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Esther Matolycz
Wer pflegt, darf Medizin studieren?

Die Plätze fürs Medizinstudium sind knapp, zugleich steht die Sinnhaftigkeit des österreichischen Aufnahmetests in Frage. Nun macht ein neuer Vorschlag von sich reden, besser gesagt, wird laut über unterschiedliche Möglichkeiten der Neuorganisation nachgedacht. Eine davon: ein einjähriges Pflegepraktikum. Wer es absolviert, darf das Medizinstudium beginnen, sofern ein Gremium im Anschluss positiv entscheidet. Dies soll anstelle des Aufnahmetests treten[1].

Auf den ersten Blick mag das Vorteile bringen. Es hat aber auch einige Implikationen, und die sind nicht unproblematisch – überhaupt, wenn man die Sache aus Perspektive der (Aus)Bildung betrachtet.

 

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Was mag die Idee hinter einem solchen Vorschlag sein?

Etwas wie: die ernsthafte Absicht, Medizin zu studieren, muss unter Beweis gestellt werden – das vielleicht. Dazu kommt, dass Pflegende gesucht sind. Und so kann es als Lösung erscheinen, zwei Dinge zusammenzubringen, nämlich Mangel hier und sehr viele Bewerber*innen dort.

Auch könne man im Pflegepraktikum Empathie-Fähigkeit zeigen, so einige Leser*innenkommentare[1] zur entsprechenden Berichterstattung.

So nachvollziehbar das alles klingt, so viele unausgesprochene Aussagen enthält es.

Stimmt nicht, so lautete die Antwort, wenn man während der Pflegeausbildung als halber Arzt oder halbe Ärztin bezeichnet wurde. Weil Pflege etwas anderes ist, etwas eigenes. Es dauerte einige Jahrzehnte, bis sich das herumgesprochen hatte (jedenfalls so einigermaßen).

Nun scheinen in diesem Praktikum tatsächlich auch pflegerische Tätigkeiten angedacht, und zwar: „Einfache Pflegetätigkeiten und im Laufe der Zeit anspruchsvollere Aufgaben (…)[2]

Die Idee, Menschen, die sich für die Ausübung des Berufs der Mediziner*in interessieren, in ein solches Praktikum zu drängen, weist die Idee der Eigenständigkeit von Pflege zurück.

Die Message ist nämlich nicht: du willst das eine werden, machst aber davor aber das andere, um deine Eignung unter Beweis zu stellen (das wäre auch unlogisch), sondern Pflege ist darin als „Vorbau“ zur Medizin gesehen, quasi als Empfangszimmer, bis man weiter darf.

Dem ist – wieder einmal – eingeschrieben, dass Pflege mit etwas gutem Willen schon irgendwie zu bewerkstelligen ist.

Ja, Pflegestudierende beziehungsweise Auszubildende in der Pflege machen auch ein Praktikum. Aber eines, auf das sie vorbereitet werden.

Plötzlich sollte aber wieder der bloße Wille (der hier noch nicht einmal einer sein muss) genügen?

Mit Sicherheit gibt es auch Tätigkeiten, die für interessierte Lai*innen (und nicht anderes sind Studienplatzanwärter*innen, das sollte man nicht vergessen) geeignet sind, aber selbst da wird sich zeigen, dass sie Einführung und Begleitung brauchen. Ansonsten gilt weiterhin, was professionell Pflegende wissen, nämlich: Manches, das im Rahmen professioneller Pflege geschieht, kann auch von Lai*innen geleistet werden. Trotzdem ist es nicht dasselbe. Und günstigerweise spiegelt sich dieser Unterschied im Rückgriff auf Theorie und Evidenz und deren anschließender Einpassung in die Situation. Also in dem, was Patricia Benner als jene Form der Expertise bezeichnet hat, die sich in Jahren (!) nach absolvierter Berufsausbildung bzw. Studium entwickelt – und auch das nur unter der Bedingung, dass bestimmte Formen der Reflexion erfolgen.

Je weniger aber aus der Theorie mitgebracht wird, desto mehr muss angeleitet und begleitet werden. Übernommen würde das (selbstverständlich?) von Pflegenden werden, die allerdings schon Enormes leisten, wenn sie den praktischen Teil der Gesundheits- und Krankenpflegeausbildung bzw. des –studiums abdecken.

Denkbar wäre auch, dass man settingbezogen differenziert: eher in Wohnbereichen oder der Langzeitpflege als im Akutbereich – was wiederum zur Hierarchisierung führen würde, mit dem sattsam bekannten Fazit, dass im „Altersheim“ jeder und jede arbeiten kann (tatsächlich finden sich gerade im Langzeitbereich oft besonders komplexe Pflegesituationen).

Und sollten – auch so wird der Vorschlag ausgelegt – doch keine pflegerischen Tätigkeiten verrichtet werden, sondern hauswirtschaftliche, dann handelt es sich nicht um Pflegepraktikum.

Interessant wäre schließlich, wer dann im Entscheidungs-Gremium sitzt (der Idee gemäß soll es ja eines geben, und letztendlich soll dort bestimmt werden, wer für das Medizinstudium geeignet scheint). Pflegende? Mediziner*innen? So oder anders muss sich die Katze in den Schwanz beißen. Weder können Pflegende die Eignung für ein Medizinstudium beurteilen, noch zeigt eine Eignung für die Pflege (einmal angenommen, dass die Sache mit dem Pflege-Praktikum funktioniert), auch die für den Arztberuf.

Dazu kommt noch eines: Klient*innen von Pflege haben ein Recht auf professionelle Pflege und Betreuung. Ja, es gab sie schon, die „angelernten“ Pflegenden. Und zwar, bevor das Berufsbild der damaligen Pflegehilfe (mit einjähriger Ausbildung) eingeführt wurde, nur gab es – abgesehen davon, dass man dorthin weder zurück will noch soll – einen gravierenden Unterschied. Wer im damaligen Sanitätshilfsdienst tätig wurde, der wollte pflegen. Wer ein – immerhin – einjähriges Praktikum durchlaufen muss, bevor er oder sie mit dem Wunschstudium starten kann, wird es mit mehr oder auch weniger Engagement durchlaufen, und Ausnahmen mag es in beide Richtungen geben. Wesentlich ist: der ausdrückliche Berufswunsch der Praktikzierenden wird die Pflege nicht sein, und so gerät sie zur Notwendigkeit. Gewiss keine gute Voraussetzung für einen der sensibelsten Bereiche überhaupt, denn letztlich würde Pflege zur Pflicht erklärt, als Hürde, die es zu nehmen gilt.

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Fußnoten

[1] https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2167107-Pflegepraktikum-statt-Aufnahmetest.html

[1] https://www.derstandard.at/story/2000140598956/erneut-debatte-um-medizin-aufnahmetests

[2] https://www.kleinezeitung.at/steiermark/6210929/Test-falscher-Weg_Primar-Kerbl-schlaegt-Pflegepraktikum-statt

Literatur

Erneut Debatte über Medizinaufnahmetests. (o. A.). Der Standard (7.11.2022)

https://www.derstandard.at/consent/tcf/story/2000140598956/erneut-debatte-um-medizin-aufnahmetests

Pflegepraktikum statt Aufnahmetest? (o.A.) Wiener Zeitung (7.11.2022)     https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2167107-Pflegepraktikum-statt-Aufnahmetest.html

Primar Kerbl schlägt Pflegepraktikum statt Medizin-Aufnahmetest vor (4.11.2022) Kleine Zeitung

https://www.kleinezeitung.at/steiermark/6210929/Test-falscher-Weg_Primar-Kerbl-schlaegt-Pflegepraktikum-statt

Benner P (1994) Stufen zur Pflegekompetenz. From novice to expert. Aus

dem Engl. von Matthias Wengenroth. Bern, Göttingen, Toronto, Seattle:

Huber

Zur Person

Esther Matolycz, Mag. Dr. phil. DGKP, LfGuK,

Studium der Erziehungs-/Bildungswissenschaft und Publizistik, tätig in der Aus-, Fort- und Weiterbildung im Pflege- und Sozialbereich.

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