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Esther Matolycz
Millenials und Nexters: Die Angst, zu kränken 

Ein Beitrag zur Generationenforschung (Lackner 2018) beschäftigt sich mit den Mustern der Interaktion von Millenials und Nexters. Es handelt sich dabei um die Generationen Y (Millenials, geboren 1981-1995) und Z (Nexters, geboren ab 1995). Wenig überraschend hat die Digitalisierung ihre Spuren hinterlassen; in Sachen Kontaktaufnahme scheint (so eines der Ergebnisse) digitalisierte Kommunikation über soziale Netzwerke beliebt zu sein, während direktes Herantreten im Miteinander eher Verunsicherung erzeugt. Dazu kommen scheinbar auch Formen der Gleichgültigkeit. Ein großes Wunder? Nein.

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Vorsicht und Gleichgültigkeit

Zunächst ist die Welt, in der Millenials und Nexters leben, unter anderem durch Globalisierung und Digitalisierung geprägt; im Arbeitseben äußert sich das konkret in Beschleunigung, dauernder Veränderung, Mehrfachzugehörigkeiten in Organisationen oder kürzerer Verweildauer (Lackner 2018:364).

Versucht man, diese Bilder konkret zu machen, zeigt sich, dass sowohl Dinge (vieles wird bewusst nicht auf Stabilität bzw. Haltbarkeit hin produziert) als auch Beziehungen kurzlebiger erscheinen, dass damit auch wenig Verbindlichkeiten existieren und man eben von einem Ort zum nächsten geht, sofern es erforderlich scheint und/oder sich dort Besseres ergeben kann.

Nun kommt genannte Studie zum Schluss, dass jüngere Generationen auf „direkte Kontaktangebote“ vergleichsweise vorsichtig reagieren und dies lieber in sozialen Netzwerken sehen, da man dort nicht unbedingt zu reagieren brauche (Lackner 2018: 376), die räumliche Distanz scheint also als „sicher“ empfunden zu werden.

In den Ergebnissen der Studie zeigt sich weiter eine „Toleranz der Gleichgültigkeit“, die die Autorin so beschreibt: „Alles ist gut, jeder darf sein wie er oder sie möchte. Skurrilitäten aller Art, bizarre Erscheinungsformen oder ungewöhnliche Verhaltensweisen werden nicht nur toleriert, sie werden auch nicht angesprochen. Jeder Versuch, Andersartigkeit ins Spiel zu bringen wird mit fehlender ‚political correctness‘ getadelt. Diese spezielle Form der Gleichgültigkeit trägt zur schon beschriebenen Kontakt- und Interaktionsarmut bei“ (Lackner 2018:377).

Ein großes Wunder? Nein. Die Angst, zu kränken bestimmt den Dialog

Man mag die Verunsicherung zunächst der großen Bedeutung sozialer Medien zuschreiben, deren Währung ja letztlich die Aufmerksamkeit (wenn auch über kurze Zeitspannen) ist. Alles will „effizient“ verwaltet werden. Ob Anzahl oder sogar Intensität von Kontakten: scheinbar lässt sich alles verwalten (nämlich zählen und vermessen). Unverbindlichkeit ist digital einfacher zu leben, was dort auch nötig ist: Kontakte in Zehner- und Hunderterzahlen können nur unter Aufbietung großer Effizienzlogik verwaltet werden; Emotionen und Bedürfnisse sind zwar vorhanden und „zeigen“ sich auch digital, aber die Dimension von Face to Face wird dort eben nie erreicht.

Vielleicht ist der Grund für kommunikative Zurückhaltung und Gleichgültigkeit aber auch die allgegenwärtig gewordene Sorge, ein falsches, unangebrachtes oder kränkendes Wort zu sagen. „Kränkbarkeit und Verletzlichkeit werden verabsolutiert; sie gelten als hinreichende Ursachen für „‚Gefahr im Verzug'“ (Pfaller 2018, S. 48) – und damit ist die Kehrseite der Bemühungen um sprachliche Korrektheit, gerechte Sprache, Safe-Spaces usw. klar und deutlich benannt. Fühlt sich jemand getriggert, in unpassender Weise angesprochen oder nicht mitgemeint, so kann das derzeit die Dynamik im Nu umschlagen lassen, und dabei ist es völlig uninteressant, was intendiert war; vielmehr scheint zu gelten: „‚ Wer sich verletzt, beleidigt etc. fühlt, hat recht“, worin sich eine Denkart spiegelt, die in der Literaturtheorie der 1960er Jahre ihren Ausgang nimmt, die nämlich „(…) erklärte, die Bedeutung eines Textes werde vom Leser, nicht vom Autor bestimmt“ (Pfaller 2018, S. 55).

Das hat Brisanz, und ist zugleich Teil des kommunikativen Alltags geworden. Kaum ist die Kränkung am Tisch, können Inhalte und vielleicht Gemeintes nachrangig sein; der Raum gehört dem Befinden.

Dem Wort, der Phrase wird damit große Bedeutung gegeben, die allerdings eines nicht bedenkt: der analoge Anteil von Kommunikation (also Mimik, Gestik, Sprachmelodie, Betonung usw.) gibt Aufschluss über die Beziehung (und durchaus auch darüber, wie etwas verstanden werden soll!). Be Watzlawick klingt das (bekanntlich) so:

„Wir dürfen ferner vermuten, dass der Inhaltsaspekt digital übermittelt wird, der Beziehungsaspekt dagegen vorwiegend analoger Natur ist“ (Watzlawick et al. 2007, S. 64).

Das heißt nichts anderes als: analoge Kommunikation stellt durch, wie etwas gemeint ist, wobei überall dort, „wo die Beziehung zum zentralen Thema der Kommunikation wird“, sich „digitale Kommunikation als fast bedeutungslos“ erweist (Watzlawick et al. 2007, S. 64),

Worte – oder das Verhältnis dazu?

Das lässt sich sehr einfach paraphrasieren: zeige ich auf analogem Weg (Gestik, Mimik, Sprachmelodie, Klangfarbe etc.) meine Wertschätzung und mein Wohlwollen, so wird es nachrangig sein, ob die – nach bestem Gewissen gewählte – digitale Sprachform (also das exakte Wort) getroffen ist. Und sollte selbst eine unbeabsichtigte Kränkung erfolgen, so wird der analoge Anteil von Kommunikation in der Lage sein, das aufzulösen.

Ist das verinnerlicht, kann der Fokus auf das Gemeinte gelegt und die Form gegenüber dem Inhalt getrost auch einmal hintangestellt werden. Soweit die Theorie.

Die Bemühungen um korrekte und gerechte Sprache werden nämlich auch kritisch gesehen, und nicht umsonst.  Natürlich versuche man, so der Philosoph Robert Pfaller in einem Interview zum Thema, „andere Menschen beim Sprechen nicht ungewollt zu kränken oder zu beleidigen.“ Es empfehle sich dabei, „wie ein vernünftiger Mensch zu ihnen zu sprechen.“ Allerdings sei die derzeit anzutreffende Vielfalt der Bemühungen um sprachliche Korrektheit nicht allein der Absicht, niemanden auszuschließen oder zu beleidigen geschuldet, sondern: „Diese Sprachtricks dienen ja nicht so sehr dazu, Dritte zartfühlend zu benennen. Sie haben in erster Linie die Funktion, die Zweiten, also die, zu denen man spricht, sozial zu überbieten und sie pädagogisch zu unterwerfen“ (Nimmervoll 2018).

Demnach geht es also um eine Art Wettbewerb. Wer spricht Dritte korrekt an, wer inkludiert, und wer tut es nicht – und kränkt.

Robert Pfallers Vorschlag, sich weniger auf das Wort allein zu konzentrieren, sondern zu sehen, „dass nicht die guten Worte, sondern vielmehr unser Verhältnis zu unseren Worten unser Sprechen charakterisiert“ (Pfaller 2018, S. 11) hat das Zeug, den Fokus aufs Wesentliche zu legen. Denn wenn aus Sorge davor, etwas Unangebrachtes zu sagen oder zu kränken, geschwiegen wird, wenn das sprachliche Zeichen mehr zählt als die Absicht des Sprechenden, dann wird die Sache schwierig. Ich schließe mich dem Vorschlag daher uneingeschränkt an.

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Literatur

Lackner K (2018) Millennials und Nexters: Veränderung von Interaktions‑, Beziehungs‑, Bindungs- und Affektmuster in gruppendynamischen Trainingsgruppen. In: GIO – Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie. 49: 49:361–378

Nimmervoll L (2018) Philosoph Robert Pfaller: „Moralisieren ist immer eine Verfallserscheinung“. (16.04.2018). DER STANDARD. https://www.derstandard.at/story/2000077974183/philosoph-robert-pfaller-moralisieren-ist-immer-eine-verfallserscheinung

Pfaller R (2018) Pfaller R (2018) Erwachsenenprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur. Fischer, Frankfurt am Main

Watzlawick P, Beavin J H, Jackson D (2007) Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. Verlag Hans Huber, Bern, 11., unveränderte Auflage

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