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Kathrin Kurrle
Von Amts wegen
§ Gerichtlich bestellte Pflegesachverständige in Deutschland

Im Hinblick auf den demografischen Wandel und der damit verbundenen höheren Lebenserwartung in Deutschland nimmt auch die Zahl der Pflegebedürftigen stetig zu. Diese Entwicklung und die daraus resultierenden Folgen sind hinlänglich bekannt und unterscheiden sich kaum von anderen vergleichbaren Ländern.

Die Webseite des Statistischen Bundesamts (Destatis) (2023) bietet hierzu entsprechend Literatur.

Auch die Versorgungsprozesse im Gesundheitswesen gestalten sich immer komplexer. Zudem gelangen Fragen bzgl. Versorgungs- und Behandlungsqualität in den Diskurs der Öffentlichkeit. In diesem Kontext werden Pflegesachverständige im Gesundheitswesen meines Erachtens an Bedeutung zunehmen.

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Pflegesachverständige in Deutschland

Die Bezeichnung „Pflegesachverständige(r)/Pflegegutachter(in)“ ist in Deutschland nicht geschützt. Nach erfolgreich abgeschlossener Ausbildung in einem Pflegeberuf, wäre es demnach möglich, sich als Pflegesachverständige(r)/Pflegegutachter(in) zu betiteln. Im Hinblick auf die Professionalität unserer Berufsgruppe wäre dies allerdings wenig dienlich. Um diese Tätigkeit seriös ausüben zu können, bedarf es eben nicht nur einer abgeschlossenen pflegerischen Berufsausbildung, sondern auch ein gewisses Maß an Berufserfahrung, Vertiefung der pflegefachlichen Kompetenzen sowie Aneignung wissenschaftlichen und juristischen Know-hows, welches nur über eine qualifizierende Weiterbildung zu erlangen ist.

Trotz ähnlicher Lehrpläne finden sich jedoch Unterschiede bei ergänzenden Thematiken, weshalb die verschiedenen Curricula der einzelnen Weiterbildungsinstitute miteinander verglichen werden sollten.

Die formalen Voraussetzungen, um die Weiterbildung zur*zum Pflegesachverständigen absolvieren zu können, variieren entsprechend der Vorgaben der Weiterbildungsinstitute und sind nachfolgend beispielhaft aufgeführt:

  • Pflegefachpersonen (abgeschlossene Berufsausbildung im Pflegebereich),
  • Berufserfahrung: 2 bis 5 Jahre (empfohlen sind mind. 3 Jahre),
  • erfolgreich abgeschlossene Weiterbildung z. B. zur Leitung einer Station/Pflegeeinheit/eines Pflegedienstes oder eine abgeschlossene Fachweiterbildung (im Umfang von mind. 400 Std.) bzw. vergleichbare Fort- und Weiterbildung

Einsatzmöglichkeiten für Pflegesachverständige:

Nach erfolgreichem Abschluss der Weiterbildung sind Pflegesachverständige Expert*innen auf ihrem Gebiet. Sie sind in der Lage, u. a. Bedarfslagen und Sachverhalte zu analysieren, zu beurteilen und einzuschätzen, weshalb die Einsatzmöglichkeiten, wie nachfolgend dargstellt, für Pflegesachverständige so umfassend und vielseitig sind.

 

Aufgabenfelder/Tätigkeiten:

  • Sozialrecht: SGB V – SGB XII (Terborg, 2022)
    • B. Einschätzung der Pflegebedürftigkeit und Ermittlung des Pflegegrades (Pflegegrade 1-5) SGB XI
    • Ermittlung Grad der Behinderung (GdB) bzw. von „Merkzeichen“ SGB IX
  • Haftungsrecht/Strafrecht (Terborg, 2022):
    • B. „grobe“ Fahrlässigkeit
    • „Pflegefehler“
  • Ordnungsrecht/Berufsrecht (Terborg, 2022):
    • B. Heimgesetz, Pflegeberufegesetz, Feststellung Qualitätsmängel
  • Familienrecht → Betreuungsrecht u. Vormundschaftsrecht (Terborg, 2022)
    • B. Freiheitsentziehende Maßnahmen (FEM), Betreuung
  • Beurteilung von Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität der Pflege/Pflegequalität und des Versorgungsprozesses
  • Erstellen fundierter Gutachten/Stellungnahmen u. a. für Gerichte, Organisationen, Versicherungen, Medizinischer Dienst, Privatgutachten.

 

Weitere Einsatzorte: Ambulante Pflegedienste, Heimbetreiber, Krankenhäuser etc.

Gerichtlich bestellte Pflegesachverständige:

Zunächst ist anzumerken, dass es eine öffentliche Bestellung oder Vereidigung von Pflegesachverständigen nach der Sachverständigenordnung der Industrie- und Handelskammer nicht gibt (Lang, 2023).

In Deutschland gibt es bis dato auch kein bundesweites Sachverständigen-/Gutachterregister. Vielmehr führen die Gerichte eigene Sachverständigen-/Gutachterregister auf die die Richter*innen Zugriff haben.

Aktuell gibt es scheinbar Bestrebungen der Pflegekammern Nordrhein-Westfalen (NRW) und Rheinland-Pfalz (RP), in Zukunft eine Änderung herbeizuführen.

Um als Pflegesachverständige für die Gerichte tätig werden zu können, bedarf es zunächst eines aussagekräftigen Bewerbungsschreibens mit der Bitte um Aufnahme in das jeweilige Sachverständigenregister eines Gerichts. Die Auswahl der Sachverständigen obliegt jedoch grundsätzlich dem Gericht. Dies wird allgemein in den §§ 402 bis 414 der Zivilprozessordnung (ZPO) geregelt.

Erfreulicherweise gab es in Deutschland in den letzten Jahren ein Umdenken dahingehend, dass zur Beurteilung pflegerelevanter Themen nicht mehr andere Professionen, ohne pflegerischen Sachverstand zur Beurteilung des Sachverhalts herangezogen werden sollten. Verankert ist dies seit 2020 im Pflegeberufegesetz (PflBG) § 4 Vorbehaltsaufgaben.

Pflegesachverständige werden von Amts wegen gemäß § 118 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i. V. m. §§ 402 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) zur/zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt. Sie werden gebeten ein Gutachten zu den beigefügten Beweisfragen entweder mittels persönlicher Befunderhebung (Hausbesuch) oder per Aktenlage zu erstellen. Unverzüglich ist dann zu prüfen, ob das Gutachten bzgl. des Fachgebiets übernommen werden kann und ob möglicherweise ein Grund der Befangenheit vorliegen könnte.

Der Hausbesuch ist per se entscheidend für die Beantwortung der Beweisfragen und Erstellung des Gutachtens. Dieser sollte sorgfältig vorbereitet sein (Aktenstudium, Biografiearbeit, Literaturrecherche). In der Vorbereitungsphase wählen Pflegesachverständige auch aus, welche Assessments ggf. beim Hausbesuch durchzuführen sind.

Der Aufbau eines Gutachtens unterliegt einer Systematik und wird in der Weiterbildung vermittelt. Das Gutachten muss stets nachvollziehbar und logisch aufgebaut sein. Pflegefachliche Gutachten sind zudem unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlichen Stands zu erstellen, müssen präzise formuliert, sachlich, plausibel, wertefrei sowie verständlich für Richter*innen und Laien sein.

Oberstes Gebot ist die Neutralität, da Sachverständigengutachten zur Urteilsfindung beitragen.

Gemäß den Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes (Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland) sind Pflegesachverständige angehalten, eine jährliche Aktualisierung ihres Fachwissens im Umfang von mind. 16 Stunden zu absolvieren.

Nach Fertigstellung des Gutachtens und postalischem bzw. elektronischem Versand, ist der Auftrag für die*den Pflegesachverständigen in der Regel abgeschlossen. Selten kommt es vor, zum Sachverhalt erneut Stellung nehmen zu müssen. Eine Vorladung der*des Pflegesachverständigen zu einer Verhandlung kommt weniger in sozialgerichtlichen als im Rahmen z. B. zivilrechtlicher Verfahren (Schmerzensgeld- und Schadensersatzforderungen) vor.

Da Gutachten nicht nur im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten bzgl. Einstufung der Pflegebedürftigkeit, sondern u. a. auch zu gesellschafts-, sozial- oder gesundheitspolitischen Fragestellungen erstellt werden, variieren die Beweisfragen in Umfang und Inhalt.

Fazit:

Eine Differenzierung zwischen allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen in der Pflege und „Pflegegeldgutachter*innen“ wie dies in Österreich vorgenommen wird, erfolgt in Deutschland nicht. Auch muss keine Prüfung bei Gericht abgelegt werden, um in das Sachverständigenregister aufgenommen zu werden. In Deutschland hingegen ist eine qualifizierte Weiterbildung von mind. einem Jahr mit Prüfung zwar nicht zwingend erforderlich, jedoch dringend zu empfehlen. Grundsätzlich wird auf die Eigenverantwortlichkeit der Pflegesachverständigen gesetzt.

Im Hinblick auf gerichtlich bestellte Pflegesachverständige finden sich im Ländervergleich Österreich und Deutschland einige Unterschiede, die nicht von der Hand zu weisen sind. Dies mag länderspezifisch begründet und möglicherweise, wenn überhaupt, nur bedingt änderbar sein. Dennoch könnten Pflegesachverständige beider Länder ggf. trotz aller Unterschiede gemeinsame Ziele verfolgen und auch zur Weiterentwicklung des Berufsbildes beitragen.

Pflegesachverständige führen bis dato im Gesundheitswesen eher ein „Nischendasein“, obwohl diese zur Professionalisierung und Qualität der „Pflege“ mit beitragen.

Insofern freue ich mich auf einen regen Austausch mit den Kolleg*innen bei der Paneldiskussion auf dem Pflegekongress23 in Wien und bin gespannt, ob hieraus Synergien generiert werden können.

        13.10.2023 (13:30 – 14:30 Uhr):

Panel:Pflegesachverständige D:Ö – was wir voneinander lernen können und entwickeln müssen“ (Gerlinde Winter, Kathrin Kurrle, Jana Bockholdt, Annelies Fitzgerald, Renate Kraus)

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Literatur

Lang, U. (2013). Pflegewissenschaftliche Gutachten in zivilen Rechtsstreitigkeiten. Mabuse-Verlag GmbH.

Statistisches Bundesamt (Destatis) (2023). Pflege: Pflegebedürftige in Deutschland. Abgerufen am 20.05.2023:

Terborg, B. C. (2022). Die Qualifikation zur/m Pflegegutachter*in. Standards, Erfahrungen, Angebote [Konferenzbeitrag]. 1. Bayrischer Gutachter*innentag, Witten, Deutschland. Abgerufen am 23.05.2023: https://www.vdpb-bayern.de/wp-content/uploads/2022/07/220712_Vortrag-Gutachtertag_Terborg.pdf

Zur Person

Kathrin Kurrle

Gerichtsgutachterin
Unabhängige Pflegesachverständige im Gesundheitswesen (WIFAP)
Zertifizierte Sachverständige Gutachterin  (DGuSV)
Verfahrenspflegerin nach dem Werdenfelser Weg (TÜV Rheinland)

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