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Björn Berger
Ambulante Kinderintensiv- und Palliativpflege in Deutschland: Ein kränkelndes Stiefkind

Ambulante Kinderintensiv- bzw. Palliativpflege ist eine spezielle Pflegeform, welche in der Häuslichkeit angeboten wird. Sie steht vor einigen Herausforderungen, zu denen auch die fehlende Lobby sowohl innerhalb der Gesellschaft als auch in der Politik zählen. Daraus resultieren Probleme in der Personalakquise und eine Reduktion der pädiatrischen Ausbildung.

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Der Begriff ambulante Kinderintensiv- bzw. Palliativpflege beschreibt diesen Sektor bereits sehr treffend, denn es handelt sich hier um eine intensivpflegerische oder palliative Betreuung von Kindern und Jugendlichen im häuslichen Umfeld. Dafür werden die Kinderzimmer zu kleinen Intensiveinheiten, inklusive sämtlicher medizinisch-pflegerischer Hilfsmittel, die benötigt werden, umgerüstet. Infolgedessen kann das Kind in seinem gewohnten Umfeld versorgt werden und die Familie ein Leben außerhalb der Klinik oder eines Heimes führen und somit ein wenig Normalität erleben.

In Deutschland wird mit dem Begriff der Pflege und speziell der ambulanten Pflege sehr häufig die Senior*innenpflege assoziiert. Dass Pflegebedürftigkeit kein reines Phänomen des hohen Alters ist und durchaus auch Kinder schwer erkranken und auf professionelle Pflege angewiesen sind, oder einer palliativen Pflege bedürfen und an ihrer Erkrankung versterben, wird vielfach verdrängt oder einfach nicht wahrgenommen. Dieser Mangel an Wahrnehmung der Belange kranker Kinder ist nicht ausschließlich ein gesellschaftliches Phänomen, sondern auch ein politisches Problem. Ende 2019 waren in Deutschland rund 4 Millionen Menschen pflegebedürftig, davon waren 5,4% Kinder oder Jugendliche (vgl. Jakobs et al, 2021, S. 234 f.). Damit bilden Kinder und Jugendliche eine vergleichsweise kleine Gruppe, zudem werden in diesem Alter sehr häufig sämtliche Pflegeleistungen von den Angehörigen erbracht und ausschließlich die Pflegegeld-Leistung in Anspruch genommen (vgl. Jakobs et al, 2021, S. 237). Die Gruppe der Kinder, welche auf die Leistungen von Intensiv- oder Palliativpflegediensten angewiesen ist, ist nochmals deutlich geringer. Kinder, welche keinen Pflegegrad nach SGB XI haben, jedoch Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach SGB V in Anspruch nehmen, machen gerade 0,9% der HKP Empfänger aus, bei Kindern mit Pflegegrad sind es 0,5% (vgl. Jakobs et al, 2021, S. 252). Diese geringe Anzahl an schwer pflegebedürftigen Kindern könnte eine Erklärung für die mangelnde Sichtbarkeit der Kinder und Jugendlichen in Gesellschaft und Politik darstellen. Jedoch darf auch eine kleine Anzahl an Menschen, welche auf Hilfe angewiesen ist, nicht vergessen oder vernachlässigt werden, auch wenn der demographische Wandel häufig politische Entscheidungen bedingt, welche sich auf die Kranken- und Altenpflege beziehen. Es gibt in Deutschland Berufsverbände, welche sich für die Belange der Kinderkrankenpflege einsetzen. Jedoch sind diese bei weitem nicht so stark wie die der Erwachsenen- und Altenpflege. So zählt der Berufsverband Kinderkrankenpflege Deutschland e.V. 1.500 Mitglieder im Vergleich zum größten Verband dem DBFK (Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe e.V.) mit 27.000 Mitgliedern (vgl. Vosshage, 2021, o. S.). Diese Unsichtbarkeit der Kinderkrankenpflege führt gerade im ambulanten Sektor zu massiven Herausforderungen in der Personalakquise.

Die pflegerische Wirklichkeit von Kindern stellt sich mittlerweile so dar, dass es im Bereich der Kund*innenakquise unter den Kinderintensivpflegediensten, meiner Erfahrung nach, kaum noch Konkurrenzverhalten gibt, vielmehr werden gemeinsame Lösungen angestrebt. Daher versorgen immer häufiger mehrere Pflegedienste zusammen in einer Kooperation ein Kind, weil keiner der Pflegdienste ausreichend personelle Kapazitäten besitzt, um die Versorgung allein zu übernehmen. Nachdem bereits Zahlen aus dem Jahr 2019 herangezogen wurden, um die prozentuale Verteilung darzustellen, möchte ich an dieser Stelle ebenfalls Zahlen aus 2019 anführen. In diesem Jahr hat der Pflegedienst, für den ich tätig bin, 120 Kinder, auf Grund von Mangel an personellen Ressourcen, ablehnen müssen. Wie viele dieser Kinder ggf. von anderen Pflegediensten versorgt werden konnten, bzw. unversorgt blieben, ist an dieser Stelle schwer einschätzbar. Die Situation hat sich im Verlauf von 2019 bis 2022 nicht verbessert. Teilweise haben etablierte Pflegedienste die Kinderintensivsparte auf Grund des fehlenden Personals aufgegeben.

Es zeichnet sich ab, dass sich diese Situation noch weiter zuspitzen wird. Dazu trägt die neue Ausbildung in der Pflege ebenfalls bei, denn „[s]eit dem 1. Januar 2020 erfolgt die Ausbildung auf Grundlage des Pflegeberufegesetzes. Das Krankenpflegegesetz und das Altenpflegegesetz sind zum 31. Dezember 2019 außer Kraft getreten“ (Bundesgesundheitsministerium, 2022, o. S.). Damit werden nun Pflegefachmänner/-Frauen ausgebildet und im Gegensatz zu Österreich, denn dort ist das Gesetz schon länger umgesetzt, stehen in Deutschland bald die ersten Auszubildenden vor dem Abschluss der neuen Ausbildung. Diese zeichnen sich durch eine generalistische Ausbildung aus und sollen künftig in allen Pflegesektoren einsetzbar sein. Damit wird sicherlich dem demographischen Wandel in Teilen Rechnung getragen, da alte Menschen immer kränker und kranke Menschen immer älter werden. In diesem Sinne mag es sinnvoll erscheinen, die Alten- und Krankenpflege zusammenzuführen, jedoch wird hierbei auch die pädiatrische Pflege mitintegriert. Damit sinken die pädiatrischen Ausbildungsinhalte massiv. „Bringen Eltern ihr Kind in die Kinderklinik, können sie einer Generalistin mit maximal 120 Stunden pädiatrischer Ausbildung begegnen oder einer Kinderkrankenpflegerin mit künftig 2800 Stunden pädiatrischer Theorie und Praxis“ (Giertz, 2020, o. S.). Diese Unsicherheit bezüglich der Ausbildungsinhalte betrifft selbstverständlich nicht nur den klinischen Bereich, sondern ebenso den ambulanten Sektor und damit auch die ambulante Kinderintensivpflege bzw. Kinderpalliativpflege. Es gibt eine Übergangszeit, in der die Ausbildung in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege noch angeboten wird (vgl. Bundesgesundheitsministerium, 2022, o. S.), jedoch bieten immer weniger Pflegeschulen diese Ausbildung an (vgl. Giertz, 2020, o. S.). Schlagzeilen wie „Bayern ist Vorreiter – bei der Abschaffung der Kinderkrankenpflege“ (DGKJ, 2022, o. S.), zeigen auf, wie drastisch sich diese Situation in der Kinderkrankenpflege darstellt.

Die zukünftigen Pflegefachkräfte werden demnach viel weniger Kenntnisse im Bereich der Pädiatrie mitbringen. Dies bedeutet künftig für Arbeitgeber*innen massive Investitionen in Fort- und Weiterbildungen, um professionelle Kinderintensiv- oder palliativpflege anbieten und Eltern zu Hause Sicherheit bieten zu können, und um Berufsanfänger*innen einen sicheren Start zu ermöglichen. Folglich wird dies zunächst weitere Personalengpässe und Kostensteigerungen bedeuten. Hier wäre ein Vergleich der Umsetzung und der Fortbildungen zwischen den beiden Ländern interessant, um voneinander lernen und von den Erfahrungen beidseits profitieren zu können.

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Literatur

Bundesministerium für Gesundheit (2022). Pflegeberufegesetz, verfügbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/pflegeberufegesetz.html [14.03.2022]

Deutsche Gesellschaft für Kinder und Jugendmedizin e.V. (2022). Bayern ist Vorreiter – bei der Abschaffung der Kinderkrankenpflege, verfügbar unter: https://www.dgkj.de/detail/post/bayern-ist-vorreiter-bei-der-abschaffung-der-kinderkrankenpflege [14.03.2022]

Giertz, J. (2020). Auslaufmodell Kinderkrankenschwester, SpringerPflege, online verfügbar unter: https://www.springerpflege.de/kinderkrankenpflege/kinderkrankenschwester/17727198?searchResult=1.auslaufmodell%20kinderkrankenschwester&searchBackButton=true [10.03.2022]

Jakobs, K., Kuhlmey, A., Greß, S., Klauber, J. & Schwinger, A. (Hrsg.) (2021). Pflege-Report 2021 Sicherstellung der Pflege: Bedarfslagen und Angebotsstrukturen, Berlin: Springer Verlag GmbH, verfügbar unter: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-662-63107-2.pdf [06.02.2022]

Vosshage P. (2022). Ein Überblick über Verbände für Pflegedienste und Pflegeheime, verfügbar unter: https://www.pflegemarkt.com/2015/06/24/ein-ueberblick-ueber-verbaende-fuer-pflegedienste-und-pflegeheime/[14.03.2022]

Zur Person

Björn Berger

Fachbereichsleiter / Pflegedienstleiter

Dozent in der Pflegebildung

Gesundheits- und Sozialmanager B.A.

Pflegedienstleitung

Pflegefachkraft außerklinischer Beatmung (Pädiatrie)

Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger

Rettungssanitäter

Psychologischer Ersthelfer

Sicherheitsbeauftragter (BGW)

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