Orientierungsrahmen

In einem ersten Schritt wurde durch die Caritas Österreich und die österreichische Ordenskonferenz ein Orientierungsrahmen erarbeitet. Ziel ist es sowohl für katholische Träger*innen von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen als auch für die Mitarbeiter*innen Orientierung im Umgang mit dem Thema des assistierten Suizids zu schaffen. „Er beschreibt Haltungen und skizziert, wie wir uns als katholische Einrichtungen verhalten, welche organisatorischen Maßnahmen wir setzen bzw. in welchem Rahmen unser Handeln möglich ist“ (Caritas und Ordensgemeinschaft Österreich, 2022, S. 2).

Der Orientierungsrahmen stellt klar, dass assistierter Suizid niemals Teil des Angebots-Spektrums katholischer Träger*innen von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen sein kann. Es werden daher weder Beratungsleistungen zur Umsetzung noch die Bewerbung, Kontaktherstellung oder Beteiligung an Angeboten für einen assistierten Suizid durchgeführt. Auch die Durchführung selbst und die Anwesenheit der Mitarbeiter*innen bei der Vollziehung des assistierten Suizids werden ausgeschlossen.

Dennoch ist das Bewusstsein vorhanden, dass Bewohner*innen aus Pflegewohnhäusern oder Kund*innen aus der mobilen Pflege sich uns anvertrauen und gegenüber Mitarbeiter*innen oder Freiwilligen den Wunsch nach assistiertem Suizid äußern können. Die Aufgabe der Caritas Pflege ist es hinzuhören und die individuellen Bedürfnisse und Wünsche der Personen ernst zu nehmen. Es werden Begleitgespräche durch Personen mit Expertise im Bereich Hospiz- und Palliative-Care initiiert, um den Sterbewunsch und dessen Ursachen besser verstehen zu können. So ist es möglich unterstützende Maßnahmen und Optionen aufzuzeigen, um die Entscheidung für ein Weiterleben zu fördern. Entscheidet sich jemand trotzdem für den assistierten Suizid, so muss dies akzeptiert werden (Caritas und Ordensgemeinschaft Österreich, 2022).

Laufende Information und Fortbildungen für Mitarbeiter*innen

Alle Mitarbeiter*innen wurden zunächst über die gesetzlichen Änderungen und die Unterstützung durch das Caritas Pflege-Ethikkomitee informiert. Um das Thema ausführlich zu behandeln, Begrifflichkeiten zu erklären und Fragen zu beantworten gibt es Fortbildungen für Mitarbeiter*innen aus dem Bereich Pflege. Ziel der Fortbildungen ist es niemanden mit der neuen Situation alleine zu lassen und sämtliche Fragen und Sorgen ernst zu nehmen. Die Mitarbeiter*innen werden über das Sterbeverfügungsgesetz, den Orientierungsrahmen, über die erarbeiteten Prozesse und die Tätigkeit des Ethikkomitees informiert (Hackl, 2021). Bislang haben 400 Mitarbeiter*innen, alle Führungskräfte, sämtliche Palliativbeauftragte und alle Seelsorger*innen die Fortbildung besucht. Zudem werden laufend Newsletter mit aktuellen Informationen und Antworten zu offenen Fragen von Mitarbeiter*innen versandt.

Caritas Pflege-Ethikkomitee und Prozessentwicklung

Das Caritas Pflege-Ethikkomitee nimmt eine zentrale Rolle ein, um Mitarbeiter*innen in der Praxis in herausfordernden Situationen zur Seite zu stehen, zu beraten und zu begleiten. Das Komitee besteht aus mehreren Personen mit unterschiedlichen Expertisen und beinhaltet juristische, medizinische, pflegerische, Hospiz- und Palliativ Care sowie ethische Kompetenzen. Um Orientierung und Sicherheit zu geben wurde festgelegt, welche Schritte folgen, wenn ein*e Bewohner*in oder ein*e Kund*in den Wunsch nach assistiertem Suizid äußert. Zunächst informiert der*die Mitarbeiter*in die direkte Führungskraft und ggf. den*die Hausärzt*in. Innerhalb von zwei bis fünf Tagen findet ein virtuelles Treffen zwischen den Mitgliedern des Ethikkomitees und den jeweiligen Führungskräften sowie der zuständigen Wohnbereichsleitung bzw. im mobilen Pflegebereich mit der zuständigen Stationsleitung statt. Ziel dieses Treffens ist es erste Informationen zu sammeln und gemeinsam nächste Schritte zu vereinbaren. Es findet auch eine erste Reflexion und weitere Informationssammlung im jeweiligen Team statt. Anschließend wird eine Fallbesprechung in Präsenz mit dem Betreuungsteam, den jeweiligen Führungskräften und Mitgliedern des Ethikkomitees vereinbart, um die Standpunkte der Mitarbeiter*innen abzuholen und Informationen über den*die Bewohner*in bzw. den*die Kund*in zu sammeln. Bei Bedarf wird auch der rechtliche Rahmen sowie der Orientierungsrahmen vom Ethikteam präsentiert. Mitarbeiter*innen werden durch das Ethikkomitee beraten, begleitet und gestärkt und die getroffenen Entscheidungen werden gemeinsam durch das Ethikkomitee, die Mitarbeiter*innen und Führungskräfte verantwortet.

Die entsprechenden Situationen werden in jedem Treffen evaluiert und weitere Unterstützung wird durch das Ethikkomitee angeboten. Die Anwesenheit der betroffenen Person beim ethischen Konsil ,ist nicht vorgesehen, da es zu Überforderung und Verunsicherung führen kann. Bewohner*innen bzw. Kund*innen können ggf. von einzelnen Personen des Ethikkomitees vorab besucht werden.

Gemeinsam werden in der Fallbesprechung Alternativen erarbeitet und die weitere Vorgehensweise geplant. Das Ziel ist in jedem individuellen Fall eine gute Entscheidung mit den beteiligten Personen vor Ort zu treffen und beratend zur Seite zu stehen, wie mit dem Wunsch nach assistiertem Suizid umgegangen werden kann. Zusätzlich kann eine Begleitung und Unterstützung durch eine Ethikerin und eine Seelsorgerin von Mitarbeiter*innen in Anspruch genommen werden. Die Begleitung wird über das Ethikkomitee initiiert (Caritas Pflege, 2022b,c). Mitwirkende Instrumente wie eine Checkliste für das Ethikkomitee sowie ein Dokument zur Vorbereitung der Fallbesprechung wurden entwickelt, um den Ablauf der Fallbesprechung zu unterstützen (Caritas Pflege, 2022a).

Evaluierung und bisherige Erfahrungen

Die Evaluierung der gesetzten Maßnahmen und Vereinbarungen erfolgt innerhalb der regelmäßigen Treffen des Ethikkomitees und bei Bedarf auch mit dem Team des Pflegewohnhauses bzw. der mobilen Pflege (Hackl, 2021). In diesen Treffen werden alle Fälle und die gesetzten Maßnahmen besprochen, diskutiert und reflektiert. Anhand der gewonnenen Learnings werden die Prozesse angepasst und verändert. Diese Learnings und Veränderungen werden ebenso in Newslettern zusammengefasst und an alle Führungskräfte ausgesandt.

Jeder Mensch und jede Situation ist individuell, daher ist es nicht möglich ein Patentrezept zu entwickeln und dieses immer wieder anzuwenden. Es wurden Prozesse und Vorgehensweisen entwickelt um gemeinsam gut mit dem Thema umzugehen, sorgsam und achtsam zu sein, betroffene Personen ernst zu nehmen, Alternativen zu suchen und dennoch einen feststehenden Wunsch nach assistiertem Suizid zu akzeptieren. Wichtig ist, die Haltung der Organisation zu klären, Wissen anzueignen und dieses weiterzugeben, Mitarbeiter*innen und Führungskräften Sicherheit zu geben und nötige Reflexionsräume zu schaffen (Hackl, 2022).

Der Umgang mit dem Thema des assistierten Suizids wird immer wieder Herausforderungen, damit jedoch auch neu gewonnene Lernerfahrungen mit sich bringen. Wir betrachten diesen Lernprozess als unseren ständigen Begleiter und begegnen weiterhin jeder Situation und jedem Menschen individuell.

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Literatur

Bundesministerium für Justiz – BMJ (2022). Sterbehilfe.https://www.bmj.gv.at/themen/Fokusthemen/Dialogforum-Sterbehilfe.html

Caritas Pflege (2022a). Checkliste Ethikkomitee.

Caritas Pflege (2022b). Prozessleitfaden assistierter Suizid PWH.

Caritas Pflege (2022c). Prozessleitfaden assistierter Suizid PZH.

Caritas Pflege (2022c). Vorbereitung Fallbesprechung assistierter Suizid.

Caritas und Ordensgemeinschaft Österreich (2022). Vorläufiger Orientierungsrahmen für den Umgang mit dem Wunsch nach assistierten Suizid.

Hackl, G. (2021). Workshop assistierter Suizid für Mitarbeiter*innen. Wien.

Hackl, G. (2022). Mitarbeiter*innen zwischen Autonomie und Fürsorge. Wien.

Zur Person

Gabriela Hackl

Zentrale Pflegedienstleiterin und wirtschaftliche Leiterin der mobilen und stationären Dienste der Caritas Pflege NÖ Ost

Leiterin des Caritas Pflege Ethikteams

gabriela.hackl@caritas-wien.at

Carina Brauneis

Projektmanagerin Fachstelle Qualität und Innovation

Caritas Pflege

carina.brauneis@caritas-wien.at

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