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Gewalt gegen Gesundheitspersonal in Österreich
Eine Pilotstudie aus vorpandemischer Zeit

Gewalt gegen Gesundheitspersonal ist ein globales Problem. Aggressionen am Arbeitsplatz schaden Mitarbeiter*innen physisch und psychisch und tragen zu einem Anstieg der Krankenstände und einer hohen Fluktuation bei. Unsere Studie befasste sich aus einer qualitativen, holistischen Perspektive mit dem Ist-Zustand in einem österreichischen Krankenhaus und gab Empfehlungen für Verbesserungen ab.

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Gewalt gegen Gesundheitspersonal ist ein globales Problem (WHO, 2002). Studien zeigen vier Hauptgründe dafür: Alkoholkonsum, Drogenkonsum, Personalmangel und lange Wartezeiten (d´Ettore et al., 2018;, Ampos et al., 2020). Die Literatur nennt außerdem zwei Gruppen von Patient*innen, von denen Gewalttaten „eher erwartet“ werden – Menschen mit psychischen Erkrankungen und Menschen mit der Diagnose Demenz oder Alzheimer (d’Ettorre et al., 2018 Shafran-Tikva et al., 2017). Studien zeigen auf, dass oft zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden, um das Personal zu schützen, z. B. Arbeit mit diesen Gruppen um eine patient*innensensible Versorgung zu gewährleisten. Seit 2017 gibt es diesbezüglich auch für Österreich eine Strategie, die von der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) entwickelt wurde und den Titel „Demenzkompetenz im Spital, eine Orientierungshilfe“ trägt (Juraszovich & Rappold, 2017).

Aggressionen am Arbeitsplatz schaden Mitarbeiter*innen physisch und psychisch und tragen zu einem Anstieg der Krankenstände und hohen Fluktuation bei. Die höchsten Inzidenzraten beim Gesundheitspersonal sind bei Gesundheits- und Krankenpfleger*innen zu verzeichnen, die ihren Job daher nach einigen Berufsjahren aufgeben (Lanctôt & Guay 2014, Eurofound 2015).

Dramatische Ereignisse wie der Mordversuch an einem österreichischen Kardiologen im Wartebereich einer Notaufnahme im Juli 2019 erregten mediale Aufmerksamkeit (Der Standard, 10.07.2019). Unklar ist, ob Angriffe auf Krankenhauspersonal zunehmen oder ob die Presse dem Thema einfach mehr Aufmerksamkeit schenkt (Stefan & Dorfmeister, 2007). Für die Zeit des Beginns der SARS-CoV-2-Pandemie gibt es einige Hinweise darauf, dass die COVID-19-Vorschriften in Krankenhäusern zu einer höheren Inzidenz von Fällen geführt haben (Ärzteblatt, 2020).

Generell bleiben gewalttätige Vorfälle im Krankenhausalltag jedoch für die Außenwelt oft unsichtbar. Eine interne Sichtbarkeit wird durch die offizielle Meldung von Vorfällen gewonnen, vor allem durch Einträge in Critical Incident Reporting Systems (CIRS), die in den Krankenhäusern für das Qualitäts- und Risikomanagement existieren. Meldesysteme sollen es dem Krankenhausmanagement ermöglichen, Daten über Gewaltvorfälle zu sammeln und Abhilfemaßnahmen zum Schutz ihrer Mitarbeiter*innen zu planen, wie es das österreichische Arbeitnehmerschutzgesetz (Bundesgesetz) vorsieht.

Unsere Forschung zeigte jedoch, dass das System des Partnerkrankenhauses fehleranfällig ist und nicht genügend Informationen erfasst, was Auswirkungen auf die Sicherheit des Personals hat.

Zwischen Januar und März 2020 nutzte unser Team in Zusammenarbeit mit einem Krankenhaus in Österreich die Datentriangulation, um Informationen für eine Pilotstudie zu Gewalt zu sammeln und zu analysieren. Das Ziel war anschließend Empfehlungen für Veränderungen zu formulieren. Das Krankenhaus ist für diesen Beitrag anonymisiert worden.

Es liegt im städtischen Raum und hatte zum Zeitpunkt der Forschung lediglich Sicherheitspersonal für die Nacht im Wartebereich der Notfallaufnahme als Maßnahme zur Prävention bzw. zum Schutz der Mitarbeiter*innen implementiert. Die Leitung war jedoch stark daran interessiert, sowohl CIRS zu verbessern als auch generell Schutzmaßnahmen für alle zu erarbeiten und umzusetzen.  Vor Beginn der Datenerhebung wurden die Einträge aus CIRS von 2009 bis 2019 analysiert und im Herbst 2019 Empfehlungen zur Verbesserung des Systems erarbeitet.

Zur Analyse der Meldesystemeinträge und deren Verknüpfung wurde die Dokumentenanalysemethode von Prior (2011) verwendet und durch interne Informationen zum Krankenhaus ergänzt. Unsere systematische Literaturrecherche zeigte, dass das Thema in Europa und vor allem in Österreich wissenschaftlich weniger diskutiert wird als wir ursprünglich erwartet hatten. Allerdings wurde uns von Mitarbeiter*innen des Gesundheitswesens in informellen Gesprächen berichtet, dass viele Krankenhäuser interne Umfragen zum Auftreten von Gewaltvorfällen durchführen, um zusätzliche Maßnahmen zum Schutz ihrer Mitarbeiter*innen zu planen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen werden jedoch häufig nicht veröffentlicht, möglicherweise, weil ein schlechter Ruf des Krankenhauses befürchtet wird (laut Insider-Kommentar eines Qualitätsmanagers aus dem Jahr 2019). Für einen ersten Eindruck und zur Schaffung eines möglichst holistischen Zugangs führten wir vor Interviewstart im Jänner 2020 nicht-teilnehmende Beobachtungen im Wartebereich der Notaufnahme an unterschiedlichen Tagen und zu verschiedenen Tages- bzw. Nachzeiten durch.Das Führen von Interviews startete im Jänner und wurde am 10. März 2020 durch die pandemiebedingten Zugangsbeschränkungen für Krankenhäuser in Österreich abgebrochen. Wir konnten 29 problembasierte Interviews führen (von 110 Mitarbeiter*innen, einschließlich der Stations- und Bereichsleitungen), welche mittels qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet wurden (Mayring, 2015).

Zusätzlich wurden zwei Interviews mit Führungskräften zwei verschiedene Sicherheitsfirmen geführt, deren Informationen zum besseren Verständnis für deren Zuständigkeiten und ihre Erfahrungen in der Bewachung von Krankenhäusern beitrugen.

Ergebnisse

Insgesamt zeigen die Daten der interviewten Gesundheits- und Krankenpfleger*innen, Ärzt*innen, Pflegehelfer*innen und Verwaltungsassistent*innen, dass sie Gewaltvorfälle häufig nicht offiziell melden, sondern auf die unmittelbare Unterstützung ihrer Kolleg*innen während des Vorfalls und der späteren Nachbesprechung mit der Bereichsleitung zurückgreifen bzw. auch darauf angewiesen sind. Vorfälle werden mündlich an die Stations- und oder Bereichsleitungen gemeldet, die die Stationen koordinieren. Sie werden jedoch nicht in CIRS gemeldet.

Alle Personen berichteten, dass es mindestens einmal pro Woche bis hin zu jeden Tag zu gewalttätigen Vorfällen komme. Dabei handelt es sich meist um verbale Aggressionen gegen Pflegekräfte und das Empfangspersonal, die für die Aufnahme von neuen Patient*innen verantwortlich sind. Einträge in das Meldesystem stammten meist von Sicherheitskräften, die zur dienstlichen Führung von Aufzeichnungen verpflichtet sind. Die befragten Mitarbeiter*innen waren sich der rechtlichen Verantwortung ihres Arbeitgebers zur Umsetzung von Schutzmaßnahmen häufig nicht bewusst. Vielen war nicht bekannt, wer in ihrer Organisation offiziell für die Aufarbeitung von Gewaltdelikten zuständig ist. Insbesondere zeigten Mitarbeiter*innen, die mit Patient*innen mit demenziellen Erkrankungen arbeiteten, eine tolerantere Haltung gegenüber gewalttätigem Verhalten. Sie erkannten die hilfreiche Anwesenheit von Angehörigen der Patient*innen oder des Pflegeheimpersonals an.

Eine vorherrschende Einstellung war: „Da muss man klarkommen“. Die Verknüpfung der Antworten der Pflegekräfte mit ihren demografischen Daten ergab, dass ältere Pflegekräfte Gewaltvorfälle eher als Teil ihrer Arbeit ansehen. So bemerkte beispielsweise eine Interviewpartnerin: „Wenn Sie das nicht ertragen, ist dieser Job nichts für Sie“.

Jüngere Pflegekräfte, die mit größerer Wahrscheinlichkeit eine Schulung im Umgang mit gewalttätigen Vorfällen erhalten hatten, zeigten weniger Bereitschaft, damit umzugehen, meldeten sich eher zu Wort und baten um Hilfe. Das Sichtbarmachen von Vorfällen über das interne Meldesystem wurde von den Mitarbeiter*innen nicht als wirksame Maßnahme verstanden. Nachdem wir unsere Erkenntnisse mitgeteilt hatten, gestaltete die Krankenhausleitung das System neu, um es den Mitarbeiter*innen zu erleichtern, Vorfälle zu melden. Dies ist wichtig: Während die Zeit, die für die Dokumentation von Vorfällen zur Verfügung steht, in einem geschäftigen Krankenhausumfeld verständlicherweise begrenzt ist, benötigt das Krankenhausmanagement einen quantitativen und qualitativen Nachweis eines Problems, bevor sie Abhilfemaßnahmen ergreifen können.Der im Dezember 2020 eingereichte Bericht unserer Studie an das Krankenhaus endet mit Empfehlungen für strukturelle Veränderungen im Wartebereich und innerhalb des Krankenhauses, für Verbesserungen des Meldesystems und Vorschlägen für eine Kampagne zur Sensibilisierung des Personals hinsichtlich der Bedeutung der Berichterstattung gewalttätiger Vorfälle.  Dieser Beitrag wurde erstmals als Vortrag auf dem Northern Network for Medical Humanities Research Congress 2021 (online) vorgestellt und für das Pflegenetz aktualisiert bzw. erweitert.

 

 

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Literatur

Ampos, L. F., da Silva Fernandes, M. N., Tavares, J. P., de Lima Trindade, L., & Dal Pai, D. (2020). Estratégias de enfrentamento, medidas preventivas e de controle da violência laboral em atenção primária à saúde. Research, Society and Development, 9(11).

 APA, 10.07.2019. Patient versetzte Arzt im Wiener Kaiser-Franz-Josef-Spital Messerstich. Abgerufen am 30.03.2021 https://www.derstandard.at/consent/tcf/story/2000106125086/patient-versetzte-arzt-im-wiener-smz-sued-messerstich

Aerzteblatt, 22.05.2020. Gewalt gegen Gesundheitspersonal auch in der Coronakrise: Weltärztebund ruft zum Handeln auf. Abgerufen am 30.03.2021 https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/113057/Gewalt-gegen-Gesundheitspersonal-auch-in-der-Coronakrise-Weltaerztebund-ruft-zum-Handeln-auf

d’Ettorre, G., Mazzotta, M., Pellicani, V., & Vullo, A. (2018). Preventing and managing workplace violence against healthcare workers in emergency departments. Acta Bio Medica: Atenei Parmensis, 89(Suppl 4), 28.

Eurofound (2015). Violence and harassment in European workplaces: Causes, impacts and policies, Dublin. Abgerufen am 31.03.2021 https://www.eurofound.europa.eu/publications/report/2015/violence-and-harassment-in-european-workplaces-extent-impacts-and-policies

Juraszovich, A., &Rappold E. (2017). Demenzkompetenz im Spital, eine Orientierungshilfe. Gutes Leben mit Demenz. Eine Strategie im Auftrag des Sozialministeriums und des Bundesministeriums für Gesundheit. GÖG. Abgerufen am 22.06.2023  https://www.demenzstrategie.at/fxdata/demenzstrategie/prod/media/DemenzkompetentesKH-Orientierungshilfe.pdf

Lanctôt, N., & Guay, S. (2014). The aftermath of workplace violence among healthcare workers: A systematic literature review of the consequences. Aggression and violent behavior, 19(5), 492-501.

Shafran-Tikva, S., Chinitz, D., Stern, Z., & Feder-Bubis, P. (2017). Violence against physicians and nurses in a hospital: How does it happen? A mixed-methods study. Israel journal of health policy research, 6(1), 1-12.

Zur Person

Margret Jaeger

ist eine österreichische Medizinanthropologin, die Studierende und Angehörige der Gesundheitsberufe auf der ganzen Welt unterrichtet und ihre Forschungen interdisziplinär ausrichtet. Derzeit arbeitet sie für die Wissenschaftsabteilung des Bildungszentrums des Fonds Soziales Wien.

https://www.linkedin.com/in/margret-jaeger-2621498b

Julia Wiesinger

hat einen Master in klinischer Psychologie und befindet sich derzeit in Ausbildung zur Berufsausübung in einem Krankenhaus in Österreich. Sie war für die Datenerfassung in der Notaufnahme verantwortlich.

Julia Wahl

hat einen Master in klinischer Psychologie und befindet sich derzeit in Ausbildung zur Berufsausübung in einem Krankenhaus in Deutschland. Sie war für die Datenerfassung in der Abteilung für Innere Medizin verantwortlich.

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